Polizei mit Nebenjobs: Tupperware vom Kommissar

Nebenjobs bei der Polizei: Security, Tupperware & Kosmetika
Illustration (C) Miriam Mone
Rund jede*r siebte bis zehnte Polizist*in in Österreich geht einer Nebentätigkeit nach. Eine Spurensuche, die zu einer Reform der Schwarz-blauen Regierung im Jahr 2003 führt.
Willkommen in der Vergangenheitsbewältigung. Sie musste kommen. Dass jetzt ausgerechnet die Polizei Österreich zu ihrem Epizentrum wird, konnte keiner ahnen. Ein Job bei ihr kann anstrengend und gefährlich sein. Es ist ein Beruf, der in der Öffentlichkeit dennoch nicht immer den besten Ruf genießt. Trotz dieser enormen Belastung gehen zwischen zehn und 15 Prozent der Polizist*innen in Österreich einer Nebentätigkeit nach, schätzt Josef Sbrizzai, stellvertretender Vorsitzender des Fachausschusses der Landespolizeidirektion Wien der sozialdemokratischen Gewerkschafter*innen. Der Grund dafür sei auf die Schwarz-blaue Regierung zurückzuführen.

Ein bedeutender Teil des Gehalts von Polizist*innen geht über das reine Grundeinkommen hinaus, erklärt Sbrizzai: „Das Gehalt ist zu großen Teilen auf Zulagen und Überstunden aufgebaut. Wenn du keine Überstunden machen kannst, oder verletzt bist, sinkt dein Gehalt um etwa ein Drittel. Das gibt es in Österreich ungefähr seit dem Jahr 2000. Diese Bestrafungen bei Krankenstand hat damals die Schwarz-blaue Regierung eingeführt.“

Wer bei der Polizei im Außendienst unterwegs ist, sei nicht selten zwölf Stunden am Stück eingespannt. Überstunden, die der Arbeitgeber mit 400 bis 600 Euro extra pro Monat versüßt. Dazu kommen Gefahren- und Nachtschichtzulagen. „Zulagen und Überstunden machen einen großen Anteil aus“, fast Sbrizzai die Situation zusammen. Auch das Sicherheitspersonal kennt diese Probleme.

Überstunden auf der Kippe

Aktuell bestehe jedoch die Gefahr, dass die Bezahlung der Überstunden gekippt werden könnte. „Es heißt, dass die Überstunden reduziert oder in Zeitausgleich umgewandelt werden sollen. Dass man sie jedenfalls nicht mehr bezahlt bekommt“, befürchtet Sbrizzai. Noch ist es nur ein Gerücht, doch zukünftigen Änderungen steht er eher skeptisch gegenüber. Auch wenn es bei Polizist*innen nicht um Existenzängste ginge, so sei doch ein großer Teil des Gehalts in Gefahr.

Das ist so, wie wenn der Dalai Lama fordert, die katholische und die evangelische Kirche zusammenzulegen.

Ernst Strasser, ehem. Innenminister (ÖVP) zur Zusammenlegung von Polizei und Gendarmerie

Hintergrund ist, dass sich die letzte Reform im Jahr 2003 nachgerade als Katastrophe für die Beamt*innen auf der Straße entpuppt habe. Damals noch unter Innenminister Ernst Strasser (ÖVP) in einer Schwarz-blauen Regierung wurden Polizei und Gendarmerie zur Bundespolizei zusammengefasst. Dass ausgerechnet Strasser dieses Projekt umsetzte, ist zumindest ironisch. Artikulierte er doch keine drei Jahre zuvor seinen Unmut über diese Idee folgendermaßen: „Das ist so, wie wenn der Dalai Lama fordert, die katholische und die evangelische Kirche zusammenzulegen.“

Planstellen gestrichen

Auf die Karrieremöglichkeiten von Polizist*innen hatte das erhebliche Auswirkungen: „Der berufliche Aufstieg wurde stark eingeschränkt, weil viele Planstellen gestrichen wurden“, erläutert Josef Sbrizzai von den sozialdemokratischen Gewerkschafter*innen. Damit ginge vielen Beamt*innen auch die Planungssicherheit verloren. Sie verdienen nicht automatisch über die Jahre mehr.

