Psychische Belastung Jugendlicher während Corona: Glas ist halb leer

Die Pandemie hat bei der Jugend insgesamt und bei den Lehrlingen im Speziellen massive Spuren hinterlassen. Während über die Situation von Schüler:innen zumindest öffentlich gesprochen wird, scheint die Politik auf die Lehrlinge jedoch weitgehend vergessen zu haben.
Es ist ein alarmierender Befund. 48,3 Prozent der Jugendlichen weisen Symptome von Depression auf, 50,6 Prozent von Essstörungen und 35,4 Prozent Symptome von Angstzuständen. Das ergab eine der Donau-Universität Krems und der MedUni Wien im Auftrag der Österreichischen Gewerkschaftsjugend 2021. Dazu befragten die Institute 1.442 Lehrlinge. Methodisch wurden dabei Symptome abgefragt und diese dann als mögliche Indikatoren für die angegebenen Krankheitsbilder zugeordnet. Sieht man sich die Ergebnisse nach Geschlechtern an, zeigt sich eine stärkere Belastung von Frauen und diversen jungen Menschen. Anzeichen für Depressionen waren bei weiblichen Lehrlingen mit 59,3 Prozent und bei diversen Personen mit 93,8 Prozent besonders stark ausgeprägt. Hinweise auf Angstzustände fanden sich bei weiblichen Lehrlingen zu 44,6 Prozent, bei diversen zu 75 Prozent.

Psychische Belastung Jugendlicher während Corona

Dass sich die Covid-19-Krise bei Lehrlingen derart massiv zeigt, überrascht Gabriele Schmid, Leiterin der Abteilung für Lehrausbildung und Bildungspolitik der AK Wien, nicht. Einerseits hätten Lehrlinge wie alle anderen Jugendlichen auch sehr stark unter den Kontaktbeschränkungen und dem Gefühl des Eingesperrt-Seins gelitten. „Was aber schon sehr auffällig war: Jugendliche, die eine Berufsschule besuchen, wurden vom Ministerium immer wieder vergessen. Für alle anderen Schulen gab es Anweisungen zu Maskenpflicht etc., die Berufsschulen kamen in den Verordnungen allerdings mehrmals nicht vor. Das haben die Lehrlinge natürlich mitbekommen und sie waren verstört.“ Es wurde auch nicht an die Ausstattung von Berufsschüler:innen mit Laptops gedacht. Hier sprang in Wien die Arbeiterkammer ein und finanzierte den Ankauf von Geräten für jene Schüler:innen, die noch über keinen Computer verfügten.

Gabriele Schmid von der AK Wien über die psychische Belastung Jugendlicher während Corona.
„Ein 40-Stunden-Kurs, der dann ein Leben lang zum Ausbilden berechtigt, ist zu wenig“, so Gabriele Schmid, AK Wien

Die Lockdowns wirkten sich aber auch in einigen Branchen massiv auf die Ausbildungsqualität aus. Für Lehrlinge gab es die Sonderregelung, dass sie trotz Kurzarbeit im Betrieb 100 Prozent der Lehrlingsentschädigung erhalten. Vordergründig eine positive Entscheidung, in der Realität holten dann aber viele Arbeitgeber die Jugendlichen in den Betrieb. Doch die Ausbildner:innen, die ebenfalls in Kurzarbeit waren, blieben zu Hause. „Die haben also nicht viel gelernt in der Zeit.“

Bewusstseinsbildung im Betrieb

Besonders von den Schließungen betroffen waren Lehrlinge in Gastronomie und Hotellerie. Generell im Tourismus – eine Branche, die häufig in der Kritik steht. Aber auch in Teilen des Handels. Wie sich das nun auf die Lehrabschlussprüfungen auswirkt, werde sich erst zeigen. Ausbildungslücken seien jedenfalls da, und das erzeuge bei den Jugendlichen Unsicherheit und Zukunftsangst. In Wien hätten sich im Rahmen eines Projekts mehrere Hotels zusammengeschlossen und gemeinsam zumindest ein Trockentraining ohne Gäste für ihre Lehrlinge durchgeführt. „Da wurde zumindest etwas gemacht. Viele andere Betriebe haben die Situation der Lehrlinge einfach ignoriert.“

Die psychische Belastung von Jugendlichen sei schon vor der Pandemie hoch gewesen, die Krise habe sie aber noch weiter verschlimmert, so Schmid. Expert:innen sprechen schon von einer „verlorenen Generation“. Dass die Versorgung mit Kinder- und Jugendpsychiater:innen sowie Psychotherapeut:innen viel zu niedrig sei, darauf würden Expert:innen seit Jahren hinweisen. Hier brauche es einerseits für alle Jugendlichen einen massiven Ausbau der Therapieangebote. Für Lehrlinge brauche es aber auch Bewusstseinsbildung in den Betrieben, aktiv zu werden, wenn ein Jugendlicher psychisch belastet wirkt.

Wobei Schmid einräumt, dass ihr bewusst sei, dass hier viele Ausbildner:innen nicht entsprechend geschult sind. Für betriebliche Ausbildner:innen brauche es generell eine umfassendere Grundausbildung sowie lebenslange Weiterbildung, fordert sie. Ein 40-Stunden-Kurs, der dann ein Leben lang zum Ausbilden berechtige, sei zu wenig. Das Gefälle zwischen großen Unternehmen mit innovativer Lehrausbildung – ein Beispiel seien hier die ÖBB – und Klein- und Mittelbetrieben, die personell rasch an ihre Grenzen stoßen, sei groß. Schmid schlägt hier den Zusammenschluss mehrerer Betriebe für eine gemeinsame Lehrlingsausbildung vor. Aber auch ein Fonds, in den nicht ausbildende Betriebe einzahlen, wäre eine wichtige Maßnahme.

Über den/die Autor:in

Alexia Weiss

Alexia Weiss, geboren 1971 in Wien, Journalistin und Autorin. Germanistikstudium und Journalismusausbildung an der Universität Wien. Seit 1993 journalistisch tätig, u.a. als Redakteurin der Austria Presse Agentur. Ab 2007 freie Journalistin. Aktuell schreibt sie für das jüdische Magazin WINA sowie für gewerkschaftliche Medien wie die KOMPETENZ der GPA-djp oder die Gesunde Arbeit. 2022 erschien ihr bisher letztes Buch "Zerschlagt das Schulsystem ... und baut es neu!" (Verlag Kremayr & Scheriau).

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