Vorbild Österreich: Interesse an Europapolitik wecken

Europa hat enormen Einfluss auf die Politik in Österreich und auf die Zukunft des Landes. In quasi allen Lebensbereichen. Doch Jugendliche engagieren sich auf dieser Ebene kaum. Das könnte sich ändern. Ein Vorbild ist dabei Österreich.
Es gibt sie, die Themen, die alle Jugendlichen interessieren. Die Schere zwischen Arm und Reich etwa. Oder der Klimaschutz. Ganz wichtig ist ihnen auch, Menschen zu helfen. Themen also, in denen Regierungen zwar durchaus aktiv sind, in denen aber die EU den grundlegenden Kurs vorgibt. Wie beim Green Deal. Das Gesetzespaket gibt vor, wie Europa bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden kann und dabei seine gesamte Wirtschaft nachhaltiger und sozial gerechter aufstellt. Doch das Interesse an Europapolitik ist bei der Jugend gering. Das muss allerdings nicht so sein.

Interesse an Europapolitik: Jugend muss wachgerüttelt werden

Ein erster Schritt in die Europapolitik ist die Bundesjugendvertretung (BJV). Dabei handelt es sich um die gesetzlich verankerte Interessenvertretung für alle Menschen in Österreich unter 30 Jahren. Die BJV selbst ist Teil des Europäischen Jugendforums (YFJ) und damit angedockt am europäischen Entscheidungsprozess. Theoretisch. In der Praxis wird es den Jugendlichen nämlich nicht so leicht gemacht. Auch das mindert das Interesse an der Europapolitik. So erklärt Tamara Ehs, Demokratiewissenschaftlerin und Mitglied im Beirat des Europäischen Forums Alpbach und des Bürgerforums Europa: „Die Bundesjugendvertretung hat einen sozialpartnerschaftlichen Status, der gesetzlich verankert ist. Sie muss also in Angelegenheiten, die die Interessen der Jugend berühren können, gehört werden. Was aber fehlt, ist eine umfassende Anerkennung, also die Selbstverständlichkeit seitens der institutionellen Politik, die Jugend immer miteinzubeziehen. Die Bundesjugendvertretung muss sich in den Diskurs reinreklamieren.“

Die Entkoppelung der Jugend vom politischen Diskurs basiert vor allem auf dem Gefühl, von den Akteur:innen vergessen zu werden. Und das ist keine Einbildung. „Wenn man ökonomisch rechnet und eine Stimmenmaximierung möchte, orientiert man sich an Themen für ein finanzstarkes, wahlberechtigtes Publikum, das beständig wählen geht. Das ist aber nicht die Jugend. Wahlen werden mit Menschen über 50 gewonnen“, rechnet Ehs ernüchternd vor. Die Jugend hat zwei Möglichkeiten, sich Aufmerksamkeit zu verschaffen. Durch Tabubruch oder Bürokratie. „Immer dann, wenn es um einen Rechtsbruch wie beim Schulstreik geht, bekommt der Protest mehr Aufmerksamkeit als der langwierige Gang durch die Institutionen. Mit Blick auf die politische Partizipation hat für mich beides einen Wert“, ordnet Ehs diese Situation ein. Im Podcast mit Arbeit&Wirtschaft sprach sie bereits ausführlich über das Thema.

Europäisches Jahr der Jugend und keiner merkt’s

Das Jahr 2022 ist das Europäische Jahr der Jugend. Der EU-Jugenddialog hat deswegen elf Jugendziele definiert. Immerhin 50.000 junge Menschen haben daran mitgewirkt. „Dabei geht es nicht nur um die Klimakrise, sondern auch um Gleichberechtigung, eine inklusive Gesellschaft oder psychische Gesundheit“, führt Ehs aus. Die Möglichkeiten der europäischen und internationalen Partizipation sind gegeben. „Wahlen sind bei Jugendlichen wie auch bei Erwachsenen die häufigste Form der Beteiligung. Circa 30 Prozent sind außerdem in Vereinen aktiv, 14 Prozent in Jugendorganisationen von Parteien, laut SORA-Jugenderhebung. Dazu kommen viele Ehrenamtliche in Blaulicht-Organisationen wie der Feuerwehr.“ Das Interesse an Politik ist also da.

Alexandra Kainz ist Jugendarbeiterin in einem niederösterreichischen Jugendzentrum und Gründerin des Vereins „Mach mit“, der Jugendliche zu mehr politischer Teilhabe motivieren soll. Was den europäischen Rahmen der Politik betrifft, ist sie eher pessimistisch, dass noch viel Engagement von der Jugend zu erwarten sei. „Über Europa machen sich die wenigsten Gedanken. Die meisten nehmen es als gegeben hin.“

Portrait von Alexandra Kainz vom Verein „Mach mit“. Europapolitik Interesse.
„Unsere Projekte gelingen dann sehr gut, wenn wir politische Projekte machen, die einen praktischen Nutzen aufzeigen“, so Alexandra Kainz vom Verein „Mach mit“.

So weckt die Politik das Interesse der Jugend

Jugendliche würden sich dann mit Politik befassen, wenn Politiker:innen sich ernsthaft mit den Interessen der Jugend beschäftigten. Manchmal fehle es aber an der Motivation, sich mit den Themen auseinanderzusetzen. Aus ihrer eigenen Erfahrung kenne Kainz Beispiele, in denen Kommunalregierungen Jugendparlamente ablehnen würden, weil die Ergebnisse dieser Einrichtungen bearbeitet werden müssten. Eine Mehrarbeit, die schlichtweg niemand tun wolle. „Partizipationsprojekte, sofern sie ehrlich gemeint sind und nicht nur schön klingen sollen, sind enorm wichtig. Dafür braucht es aber Engagement von den Politiker:innen. Ohne sie geht es nicht.“

Die Jugendlichen müssten merken, dass die Politiker:innen greif- und nahbar sind. Das seien sie aber oft nicht einmal für Erwachsene. Politische Bildung würde ebenfalls helfen. Für ihre Arbeit geht Kainz an Schulen und bringt den Kindern grundlegende Dinge bei. Wer Präsident und Kanzler ist. Oder wofür die Parteien stehen. Wissen, das bei Jugendlichen oft nicht vorhanden ist. Es gehe bei „Mach mit“ um einen praxisorientierten Ansatz. Wichtig sei, den jungen Menschen klarzumachen, dass politische Prozesse ihr eigenes Leben direkt betreffen. „Unsere Projekte gelingen dann sehr gut, wenn wir politische Projekte machen, die einen praktischen Nutzen aufzeigen. Dann kommt am Ende das Feedback: ‚Das hat ja wirklich funktioniert‘“, berichtet Kainz von ihrer Arbeit.

Europapolitik: Österreich als Vorbild

In Europa gibt es Ideen, die politische Partizipation der Jugend zu erhöhen. Österreich ist in diesem Bereich ein Vorbild. Denn wie bei uns soll auch in Europa das generelle Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt werden. Es ist eine der Empfehlungen, die Ehs in ihrer Funktion als Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Bürgerforums Europa abgegeben hat. Das passive Wahlalter solle zumindest vereinheitlicht werden. Wer sich in Österreich wählen lassen will, muss 18 Jahre alt sein. In Griechenland aber 25 Jahre. Wer aber mehr jugendliche Partizipation wolle, der müsse auch entsprechende Vorbilder präsentieren können. Noch mangelt es daran in Europa.

Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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