Schmerzmanagement: Wie geht es alten Menschen in Heimen?

Eine alte Frau sitzt in einem Rollstuhl und schaut aus einem Fenster raus. Symbolbild für das Schmerzmanagement in Pflegeheimen.
Wie kann man sicherstellen, dass alte Menschen nicht leiden? Die Volksanwaltschaft liefert Antworten. | © Adobestock/Anke Thomass
Die Volksanwaltschaft hat geprüft, wie gut das Schmerzmanagement in Alters- und Pflegeheimen funktioniert und wie man sich dort um sterbende Menschen kümmert. Das Ergebnis ist eindeutig: Es gibt Luft nach oben.
Können alte Menschen in Österreich in Alten- und Pflegeheimen schmerzfrei und in Würde ihren Lebensabend begehen? Dieser Frage gingen die Volksanwaltschaft und ihre Kommissionen nach, denn 80 Prozent aller Menschen, die in Alten- und Pflegeheimen leben, leiden an Schmerzen. Viele sind chronisch, andere nicht nur körperlicher, sondern auch seelischer Natur. Um herauszufinden, wie das Schmerzmanagement in den Heimen gehandhabt wird, haben die Kommissionen der Volksanwaltschaft von Juli 2022 bis September 2023 123 Alters- und Pflegeheime in allen Bundesländern besucht. Sie sprachen mit 1.511 Bewohner:innen und sichteten deren Dokumentationen.

Fehlende Fortbildung

Volksanwalt Bernhard Achitz erklärt: „Die Schmerzversorgung heute ist eigentlich so gut, dass sich Schmerzen in vielen Fällen vermeiden lassen sollten.“ Doch ist das auch die Realität? Wie stellt man sicher, dass alte Menschen nicht leiden? Im Idealfall besteht Schmerzmanagement aus fünf Punkten: Dem Screening, dem Assessment, dem Behandlungsplan, einer Verlaufkontrolle und einer Evaluation. All dies sollte für jede:n Patient:in dokumentiert werden. In einem Viertel der besuchten Alten- und Pflegeheime gab es allerdings keinerlei systematisches, dokumentiertes Schmerzmanagement und es wurden auch keine systematischen, standardisierten Maßnahmen zur Erkennung, Prävention und Behandlung von Schmerzen angewendet. Dem Personal fehlt vielfach die notwendige Fortbildung zum Thema Schmerz. Esther Kirchberger ist Pflegewissenschaftlerin und Teil der zuständigen Kommissionen der Volksanwaltschaft. Sie weiß: „Häufig gibt es nur eine Pain Nurse für einen Heimträger, also eine Person, die auf Schmerzmanagement spezialisiert ist. Das bedeutet, diese Person muss mehrere Heime abdecken. Aber das reicht gerade für kognitiv beeinträchtigte Personen nicht.“

Porträt Bernhard Achitz. Der Volksanwalt spricht sich für soziale Grundrechte in der Verfassung aus.
Bernhard Achitz ist Volksanwalt für die Themenfelder Soziales, Pflege und Gesundheit. | © Michael Mazohl

Ohne Sprache

Als kognitiv beeinträchtigte Personen bezeichnet man Menschen, die ihren Schmerz nicht mehr artikulieren oder beschreiben können, beispielsweise Menschen mit Demenz oder Behinderungen. Esther Kirchberger sagt: „Diese Menschen müsste man beobachten, gut kennen und auf sie zugehen. Das Risiko, dass sie unerkannte Schmerzen haben, ist höher als bei Menschen, die diese Einschränkungen nicht haben.“ 45,8 Prozent der Patient:innen mit Alzheimer-Demenz leiden an Schmerzen. Diese können unbehandelt zu einer Verschlechterung der Krankheit führen. In den Gesprächen der Kommissionen mit den Heim-Mitarbeitenden zeigte sich, dass viele es als besondere Herausforderung empfanden, Schmerzen von Demenzkranken zu erkennen.

