Coverstory: Von Proleten und anderen Ungerechtigkeiten

Inhalt

  1. Seite 1 - Klassenkampf und Proletariat als Schimpfwort
  2. Seite 2 - Gerechte Chancen für alle
  3. Seite 3 - Regierungspläne: Kürzungen bei den Armen
  4. Seite 4 - Regierungspläne II: Mehr für jene, die bereits mehr haben
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Klassenkampf wird heutzutage als Schimpfwort verwendet, oder gar als Vorwurf jenen gegenüber, die sich für eine gerechte Gesellschaft einsetzen.

Diskriminierung

Unterm Strich bleibt: Nicht alle Kinder in Österreich haben die gleichen Chancen. Und der Grund dafür ist nicht ihr mangelndes Talent, nicht ihr mangelnder Leistungswillen oder gar ihre ethnische oder kulturelle Herkunft. Die Gründe dafür sind die finanziellen Ressourcen und die Bildungsherkunft ihrer Eltern. Man mag es Klasse nennen oder soziale Schicht oder gerne einen noch besseren Begriff dafür finden. Tatsache ist: Immer noch werden Kinder ihrer sozialen Herkunft nach unterschiedlich behandelt. Besser gesagt: Es werden jene schlechter behandelt, deren Eltern finanziell schwerer über die Runden kommen – die aber gesellschaftlich wertvolle Tätigkeiten verrichten, sei es am Bau, in der Reinigung oder in Gesundheit und Pflege, um nur die plastischsten Beispiele zu nennen.

Man mag es Klassenkampf nennen oder einen passenderen Begriff dafür finden: Es geht darum, dass die Politik von Gewerkschaften und AK ein Ziel verfolgt: dass alle Menschen ihre Fähigkeiten entfalten können, dass alle die gleichen Chancen haben, um später ein erfolgreiches Berufsleben führen zu können – oder ein gutes Leben, Punktum. Die Schule sollte dafür die Voraussetzungen liefern. Das tat sie aber bisher schon nicht, wie die OECD – eine Institution, die des Klassenkampfs völlig unverdächtig ist – immer wieder anprangert und wie dies auch andere Bildungsstatistiken Österreich seit Jahren bescheinigen.

Zweifellos hat sich viel verbessert. Heute haben mehr Menschen aus sozial schwächeren Familien bessere Aufstiegschancen. Man ist nicht mehr automatisch zu einem Leben als HilfsarbeiterIn oder Knecht verdammt, nur weil es schon die Eltern, die Großeltern und die Urgroßeltern waren. Dass dem so ist, dazu hat gerade der Wohlfahrtsstaat beigetragen und tut es auch heute noch. Aber dieser gehört weiterentwickelt und an die Anforderungen der heutigen Zeit angepasst. Stichworte dazu sind etwa prekäre Beschäftigung oder Pflege. Dafür muss er aber auch mit entsprechenden finanziellen Ressourcen ausgestattet sein – womit wir wieder bei den unterschiedlichen Interessen sind. Denn es tragen eben nicht alle ihren Verhältnissen entsprechend dazu bei, dass dieser Wohlfahrtsstaat auch die finanziellen Möglichkeiten hat, um seine Ziele zu erfüllen.

Es ist aber eine Frage der Gerechtigkeit, dass nicht nur jene Einkommen belastet werden, die man durch Arbeit sauer verdient hat. Anders ausgedrückt: Es geht um Verteilungsgerechtigkeit. Es geht darum, wer am gemeinsam erwirtschafteten Wohlstand teilhaben kann, und darum, dass davon nicht nur jene profitieren, die ohnehin schon bessere Startbedingungen haben.

Verteilungskampf

Was hat das nun mit Arbeitskampf zu tun? Nun, Kollektivvertragsverhandlungen sind auch eine Methode, um eine gerechte Verteilung zu erreichen, in dem Fall zwischen Arbeit und Kapital, so altmodisch dies klingen mag. Es geht darum, dass bei diesen Verhandlungen an einer Schraube gedreht wird, nämlich an jener der Löhne und Gehälter. Dieses Jahr besteht enormer Handlungsbedarf. Denn die Regierung hat mit dem 12-Stunden-Tag eine Regelung beschlossen, die massiv zulasten der ArbeitnehmerInnen geht. Somit besteht die große Herausforderung darin, den Arbeitgebern nun wieder eine faire Gegenleistung abzuringen. Kann sein, dass dafür kein Arbeitskampf nötig ist. Kann aber auch nicht sein.

KV-Verhandlungen sind nur eine Schraube, so zentral diese auch ist, um einen Interessenausgleich zwischen ArbeitnehmerInnen und Arbeitgebern zu erreichen. Damit Österreich dem Anspruch näherkommen kann, eine gerechte Gesellschaft zu sein, muss an vielen weiteren Schrauben gedreht werden, allen voran in der Bildungspolitik. Man mag das Klassenkampf nennen. Aber wenn Klassenkampf bedeutet, dass man sich für eine gerechte Gesellschaft einsetzt: Ja, dann soll es so sein.

Von
Sonja Fercher

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 8/18.

Fotos: Michael Mazohl

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sonja.fercher@oegb.at
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Über den/die Autor:in

Sonja Fercher

Sonja Fercher ist freie Journalistin und Moderatorin. Für ihre Coverstory im A&W Printmagazin zum Thema Start-ups erhielt sie im Juni 2018 den Journalistenpreis von Techno-Z. Sie hat in zahlreichen Medien publiziert, unter anderem in Die Zeit, Die Presse und Der Standard. Von 2002 bis 2008 war sie Politik-Redakteurin bei derStandard.at. Für ihren Blog über die französische Präsidentschaftswahl wurde sie im Jahr 2008 mit dem CNN Journalist Award - Europe ausgezeichnet.

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