Decke mit Löchern

Kollektivverträge bieten Schutz vor Lohndumping und sollen erträgliche Arbeitsbedingungen schaffen. Doch Arbeitgeber nutzen allerlei Schlupflöcher, um das KV-System zu untergraben.

Standpunkt: Zusammenstehen statt alleine kämpfen

Standpunkt: Zusammenstehen statt alleine kämpfen

Sonja Fercher
Chefredakteurin
Arbeit&Wirtschaft
s ist geradezu ein Stehsatz, und doch ist er immer noch gültig: Gemeinsam ist man stärker. Wirft man einen Blick auf Kollektivverträge im europäischen Vergleich, so wird das am deutlichsten. Denn es ist zwar auch am österreichischen Arbeitsmarkt bei Weitem nicht alles gut. Doch dass 98 Prozent der Beschäftigten von einem KV erfasst sind, ist europaweit fast einzigartig. Jahr für Jahr leisten GewerkschafterInnen hier enorme Arbeit, die auch international anerkannt wird. So betonte die Europäische Kommission kürzlich die Vorteile des KV-Systems, ähnlich sieht es die OECD.
Dennoch versuchen Unternehmen, eben dieses System zu durchlöchern. Sie ordnen Beschäftigte falschen Kollektivverträgen zu und bringen sie damit um bares Geld. Sie lagern Arbeitsbereiche aus, um Kosten zu sparen und diese auf jene Menschen zu überwälzen, die für sie gute Arbeit leisten. Oder sie greifen zu allerhand anderen Tricks zum Nachteil der ArbeitnehmerInnen. Umso wichtiger ist die Arbeit von BetriebsrätInnen über Gewerkschaften bis zur AK. Im Zuge der Kollektivvertragsverhandlungen bringen GewerkschafterInnen zudem innovative Ideen ein, wie etwa die Freizeitoption, bei der Beschäftigte in bestimmten Branchen die Lohnerhöhung auch in Form von mehr Freizeit in Anspruch nehmen können. Oder auch die Anrechnung von Karenzzeiten, sodass Frauen nicht ständig das Nachsehen haben, weil es mit der partnerschaftlichen Aufteilung der Erziehungsarbeit leider weiterhin nicht weit her ist.
Mehr Freizeit ist denn auch das große Thema in der Sozialwirtschaft, wo man mit der Forderung nach einer 35-Stunden-Woche in die Verhandlungen gegangen ist. Angesichts der massiven Verdichtung der Arbeit, die in allen Branchen in jüngster Zeit stattgefunden hat, ist dies eine mehr als legitime Forderung. Von daher: Glück auf, liebe VerhandlerInnen!
Ich muss mich an dieser Stelle verabschieden. Nach fast sechs Jahren breche ich zu neuen Ufern auf. Meinen KollegInnen, aber natürlich insbesondere Ihnen wünsche ich weiterhin viel Freude an dieser wunderbaren Zeitschrift!

Illustration leere Party

Keine Party

Kapital und Chancen sind – auch nach der Finanzkrise 2008 – primär nach Klasse und Geschlecht verteilt. Anstatt einen Kampf der Generationen auszurufen, ist es an der Zeit, dass sich jene, die „zu spät“ zur Party gekommen sind, mit jenen solidarisieren, die nie etwas zu feiern hatten.

Illustration Herkunft Milieu

Milieu und Herkunft: die Türsteher

Junge Erwachsene als große Verlierer*innen der Globalisierung? Die soziologische Forschung sieht solche Generationenzuschreibungen kritisch. Denn die wahren Verlierer*innen sind die, die erst gar nichts zu verlieren hatten: junge Menschen mit Migrationshintergrund, die in der zweiten oder dritten Generation in Österreich leben.

Zu guter letzt: Privatisierungen. Besteller oder Bittsteller?

Zu guter letzt: Privatisierungen. Besteller oder Bittsteller?

rivatisierung per se kann kein Allheilmittel der Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik sein – davon bin ich überzeugt. Nicht zuletzt die Agitation der schwarz-blauen Politik der Jahre 2000 bis 2006 zeigte genau das. Hier wurde Privatisierung zum ideologisch-fundamentalistischen Dogma erhoben, ohne dass man seine volkswirtschaftliche Sinnhaftigkeit überhaupt darstellen konnte.

Privatisierung per se kann kein Allheilmittel der Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik sein – davon bin ich überzeugt. 

Roman Hebenstreit, Vorsitzender Gewerkschaft vida
Vor einigen Jahren gab es zuletzt in Österreich ähnliche politische Bestrebungen. Teile der ÖBB-Infrastruktur – aber auch der ASFINAG – sollten in die mittlerweile längst aufgelöste staatliche Privatisierungsgesellschaft ÖIAG übertragen werden. Gegen eine ÖBB-Privatisierung hat sich die Gewerkschaft vida 2014 erfolgreich zur Wehr gesetzt. Wir wollten kein Debakel wie in England oder Neuseeland zulassen. In diesen Ländern kamen gescheiterte Eisenbahnprivatisierungen die SteuerzahlerInnen mehrfach teuer zu stehen.
Qualität statt Billigstpreiskampf
Diesen schlechten Beispielen stehen die boomenden staatlichen Bahnen der Schweiz und Österreichs gegenüber. Jahr für Jahr werden wir und die Schweiz in internationalen Rankings zu den zwei führenden Bahnländern Europas gekürt. Hohe Qualität und leistbare Fahrpreise in Österreich sorgen laufend für neue Fahrgastrekorde. Zudem erteilen die Fahrgäste dem ÖBB-Personal in nationalen Bahntests regelmäßig Bestnoten. Faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen in Österreich sorgen eben auch für motiviertes Personal und zufriedene Fahrgäste.
Diese hohe Qualität in Österreich und der Schweiz ermöglichen nicht Wettbewerb und Billigstpreiskampf auf dem Rücken der Beschäftigten, sondern staatliche Qualitätssteigerungen per Direktvergabemöglichkeit von systemrelevanten Aufgaben und Infrastrukturinvestitionen an Unternehmen des Bundes wie ÖBB oder ASFINAG. Der Staat darf hier seine Steuerungsmöglichkeiten nicht an Private abgeben. Gerade in Zeiten des Klimaschutzes und des Ausbaus des öffentlichen Verkehrs wäre dies absurd, da der Staat sonst vom Besteller zum Bittsteller werden würde. Für mich ist daher klar: Die öffentliche Hand muss ihren dominierenden Einfluss auf die zentrale Infrastruktur des Landes behalten.

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