Die Volksanwaltschaft empfiehlt daher standardisiertes Schmerzmanagement als integralen Bestandteil der Betreuung von Menschen mit Demenz. Um dieses erfolgreich durchführen zu können, ist eine stabile Beziehung zwischen dem Personal und den betreuten Personen notwendig. Weiters sollte Schmerz-Assessment Teil der Pflege für alle Bewohner:innen werden. Dafür braucht es entsprechend geschultes Personal und Fortbildungen. Aktuell finden solche erst in der Hälfte der besuchten Einrichtungen jährlich statt, es gibt dementsprechend Luft nach oben.

Palliativvorsorge

Gerade weil die Personen in Alters- und Pflegeheime immer älter werden, ist für viele das Heim die letzte Station ihres Lebens. Heime nehmen daher eine große Rolle in der Palliative Care ein. Bereits 2004 wurde das Projekt „Hospizkultur und Palliative Care in Pflegeheimen“ (HPCPH) von Hospiz Österreich entwickelt. Dafür sollen 80 Prozent der mitarbeitenden Personen der Patient:innenbetreuung speziell für den Umgang mit schwerkranken und sterbenden Menschen sowie deren Angehörige geschult werden. Bisher haben das erst 20 Prozent der Heime in Österreich umgesetzt, was sich mit den Zahlen der Volksanwaltschaft deckt: 18 Prozent der von den Kommissionen besuchten Einrichtungen haben eine HPCPH-Zertifizierung. Die Palliativversorgung leidet massiv unter der Personalknappheit innerhalb der Pflege.

Bernhard Achitz fordert: „Sterbegleitung wird in der Regel in Alters- und Pflegeheimen passieren müssen und jeder schwerstkranke und sterbende Mensch hat ein Recht auf umfassende Betreuung, um die Menschenwürde bis zuletzt zu wahren. Das muss sicherstellt werden.“ Dazu zählen auch wiederholte Vorsorgegespräche mit Bewohner:innen, Ärzt:innen, Vertrauenspersonen und Pflegepersonen, wo der letzte Wille der kranken oder alten Person festgehalten wird. Dabei sollen auch unnötige Krankenhaustransporte und -aufenthalten je nach Wunsch der Patient:innen vermieden werden. Laut der Volksanwaltschaft werden nur in 29 Prozent der besuchten Einrichtungen solche Gespräche geführt

Assistierter Suizid

Das Ende eines Lebens kann natürlich durch Alter und Krankheit kommen, muss es aber nicht. Seit 1.1.2022 gilt in Österreich das Sterbeverfügungsgesetz, welches die Möglichkeiten eines assistierten Suizids regelt. Die Realität sieht aber häufig anders aus. Die Volksanwaltschaft weist darauf hin, dass einige der besuchten Heime das Gespräch über assistierten Suizid ablehnen. 53 Prozent geben an, dass keine Möglichkeit der Inanspruchnahme bzw. Durchführung besteht. Unter dem Personal herrsche oft große Unwissenheit. Viele Einrichtungen haben sich noch nicht darauf vorbereitet, das Gesetz umzusetzen, einige würden zögern oder sich aufgrund ethischer oder religiöser Überlegungen dagegen aussprechen.

Die Volksanwaltschaft fordert, dass Mitarbeiter:innen auf die Wünsche nach assistiertem Suizid vorbereitet werden und adäquat reagieren können. Dafür müssen sie die nötigen Handlungsanleitungen und Informationen von den Heimleitungen erhalten. Volksanwalt Bernhard Achitz befürchtet: „Für uns ist ein Zusammenhang zwischen schlechterem Schmerzmanagement und größerem Wunsch nach assistiertem Suizid naheliegend, aber nicht beweisbar. Je besser die Palliativ Care ist, desto seltener werden Menschen diesen Ausweg wählen.“ Die Probleme, die die Volksanwaltschaft aufzeigt, gehen Hand in Hand. Verbesserungen stellen sicher, dass Menschen in Würde alt werden können.

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Über den/die Autor:in

Sandra Gloning

Sandra Gloning ist freie Online- und Print-Journalistin in Wien mit einem breiten Themenfeld rund um Frauen, Lifestyle und Minderheiten und dem Ziel, Geschichten aus dem echten Leben zu erzählen.

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