In einem Aufwasch kürzte Schwarz-blau damals auch das Gehalt. „Vorher hat ein Schüler auf der Polizeischule netto 1.200 Euro verdient, danach hat er nur noch 800 Euro gekriegt. Dadurch ging auch die Qualität der Bewerber*innen zurück“, führt Sbrizzai weiter aus. Doch er gibt sich kämpferisch: „Wir versuchen seit dem Jahr 2000 das Rad zurückzudrehen. Es geht aber nicht. Da wurden zu viele Sachen kaputtgemacht.“

Daten: Fehlanzeige

Die Folge der Gehaltskürzungen, der Krankenstands-Bestrafungen und der ungewissen Überstunden-Situation ist, dass aktuell ein erheblicher Anteil der Polizist*innen einem Zweitberuf nachgeht. Sbrizzai: „Das ist alles nicht durch Zahlen, Daten und Fakten belegt. Aber ich schätze, dass zehn bis 15 Prozent der Polizist*innen einen Nebenjob haben.“

Ich schätze, dass zehn bis 15 Prozent der Polizist*innen einen Nebenjob haben.

Josef Sbrizzai, FSG-GÖD

Tatsächlich ist es schwer, an entsprechende Daten zu kommen. Dabei gibt es sie. Das Bundesministerium für Inneres teilt auf Anfrage mit, dass eine Nebenbeschäftigung grundsätzlich gemeldet und geprüft werden müsse. Eine zentrale Statistik gäbe es jedoch nicht. Jede Landesdienststelle würde die für sich führen. Die Landespolizeidirektion Wien teilt jedoch mit, dass bei diesen Statistiken ein „Österreichbezug“ bestehen würde, weswegen das Bundesministerium zuständig sei. Vorsichtshalber gibt niemand die Daten weiter.

Tags bei der Polzei, abends Security

Die aktuellste Statistik geht auf eine parlamentarische Anfrage von Neos-Nationalrat Nikolaus Scherak aus dem Jahr 2015 zurück. Die ehemalige Bundesinnenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) musste damals einräumen, dass rund zehn Prozent aller Beamt*innen einen Nebenjob hätten. So waren zu dieser Zeit beispielsweise 196 Polizist*innen allein bei Sicherheitsunternehmen beschäftigt.

Ein Trend, den es heute noch gäbe, bestätigt Sbrizzai: „Das Sicherheitsbedürfnis der Menschen trägt dazu bei, dass man mehr in Sicherheitssysteme investiert wird und in dem Bereich sind sehr viele tätig.“

Polizei Hamburg in den Schlagzeilen

Zum Vergleich lohnt sich ein Blick nach Deutschland. Hamburg hat in etwa so viele Einwohner*innen wie Wien. Wegen der Nebenjobs von Polizist*innen war die Stadt Anfang Dezember 2020 in den Schlagzeilen. Die Deutsche Presse Agentur (DPA) hatte vermeldet, dass 14 Prozent der Beamt*innen Nebenjobs nachgehen. Weil diese Zahl überraschend hoch ist, griffen viele Medien sie auf, ohne sie jedoch zu prüfen.

Dabei wäre das notwendig gewesen. Denn in dieser Zahl sind auch alle Ehrenämter enthalten: die Mitarbeit in der Gewerkschaft der Polizei Hamburg, das Engagement beim Technischen Hilfswerk oder Posten als Fußballtrainer. Auch werden in Hamburg reichlich Krimiserien gedreht (Notruf Hafenkante, Soko Hamburg, Großstadtrevier…). Auch Positionen als Komparsen flossen so in die Statistik mit ein. Klassische Nebenjobs, um sich das Gehalt aufzubessern, finden sich dagegen nur wenige.

