Hintergrund: Flexibilisierung gescheitert, Sozialpartnerschaft lebt

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Die große Lösung bei der Arbeitszeit gibt es vorerst nicht, denn sie müsste den ArbeitnehmerInnen mehr Selbstbestimmung und Planbarkeit bringen.

Flexibilität darf keine Einbahn sein

Auf der anderen Seite wurde das Bedürfnis der ArbeitnehmerInnen lauter, selbst zu bestimmen, wann sie arbeiten. Das System der Gleitzeit hat das schließlich ermöglicht, ist aber vor allem bei vielen Arbeitgebern auf wenig Akzeptanz gestoßen. Sie wollten nach wie vor zu den täglich gleichen Zeiten auf die Arbeitskraft „ihrer“ Beschäftigten zurückgreifen können. Flexibilität darf aber keine Einbahnstraße sein. Wo die Arbeitgeber die Beschäftigten kapazitätsorientiert einsetzen wollen, brauchen die ArbeitnehmerInnen als Ausgleich Selbstbestimmung, Planbarkeit und weitere Verkürzung der Arbeitszeit. Das ist nicht immer leicht unter einen Hut zu bringen. Außerdem kann man das Gefühl bekommen, dass bei manchen Arbeitgebern durch zunehmende Flexibilisierungsmöglichkeiten nur noch größere Begehrlichkeiten geweckt werden: Zuletzt wurde immer wieder die Forderung erhoben, die Normalarbeitszeit ohne Überstunden auf zehn Stunden täglich und 50 Stunden wöchentlich auszudehnen. Die Höchstarbeitszeit inklusive Überstunden sollte zwölf Stunden täglich bzw. 60 Stunden wöchentlich betragen, die Durchrechnung über zwei oder noch mehr Jahre möglich sein. Das hieße für die ArbeitnehmerInnen: Wer zwei Jahre lang Überstunden machen muss, würde sie erst nach zwei Jahren ausbezahlt bekommen. Das alles sollte freilich ohne weitere kollektivvertragliche Rahmenbedingungen geschehen, also nach Belieben und auf Anordnung des Arbeitgebers. Zusammengefasst wurden diese Forderungen mit der Formel „10/12/60/2“.

Vollkommen außer Acht gelassen wird dabei, dass das Arbeitszeitgesetz auch ein Schutzgesetz ist, das die ArbeitnehmerInnen vor zu großen körperlichen und psychischen Belastungen bewahren muss. Es ist daher klar, dass die Gewerkschaftsbewegung diesen unverschämten Maximalforderungen der Wirtschaft selbst dann nicht nachkommen kann und will, wenn damit kleine Zugeständnisse an die ArbeitnehmerInnen verbunden wären. Angeboten wurde etwa ein Anspruch auf Zeitausgleich, wenn gerade die Kinderbetreuung ausfällt.

Die Gewerkschaft ist und bleibt aber weiter gesprächsbereit, wenn eine Branche oder ein Betrieb aufgrund restriktiver Arbeitszeitbestimmungen wirtschaftliche Probleme bekommt. In diesen Fällen wurden noch immer Lösungen gefunden, die den Betrieben flexibles und wirtschaftliches Arbeiten ermöglichen, den ArbeitnehmerInnen aber Sicherheit geben – und einen Ausgleich für die ihnen auferlegten Mehrbelastungen.

Nicht mit Mindestlohn abtauschbar

Die Wirtschaftskammer (und vor allem die Industrie) hat aber in letzter Zeit ihre Forderungen mehr und mehr von konkreten Problemlagen entkoppelt und zum Prinzip erhoben. Entsprechend schwierig gestalteten sich auch die Sozialpartner-Verhandlungen, die im Frühjahr 2017 begonnen haben. Die Regierung hatte zuvor beschlossen, ihre Schwerpunkte bis zum Ende der Legislaturperiode umzusetzen, und dabei auch Lösungen für Fragen des Mindestlohns und der Arbeitszeitflexibilisierung in Aussicht gestellt. Mit der konkreten Lösungsentwicklung wurden aber die Sozialpartner beauftragt – kein Wunder, handelt es sich dabei schließlich um deren Kernthemen.

Die Regierung hat für die Lösungsvorschläge der Sozialpartner eine Frist gesetzt, da von Anfang an klar war, dass die Positionen von Wirtschaft und ArbeitnehmerInnen in diesen Bereichen sehr weit auseinander liegen. Die Sozialpartner haben den Auftrag sehr ernst genommen und sich intensiv um Lösungen bemüht. In den wenigen Monaten, die zur Verfügung standen, gab es Dutzende Verhandlungsrunden, erst auf ExpertInnen-, dann auch auf Präsidentenebene.

Die ohnehin schon schwierige Ausgangsposition wurde dadurch erschwert, dass nun zwei Themen auf dem Tisch lagen, die miteinander aber nur bedingt zu tun haben. Während die ArbeitnehmerInnen davon ausgegangen sind, einerseits eine in sich faire und schlüssige Lösung für den Mindestlohn zu erarbeiten und andererseits eine für die Arbeitszeit, wollten die ArbeitgebervertreterInnen die beiden Themen miteinander verknüpfen.

Gegen die Zusage der stufenweisen Erhöhung der niedrigsten Mindestlöhne auf 1.500 Euro sollte eine Lösung in der Arbeitszeitfrage abgetauscht werden, bei der ausschließlich die Flexibilisierungsforderungen der Arbeitgeber berücksichtigt worden wären. Obwohl wir von Anfang an darauf aufmerksam gemacht haben, dass dieser Deal nicht aufgehen kann, wurde von den Arbeitgebern konsequent daran festgehalten. Das hat die Verhandlungen natürlich enorm erschwert und im Bereich der Arbeitszeit vorläufig zum Scheitern gebracht.

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