Historie: Führerkult und Jugendkult

Die Jugendbewegung der 1960er- und frühen 1970er-Jahre zog mit ihrer Forderung nach Demokratie und Frieden die Aufmerksamkeit auf sich. Aber an der Mehrheit der Jugendlichen ging das vorbei.
© ÖGB-Archiv
Die NS-Jugendpolitik verkaufte den Führerkult als Angebot der Freiheit vom gesellschaftlichen Zwang. Nur dem Führer verpflichtet, sollte die „deutsche Jugend“ den Erwachsenen zeigen, wo es langgeht. Das wirkte im demokratischen Österreich noch Jahrzehnte nach.
Schon zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft tönte Adolf Hitler: „Denn ihr, meine Jungen, ihr seid die lebenden Garanten Deutschlands, ihr seid das lebende Deutschland der Zukunft“, und sprach damit gezielt keine anonyme „Jugend“ an, sondern jeden und jede Einzelne. Und wer lässt sich nicht gerne sagen, er oder sie zähle zu denen, auf die es ankommt? Die direkte Verpflichtung durch den „Führer“ vermittelte das Feeling einer verschworenen Gemeinschaft. Zugehörigkeit zu einer progressiven Elite.

Das war eine der Leimruten, mit deren Hilfe der Nationalsozialismus junge Menschen in Deutschland und in Österreich für sich einzufangen versuchte. Und auch tatsächlich in großer Zahl gewann. Die Kommunikationsstrategie des Regimes, die sich die neuesten Erkenntnisse und Möglichkeiten der Soziologie und der Medien zunutze machte, trug das Ihre dazu bei. Hitler wurde als Superstar inszeniert. Als Heros, der nicht unbequemes Fragen und Nachdenken verlangte, sondern gläubige Verehrung und der Weg und Ziel vorgab.

NS-Jugendpolitik: Führerkult als Rattenfänger

Die Jugendlichen selbst hätten jetzt das Sagen, wurde ihnen außerdem vorgegaukelt. Sie könnten ihre Angelegenheiten jetzt selbst in die Hand nehmen, ohne Einmischung der Erwachsenen. Und auch dieser Köder tat seine Wirkung. Hier nahm das NS-Regime Anleihe bei der bürgerlichen Jugendbewegung im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, die sich nach der Parole „Jugend führt Jugend“ ihre eigene Struktur gab. Demgemäß stand die Hitlerjugend nicht ständig unter Aufsicht von Erwachsenen. Die Jugendlichen sollten den „Dienst am Führer“ möglichst eigenverantwortlich organisieren. Unfälle und Verletzungen durch Unüberlegtheit und Waffengebrauch nahm man dabei in Kauf. In Wirklichkeit missbrauchte die HJ die Jugendlichen als Mittel zum Machterhalt des Regimes und als zukünftiges Kanonenfutter.

Millionen junge Menschen waren
der NS-Propaganda ausgesetzt.
Das hatte langfristige Konsequenzen.

In Hitler-Deutschland bestand wie in allen faschistischen Regimen kein Unterschied zwischen Partei und Staat. Schon 1936 erhielt die Hitlerjugend per Gesetz die alleinige Kompetenz für die „körperliche, geistige und sittliche Erziehung der Jugend“ außerhalb von Schule und Elternhaus. Der Reichsjugendführer hatte den Status einer Obersten Reichsbehörde und war dem „Führer“ unmittelbar unterstellt. Der HJ-Beitritt blieb allerdings formal noch freiwillig, bis 1939 die verpflichtende Teilnahme für die 10- bis 18-Jährigen vorgeschrieben wurde.

„Dienstbetrieb“ und Erscheinungsbild aller Untergliederungen waren zentral vorgeschrieben. Nicht nur für die 14- bis 18-jährigen Burschen, die die Hitlerjugend im engeren Sinn bildeten. Wer nicht mitmachen wollte, musste mit Jugendarrest oder Bestrafung der Eltern rechnen. Zur Faszination, die die HJ noch immer auf viele Jugendliche ausübte (oft auch auf solche aus regimekritischen Elternhäusern), kam die Angst. Nur ganz wenige wagten es, die HJ-Dienstpflicht zu verweigern. 8,7 Millionen junge Menschen waren so über Jahre der nationalsozialistischen Propaganda ausgesetzt.

Nach dem Führerkult der NS-Jugendpolitik kommt eine neue art der Mitbestimmung.
Die Jugendbewegung der 1960er- und frühen 1970er-Jahre zog mit ihrer Forderung nach Demokratie und Frieden die Aufmerksamkeit auf sich. Aber an der Mehrheit der Jugendlichen ging das vorbei.

Führerkult der NS-Jugendkultur wirkt Jahrzehnte nach

Das hatte langfristige Konsequenzen. Auch für die demokratischen Staaten, die 1945 wiedererstanden. Eine Generation, geprägt von einer Ideologie des Rechts der Stärkeren und des Führerprinzips, wurde in die Demokratie förmlich hineingeworfen. Ohne mit ihren Inhalten viel anfangen zu können. Eine Tragödie, mit der auch die Frauen zu kämpfen hatten. Man akzeptierte die Form und war im Übrigen „unpolitisch“ mit dem wirtschaftlichen Wiederaufbau beschäftigt.

In dieses gesellschaftliche Klima wuchs die nächste Generation hinein. Noch 1970, zu einer Zeit, die uns als Jahre der Demokratie- und Friedensbewegung der „68er“ in Erinnerung ist, ergab eine Umfrage unter Österreichs Lehrlingen, dass 20 Prozent „die unbeschränkte Herrschaft eines Mannes“ im Staat befürworteten. Zwei Drittel erklärten Politik zu einer „schmutzigen Angelegenheit“, und nur zehn Prozent wollten sich dafür einsetzen, „Staat und Gesellschaft besser zu gestalten“. Das waren die Großeltern der Jugendlichen des neuen Jahrtausends.

Über den/die Autor:in

Brigitte Pellar

Brigitte Pellar ist Historikerin mit dem Schwerpunkt Geschichte der ArbeitnehmerInnen-Interessenvertretungen und war bis 2007 Leiterin des Instituts für Gewerkschafts- und AK-Geschichte in der AK Wien.

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