Coverstory: Darf’s ein bisserl besser verteilt sein?

Inhalt

  1. Seite 1
  2. Seite 2
  3. Seite 3
  4. Auf einer Seite lesen >
Der Sozialstaat bietet den Menschen bessere Lebensperspektiven, besonders gilt das für jene in schwierigen Lebenslagen. Damit diese Funktion weiter erfüllt wird, müssen alle etwas beitragen und das System weiterentwickeln.

Sozialstaat finanzierbar

In der Bevölkerung sind Sorgen über die Finanzierbarkeit des Sozialstaats – vor allem des Gesundheitssystems und der Pensionen – weit verbreitet. Insgesamt wurden in Österreich 2014 etwas mehr als 99 Milliarden Euro für Sozialleistungen ausgegeben. Das entspricht 30,1 Prozent des BIP – dieser Sozialquote genannte Wert lag noch nie höher.

43 Prozent der Sozialausgaben, und damit der Löwenanteil, flossen in Sozialleistungen für ältere Menschen, also Pensionen, Pflegegelder und soziale Betreuungseinrichtungen für Ältere. Der zweithöchste Anteil ging mit 25 Prozent in die Gesundheitsversorgung. Auf alle anderen Kategorien (z. B. Kinder und Familien, Arbeitslosigkeit, Invalidität, Wohnen) – entfielen jeweils weniger als zehn Prozent der Sozialausgaben.

Knapp 68 Prozent der Sozialleistungen sind Geldleistungen, knapp 30 Prozent Sachleistungen, der Rest sind etwa Verwaltungskosten.

Und woher kommen die Einnahmen? Sind Sorgen angesichts von Digitalisierung, Globalisierung des Arbeitsmarktes, steigender Arbeitslosigkeit und alternder Gesellschaft berechtigt? Georg Kovarik sagt: Nein. „Ich sehe die Finanzierung des Sozialstaats deshalb nicht in Gefahr, weil die Gesellschaft als solche reicher wird. Nur ist diese Zunahme des Reichtums sehr ungerecht verteilt.“ Bessere Verteilung sei etwa durch höhere Vermögensbesteuerung, Erbschafts- und Schenkungssteuern und eine Wertschöpfungsabgabe zu erreichen.

Foto (C) Michael Mazohl

Ein Prozent der Reichsten

Dass hier noch Luft nach oben sein könnte, zeigt sich daran, wie die Sozialleistungen derzeit finanziert werden und wie Einkommen und Vermögen verteilt sind. „Vermögenseinnahmen und nicht zuordenbare Einnahmen“ machen gerade einmal zwei Prozent des Finanzierungskuchens aus.

Die Hauptfinanzierung kommt zu 36 Prozent aus allgemeinen Steuermitteln; 32 Prozent sind Sozialbeiträge privater Unternehmen als Arbeitgeber; 21 Prozent sind ArbeitnehmerInnen-Beiträge. Dem Argument, dass eine Reichen- oder Vermögenssteuer nicht viel einbringen würde, kontert Georg Kovarik mit einer Rechnung. Er geht davon aus, dass die reichsten fünf Prozent der ÖsterreicherInnen zusammen über ein Vermögen von mehr als 480 Milliarden Euro verfügen. Würden diese Vermögen mit einem Prozent besteuert, hätte der Staat 4,8 Milliarden Euro mehr an Einnahmen.

Belastungen für den Sozialstaat sind Steuerhinterziehungen, Sozial- und Steuerbetrug. Interessant dabei ist das Verhältnis, wenngleich dieses auf Schätzungen beruht und diese stark variieren. Wirtschaftsprofessor Friedrich Schneider von der Johannes Kepler Universität Linz glaubt, dass dem Staat 2016 durch Sozialbetrug, also dadurch, dass Menschen Sozialleistungen beziehen, die ihnen nicht zustehen, rund 1,13 Milliarden Euro entgangen sind. Die klassische Steuerhinterziehung inklusive Mehrwertsteuer-Betrug lag seinen Schätzungen zufolge bei 2,09 Milliarden Euro, Steuer- und Sozialversicherungsbetrug durch Schwarzarbeit bei 3,03 Milliarden Euro.

Goldener Mittelweg

Dass in Österreich relativ viele Menschen vom Sozialsystem profitieren, ist nicht selbstverständlich. Ein Ländervergleich macht das deutlich. AK-Experte Adi Buxbaum unterscheidet grob zwischen vier Wohlfahrtsstaatsmodellen in Europa und lehnt sich dabei an die Definitionen von Steffen Mau und Roland Verwiebe in ihrem Buch „European Societies: Mapping Structure and Change“ an.

Auf der einen Seite steht das nordische Modell wie in Dänemark oder Schweden: „Dort will man möglichst hohe Standards schaffen, und es geht um Gleichstellungsfragen und Chancengleichheit.“ Auf der anderen Seite gibt es das „liberale“ Modell, wie es in Großbritannien oder in Irland existiert, das sich laut Buxbaum auf das Schlagwort „poor services for the poor“ verkürzen lässt: „Man kann sagen, das Primärziel ist Armutsvermeidung, aber gleichzeitig auch ganz viel Bedarfsprüfung bei den Leistungen.“

Und schließlich gibt es in vielen ost- und südeuropäischen Ländern das „rudimentäre“ Modell, wo der Sozialstaat keine Tradition hat und die Familie eine Schutzfunktion übernimmt. Österreich fällt demnach in die Kategorie „kontinentaleuropäisches Modell“ und geht laut Buxbaum einen „goldenen Mittelweg“: „Wir haben uns mit unserem System bewusst darauf verständigt, dass wir uns nicht nur auf Armutsbekämpfung konzentrieren, sondern weite Teile der Gesellschaft im Sozialschutz mitnehmen.“

Linktipp:
Perspektiven für sozialen Fortschritt – Sozialinvestitionen haben eine Mehrfachdividende

Von
Alexandra Rotter

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 2/17.

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor
alexandra.rotter@chello.at
die Redaktion
aw@oegb.at

Inhalt

  1. Seite 1
  2. Seite 2
  3. Seite 3
  4. Auf einer Seite lesen >

Sie brauchen einen Perspektivenwechsel?

Dann melden Sie sich hier an und erhalten einmal wöchentlich aktuelle Beiträge zu Politik und Wirtschaft aus Sicht der Arbeitnehmer:innen.

Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten gemäß den Datenschutzbestimmungen zu.