Hamburger Hafen: Wenn der Tarifstreit politisch wird

Ein Containerriese der chinesischen Reederei Cosco im Hamburger Hafen. Verdi wirft Cosco Tarifbruch vor.
Ein Containerriese von Cosco im Hamburger Hafen. | © Adobestock/Peter
Die Gewerkschaft ver.di wirft der chinesischen Reederei Cosco Tarifbruch im Hamburger Hafen vor. Doch es geht nicht nur um Beschäftigung und Geld, sondern um ein Politikum.
Der Anfang ist schnell erklärt. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) wirft der chinesischen Reederei Cosco Tarifbruch im Hamburger Hafen vor. Konkret geht es darum, dass in den Augen der Gewerkschaft heimische Hafenarbeiter:innen (mit Tarifvertrag) für die Sicherung der Container auf Schiffen zuständig sind. Die Reederei sagt, dass auch die (günstigeren) Seeleute, die ohnehin an Bord sind, diesen Job machen können. Theoretisch könnte sich das Problem leicht lösen lassen. Doch die Gewerkschaft will langfristige Lösungen in einer politisch und wirtschaftlich sehr komplexen Gemengelage.

Ver.di wirft Cosco Tarifbruch vor

Um zu verstehen, warum ver.di Cosco Tarifbruch vorwirft, braucht es etwas Angeberwissen zur Container-Logistik. Die Sicherung der Container übernehmen sogenannte Lascher. In Hamburg machen diesen anstrengenden Job 500 Männer und Frauen, die allesamt in der deutschen Hansestadt wohnen und von deutschen Unternehmen angestellt sind.

Sie laschen die Container unter anderem auf zwei Arten von Schiffen. Zum einen auf den bekannten Containerriesen. Sie fassen etwa 20.000 TEU (Twenty-Foot Equivalent Unit). Also 20.000 Container mit einer Länge von 20 Fuß (das sind die etwas kleineren Versionen, die sich als Urmeter durchgesetzt haben). Die Lascher müssen hier auch deswegen die Container sichern, weil die Besatzung eines solchen Schiffs nicht groß genug ist, um es selbst zu tun.

Ein Feederschiff im Hamburger Hafen. Verdi wirft Cosco hier Tarifbruch vor.
Das ist ein sogenanntes Feederschiff – ein Containertaxi. | © Adobestock/Carl-Jürgen Bautsch

Zum anderen gibt es sogenannte Feeder. Das sind Containertaxis, die im Fall von Cosco rund 1.600 TEU aufnehmen. Diese Container transportieren sie dann zu anderen Häfen, an denen sie auf einen der großen Frachter umgeladen werden. Zum Beispiel nach HaminaKotka in Finnland. In den Augen von Cosco können die Seeleute hier die Container auch selbst sichern. Das sieht die Gewerkschaft nicht gern, kommt aber unregelmäßig vor.

Lebensgefahr bei der Containersicherung

Das Laschen ist für die Gewerkschaften ein wichtiger Punkt. Weil es – wird es falsch gemacht – ein gefährlicher Job ist. Markus Wichmann ist Inspektor bei der International Transport Workers‘ Federation (ITF) und für Hamburg zuständig. Er erzählt, dass im erwähnten Finnland rund fünf Monate im Jahr Eis auf den Containern ist. Die Seeleute müssen dann in Ausnahmesituationen bei Regen und Seegang auf der Nordsee die Container sichern. Mehrmals im Jahr kommt es dabei zu tödlichen Unfällen, so Wichmann.

Kein Wunder also, dass die Gewerkschaften etwas angefasst reagieren, obwohl es in Hamburg lediglich um ein Schiff geht. Die „Baltic Shearwater“ legt für Cosco alle zwei Wochen in der Hansestadt an. Im schlechtesten Fall, so Wichmann, würde dieses Beispiel Schule machen und als Vorbild für andere Reedereien dienen.

Entsprechend deutlich wird ver.di bei den Vorwürfen gegen Cosco. „Das Vorgehen von Cosco stellt einen Angriff auf die Tarife dar und wird von ver.di als Tarifbruch im Hafen angesehen. Wir fordern Cosco auf, dieses Vorgehen zu unterlassen“, sagt André Kretschmar. Er ist bei ver.di Hamburg der zuständige Bereichsleiter für die maritime Wirtschaft. Und weiter: „Ohne Not wird hier versucht, die Transportkosten auf Kosten der Sicherheit von Kolleg:innen an Bord und an Land zu drücken.“

Streit um den Tarifvertrag

Doch ganz so eindeutig ist der Fall nicht, obwohl Diamond Line – eine deutsche Tochtergesellschaft von Cosco – den Feeder betreibt. Das Laschen der Container bestellen die Reeder nämlich nicht bei den Firmen, die die Arbeit durchführen, sondern bei der Hamburger Hafen und Logistik Aktiengesellschaft (HHLA AG). Das Logistikunternehmen ist für den Hafenumschlag zuständig und betreibt drei der vier Containerterminals in Hamburg.

Und die HHLA sieht den Fall anders als ver.di. „Grundsätzlich haben Reedereien bei der Abfertigung von Feederschiffen im Hamburger Hafen die Möglichkeit, die Tätigkeit des Laschens selber zu übernehmen oder bei HHLA zu beauftragen“, heißt es in einer Stellungnahme gegenüber Arbeit&Wirtschaft. Das würde bedeuten, dass es auch keinen Tarifbruch gibt.

