Mythos der sozialen Hängematte

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Nützen Flüchtlinge und MigrantInnen das Sozialsystem aus? Studien entkräften dies mit Zahlen und Fakten.

Erzwungenes Nichtstun

Die Volkshilfe betreut seit Jahrzehnten AsylwerberInnen. Dabei erleben die MitarbeiterInnen täglich, wie Menschen das lange Warten und das erzwungene Nichtstun enorm belastet. „Sie fiebern dem Moment entgegen, in dem sie arbeiten dürfen, sich selbst erhalten können und darauf auch stolz sind. Das ist nicht immer leicht, aber die meisten Asylberechtigten sind höchst motiviert, nehmen auch sehr schlecht bezahlte Jobs an und erhöhen oft auch die Selbstständigenquote“, weiß Fenninger aus der Praxis. Die „soziale Hängematte“ sei bei näherer Betrachtung gar keine, sondern einfach ein Vorurteil. Auf die Frage, was an dem Argument „viele Migranten würden lieber Mindestsicherung beziehen als arbeiten gehen“ daran sind, sind sich ExpertInnen einig: Nicht die Mindestsicherung ist zu hoch, sondern die Löhne in vielen Branchen sind einfach zu niedrig. Das gilt für österreichische StaatsbürgerInnen genauso wie für MigrantInnen und AsylwerberInnen: „Daher sind die Bestrebungen, für eine Vollzeitstelle zumindest 1.500 Euro als Mindestlohn zu fixieren, ein Schritt in die richtige Richtung“, so Fenninger.

„Von einer Vollzeitstelle soll man leben können, bei den derzeitigen Mieten ist das oft nicht der Fall“, kritisiert er. Die derzeitige Höhe der Mindestsicherung sei am untersten Limit, gerade genug, um ein Überleben zu sichern. Zudem wird die Mindestsicherung nur zwölfmal im Jahr ausbezahlt, während in den meisten Kollektivverträgen ein steuerbegünstigtes Urlaubs- und Weihnachtsgeld festgelegt ist.

Auch Christoph Riedl, der seit über 20 Jahren bei der Diakonie im Flüchtlingsdienst tätig ist, findet, dass in der Diskussion vieles durcheinandergebracht wird: „Man darf nicht die Mindestsicherung mit der Grundversorgung verwechseln.“ Ersteres sei für anerkannte und subsidiär schutzberechtigte Flüchtlinge, zweiteres für AsylwerberInnen. Auch werde in der politischen Debatte meist eine mehrköpfige Flüchtlingsfamilie mit einer Einzelperson (in Form eines österreichischen Pensionisten) verglichen. Das sei wie Äpfel mit Birnen zu vergleichen.

Kosten des Nichthandelns

1,7 Milliarden hatte das Finanzministerium für die Flüchtlingskosten im Jahr 2017 veranschlagt. Der Fiskalrat geht allerdings davon aus, dass diese auf 2,7 Milliarden Euro steigen werden. Auch wenn aufgrund deutlich weniger Asylanträge die Kosten für die Grundversorgung zurückgehen, steigen die Zahlungen für die Mindestsicherung. Nichtsdestotrotz plädiert Fiskalrat-Präsident Bernhard Felderer für weitere Integrationsmaßnahmen.

Ähnlich sieht es der AK-Budgetexperte Tobias Schweitzer: „Wesentlicher als die simple Kostenbetrachtung ist die Analyse der Kosten des Nichthandelns. Je besser und schneller die Integration der Geflüchteten gelingt, desto geringer sind die Kosten und desto größer wird auch ihr Beitrag zum Wirtschaftswachstum sein.“

Stammtischgerüchte

Die kurzfristige Euphorie im Herbst 2015, als viele Flüchtlinge Österreich erreichten, ist längst umgeschlagen. Das bekommt etwa auch die Caritas zu spüren, die oft mit Falschmeldungen konfrontiert ist. Sei es am Stammtisch oder auf Facebook: Immer wieder kursieren Gerüchte, bei der kirchlichen Hilfsorganisation würden Handys, Laptops oder Markenkleidung an Geflüchtete verschenkt. So heißt es, dass der Handyverkäufer kein Geld, sondern nur eine Karte der Caritas vorgelegt bekomme und daraufhin dem Asylwerber ein teures Smartphone aushändige.

Als im Wahlkampf die Gerüchteküche wieder einmal überkochte, reagierte die Caritas erneut mit einem offiziellen Dementi: „Weil uns diese Gerüchte in letzter Zeit wieder verstärkt zu Ohren kommen: Nein, wir verschenken keine Handys, keine Bordellgutscheine, keine Zahn- oder Brustimplantate und auch keine rosa Einhörner.“ Bei den Flüchtlingsankünften 2015 und 2016 zählte Österreich europaweit zu den am stärksten involvierten Ländern bei der Aufnahme. Die meisten Menschen, die in Österreich in den vergangenen Jahren um Asyl ansuchten, kommen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Im Jahr 2016 wurden in Österreich über 40 Prozent der Asylanträge positiv entschieden. 70 Prozent der positiven Asylbescheide gingen an Kriegsflüchtlinge aus Syrien. Laut einer OECD-Studie gibt Österreich weniger Geld für Asylwesen aus als etwa Deutschland oder Schweden. Im Übrigen zahlt auch die Türkei – gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) – prozentuell deutlich mehr.

Studien:
tinyurl.com/yb5eoxwp
„AusländerInnen und der Sozialstaat Österreich“:
www.sozialministerium.at

Von
Irene Mayer-Kilani
Freie Journalistin für „Kurier“ und Printmagazine

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 8/17.

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