Doch natürlich gibt es sie unter diesen 14 Prozent. Ein*e Polizist*in in Ausbildung verdient in der Hansestadt 1.250 Euro brutto pro Monat. Berufsanfänger*innen bekommen ein Grundgehalt von 2.500 Euro brutto. Zulagen, die wie in Österreich zu erheblichen Gehaltssteigerungen beitragen können, sind da noch nicht mitgerechnet. In einer Stadt, die für ihre hohe Mieten bekannt ist, kann das Geld dennoch schnell knapp werden. Um sich einen besseren Urlaub oder ein Auto leisten zu können, würden sich manche Polizist*innen deswegen etwas dazuverdienen, erklärt Lars Osburg von der Gewerkschaft der Polizei in Hamburg gegenüber Arbeit&Wirtschaft.

Interessenskonflikte ausgeschlossen

Als Kellner*in beispielsweise, als IT-Techniker*in oder beim Umparken von Fahrzeugen für Autovermietungen. Bei den Jobs gelten die gleichen Vorgaben, die auch in Österreich gelten. Berufe, bei denen ein Interessenkonflikt bestehen könnte, sind ausgeschlossen. So dürfen Polizist*innen weder in Österreich noch in Deutschland nebenbei als Taxifahrer*in arbeiten. Zu häufig sind die Beamt*innen während ihres Dienstes mit dieser Berufsgruppe in Kontakt.

„Metropolzuschlag“: Vorschlag der deutschen Polizeigewerkschaft für zusätzliche monatliche Zahlungen in Ballungsräumen zum Ausgleich höherer Lebenskosten.

Eine Idee, um vor allem jungen Polizist*innen in Hamburg zu helfen, sei der so genannte „Metropolzuschlag“, erklärt Osburg weiter. Dabei handelt es sich um eine monatliche Zahlung, die rund 250 Euro betragen könnte. Er könnte für Angestellte in besonders teuren Regionen wie Hamburg, München oder Frankfurt eingeführt werden. Eine offizielle Gewerkschaftsforderung ist diese Sonderzahlung allerdings nicht. Immerhin: In Berlin gibt es bereits den „Hauptstadtzuschlag“.

Sowohl in Hamburg als auch in Österreich gilt, dass Polizist*innen sehr flexibel sind, was die Ausübung von Nebenberufen betrifft. Weil sich Tages- und Nachtdienste abwechseln würden, hätten die Arbeitnehmer*innen tagsüber mitunter viel Zeit, sich einem Hobby oder eben einem Nebenberuf zu widmen, erklärt Josef Sbrizzai, stellvertretender Vorsitzender des Fachausschusses der Landespolizeidirektion Wien der sozialdemokratischen Gewerkschafter*innen.

Tupperware, Nahrungsergänzungsmittel, Kosmetika

Wie auch in Hamburg würden die Polizist*innen nicht nur aus der Not heraus einen Zweitjob annehmen, erklärt Sbrizzai. Oft gehe es darum, einem Hobby verstärkt nachzugehen – beispielsweise Kommunalpolitik oder ein ehrenamtliches Engagement – oder sich außerhalb des Alltags etwas zu gönnen. So sei unter Polizist*innen der Anteil derer, die Tupperware, Nahrungsergänzungsmittel oder Kosmetika von zu Hause aus verkaufen würden, genauso hoch wie in der Zivilbevölkerung.

Trotz aller Probleme seit der Reform und der unsicheren Überstunden-Situation sind Polizist*innen in Österreich dennoch weit davon entfernt, echte Existenzängste zu haben. Deswegen halte sich auch der Arbeitsaufwand für die Gewerkschaften in Grenzen. So gibt es weder Beratungs- noch Hilfsangebote, weil es dafür schlichtweg keine Nachfrage gäbe. Klar ist laut Sbrizzai aber auch: „Aus gewerkschaftlicher Sicht sollten Polizist*innen die Zeit dazu nutzen, sich zu entspannen oder auszuruhen und nicht dazu, einer zusätzlichen Tätigkeit nachzugehen.“

Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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