Ver.di, Cosco und die Rechtsfragen

Genau das möchte ver.di allerdings ändern. „Jetzt muss die hiesige Politik aktiv werden, und endlich die gesetzliche Grundlage schaffen, dass derartiges Sozialdumping im Hamburger Hafen illegal wird,“ fordert Kretschmar. Das wiederum ginge, den politischen Willen vorausgesetzt, relativ leicht. Der Hamburger Senat, also die zuständige Landesregierung, müsste lediglich die Hafenordnung ändern. Zwar greift ver.di direkt Cosco an, der Vorwurf richte sich aber auch an den Senat, erläutert Kretschmar im Gespräch mit Arbeit&Wirtschaft.

Die Zentrale der Gewerkschaft verdi in Berlin von außen. Verdi wirft Cosco Tarifbruch vor.
Die Gewerkschaft ver.di streitet sich mit Cosco, im Hamburger Hafen geht es aber um mehr. | © Adobestock/Ina Meer Sommer

In anderen Häfen, vor allem in Spanien, gibt es entsprechende Vorgaben schon. Das Laschen, das Festmachen oder auch das Schleppen übernehmen die Hafenarbeiter:innen vor Ort und unterliegen einer Tarifbindung. „Reviertätigkeit“ nennt Kretschmar das. Sie würde auch die Seeleute entlastet. In Holland gibt es sogar einen Gerichtsbeschluss, der das Laschen durch Hafenarbeiter:innen vorschreibt. Ein vergleichbarer Prozess in Deutschland hat noch kein Ergebnis in die eine oder andere Richtung gebracht.

Cosco zwischen den Fronten

Hinter den Vorwürfen von ver.di gegen Cosco dürfte aber deutlich mehr stecken als das Laschen eines einzigen Feeders. Zumal Cosco betont, dass es keine Grundsatzentscheidung gäbe, den Feeder von den eigenen Seeleuten laschen zu lassen, sondern es von Fall zu Fall entschieden werden würde. Doch der Hamburger Hafen sorgt seit Jahren für eine Dauerbeschäftigung der Gewerkschaft. Zunächst gab es öffentliche Diskussion darüber, ob Cosco (viertgrößte Reederei der Welt) Anteile an einem Terminal kaufen dürfte.

Nach Debatten über den Einfluss chinesischer Investoren auf kritische Infrastruktur wurde die Höhe der Anteile auf 24,9 Prozent begrenzt. Durch die Minderheitsbeteiligung hat Cosco keinen Einfluss auf strategische Entscheidungen. Jüngst kam es außerdem zu Streitigkeiten, weil die Mediterranean Shipping Company (MSC) – die weltweit größte Reederei – 49,9 Prozent am Hafenbetreiber HHLA übernehmen durfte.

MSC in der Kritik

Die Vorwürfe gegen MSC sind zahlreich. So kooperiert MSC sehr eng mit Cosco. Im Jahr 2021 verklagte ein amerikanischer Möbelhersteller die beiden Reedereien wegen Preisabsprachen. Cosco einigte sich außergerichtlich, MSC musste eine Million Dollar zahlen. Kritiker:innen befürchten, dass durch die enge Kooperation Cosco durch die Hintertür mehr Einfluss auf den Hamburger Hafen erhalten könnte. Im Jahr 2022 machte die Nachrichtenagentur Bloomberg publik, dass das sogenannte „Balkan-Kartell“, ein europäisches Drogennetzwerk, primär MSC-Schiffe für seine Distribution nutzen würde und dafür sogar mehrere Arbeitnehmer:innen von MSC angeworben habe.

Bereits im Jahr 2019 beschlagnahmten US-Behörden 20 Tonnen Kokain an Bord eines MSC-Schiffes. Das sind Drogen im Wert von 1,3 Milliarden Dollar. Gegen die Reederei gibt es eine Strafforderung in Höhe von 700 Millionen Dollar. Schon jetzt nimmt der Hamburger Hafen in der europäischen Drogenszene eine wichtige Rolle als Umschlagplatz ein.

Ver.di und die Zukunft des Hamburger Hafens

Am Hamburg Hafen hat ver.di aufgrund der Übernahme in erster Linie Angst um Arbeitsplätze. Entsprechend geht auch bei der Frage des Laschens ein Vorwurf in Richtung des neuen Investors. „Heute Cosco, morgen MSC?“, fragt Kretschmar eher rhetorisch. MSC und die Stadt Hamburg wollen den Hafen zukunftsfit machen. Das bedeutet Automatisierung und Digitalisierung. 450 Millionen Euro Eigenkapital stehen für die Modernisierung zur Verfügung. „Ver.di lehnt den Verkauf von HHLA-Anteilen und damit den Verkauf öffentlichen Eigentums an private Investoren grundsätzlich ab“, ließ die Gewerkschaft mitteilen. Allerdings lobt ver.di, dass viele konstruktive Gespräche stattgefunden hätten. So gab es erste Garantien von MSC – betriebsbedingte Kündigung schloss das Unternehmen in den ersten fünf Jahren aus.

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Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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