Wer sind die zwei Prozent?

Foto (C) ÖGB-Verlag/Michael Mazohl

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In Österreich werden 98 Prozent der unselbstständig Beschäftigten von einem Kollektivvertrag erfasst. Doch was ist mit dem Rest?
Vor allem in den 2000er-Jahren haben die Gewerkschaften eine Reihe neuer Kollektivverträge verhandelt, die in jenen Bereichen, in denen es bis dahin keinen Kollektivvertrag gab, erstmals branchenübergreifend Mindeststandards eingeführt haben. Dies betrifft etwa den KV für die Sozialwirtschaft (vormals BAGS, heute SWÖ) und den Caritas-Kollektivvertrag im Sozialbereich.

Im Jahr 2016 konnte die Gewerkschaft erstmals erfolgreich einen Kollektivvertrag mit der Berufsvereinigung von Arbeitgebern in Rettungs- und zugehörigen Sanitätsberufen (BARS) abschließen. Auch heute noch finden Verhandlungen statt, um die verbleibenden Lücken zu schließen, wie beispielsweise im wachsenden – und nicht selten prekären – Sektor der Abfallwirtschaft.

Existenzsichernd?

Eine Reihe von Branchen zeigt aber, dass der Abschluss eines Kollektivvertrages leider nicht immer damit gleichzusetzen ist, dass die Betroffenen existenzsichernde Einkommen erhalten. So gibt es Kollektivverträge, in denen zwar jährliche Abschlüsse erreicht wurden, aber auf niedrigem Niveau. Dazu kommen Kollektivverträge, in denen das letzte Mal vor mehreren Jahren ein Lohnabschluss verzeichnet werden konnte.

Das betrifft etwa das KosmetikerInnengewerbe, wo die Lohntafel in den 1990ern gekündigt wurde und nur noch für jene Beschäftigten gilt, die damals schon im Betrieb waren.

Auch die als Selbstständige selbst in Kammern organisierten BerufsvertreterInnen nehmen es mit der existenzsichernden Bezahlung ihrer MitarbeiterInnen nicht immer so ernst: So hängen Kanzleikräfte bei RechtsanwältInnen in Wien seit 2009 bei einem Einstiegs-Mindestlohn zwischen 1.023,50 und 1.201,00 Euro fest. Seitdem verweigern die ArbeitgebervertreterInnen trotz anhaltender Proteste einen weiteren Abschluss. Im Burgenland liegen die Löhne unter 1.000 Euro, in der Steiermark erfolgte der letzte Abschluss im Jahr 1992 noch in Schillingbeträgen. Auch für Zahnarzt-Angestellte heißt es seit 2015 „bitte aussetzen“.

„Für gute Leute muss man ohnehin zahlen“: So oder so ähnlich lauten die Argumente jener Arbeitgeberverbände, die sich mit Händen und Füßen weiterhin gegen einen (aktuellen) Kollektivvertragsabschluss wehren. Ein Beispiel dafür ist die Werbewirtschaft, wo nach wie vor nur in Wien ein Kollektivvertrag existiert – einer, der noch dazu besser heute als morgen weg sollte, wenn es nach dem Willen mancher Branchen-Arbeitgeber geht.

Spitze des Eisbergs

Dort, wo es einen Betriebsrat gibt und der Betrieb gut organisiert ist, ist es tatsächlich nicht unüblich, mittels Betriebsvereinbarung und innerbetrieblicher Gehaltstabellen einheitliche, gute Standards zu regeln. Doch von der Spitze des Eisbergs lässt sich bekanntermaßen in den seltensten Fällen auf sein Fundament schließen: Wenig überraschend dienen arbeitsrechtliche Schutznormen – und dazu zählen Mindestlohnvorschriften – vor allem jenen, die es sich nicht „selbst richten können“.

Und sie sind ein wesentliches Instrument überbetrieblicher Interessenvertretungen, um einen Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern und ArbeitnehmerInnen zu schaffen. Schließlich darf auch nicht vergessen werden, dass kollektive Mindestnormen auch dem Interesse der Arbeitgeber dienen: Sie schützen vor unlauterer Konkurrenz durch Lohndumping.

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