Interview: Aus der moralischen Entrüstung gehen

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Der Ökonom und Kulturhistoriker Walter Ötsch nähert sich dem Populismus, indem er eine Innenperspektive einnimmt und so populistische Methoden und Muster ausfindig macht. Entrüstung über PopulistInnen hält Ötsch für nicht hilfreich, denn sie mache die demokratischen Kräfte handlungsunfähig.

„Die Elite“, die PopulistInnen gerne als Gegnerin ansehen?

Genau, es gibt keine Elite, sondern Eliten. Die linke Kritik an Eliten in der Mehrzahl wird vom Rechtspopulismus als Kritik an „der Elite“ in der Einzahl reformuliert. Dabei werden unterschiedliche Gruppen zusammengemischt: die Bürokratie in Brüssel, die kritischen Journalisten und unabhängigen Medien, die anderen Parteien, die „das System“ vertreten, und alle „Gutmenschen“, die ja eigentlich amoralisch sind, weil sie Moral nur vortäuschen, aber nicht wirklich besitzen. Diese „Elite“ hat sich gegen „uns“ verschworen. Im Rechtspopulismus werden unterschiedliche, durchaus widersprüchliche Verschwörungstheorien für wahr gehalten. Für jedes Problem gibt es statt sachlicher oder systemischer Gründe namentlich genannte Sündenböcke.

Können Sie das anhand eines Beispiels erklären?

Die idealen Sündenböcke sind Asylsuchende, „Asylanten“ genannt. Sie vereinen viele Teile der „Anderen“. Sie repräsentieren zum einen „die da draußen“, sind also per se eine Bedrohung. Sie werden von „denen da oben“, also der Regierungselite in der EU und der eigenen Regierung, bewusst ins Land gelassen. „Die wollen uns umvolken“, heißt es dann von AfD und FPÖ. Und sie bilden, wenn sie im Land sind, „die da unten“, „Sozialschmarotzer“, die als Arbeitslose oder Sozialempfänger die Staatskasse belasten. In dieser Erzählung können alle sozialen Fragen als nationale Fragen neu gedeutet werden. Die Empörung zum Beispiel über gesunkene Lebenschancen oder eine drohende Altersarmut hat ihre Schuldigen gefunden. Es gibt keine strukturellen Ursachen, sondern Personen, die als Schuldige fungieren. Und gegen diese muss mit allen Mitteln gehetzt werden.

Wen meinen PopulistInnen dann, wenn sie vom „Volk“ sprechen?

Man muss nur nachdenken, wer von Populisten alles als „Volksfeind“ deklariert, also vom Volksbegriff ausgeschlossen wird: erstens die ganze kritische Intelligenz, die Wissenschafter, Medienleute, die Linken sowieso, Künstler und so weiter. Das ist genau genommen die Mehrheit der Bevölkerung. Aber Populisten glauben trotzdem, sie sprechen für das Volk. Das zeigt sich auch daran, wie zum Beispiel eine Partei wie die FPÖ auf Wahlergebnisse reagiert. Denken Sie an die letzte Bundespräsidentenwahl und das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer: Wenn die Freiheitlichen 50,5 Prozent erreichen, ist das in ihren Augen ein Ausdruck des Volkswillens. Wenn sie 49,5 Prozent haben, ist es ein Ausdruck einer Manipulation durch „das System“.

Das kommunizieren sie so.

Ja, aber das denken sie auch. Sie denken: Wir sind die Mehrheit. Und wenn wir gewinnen, muss das der Ausdruck des „Volkswillens“ sein. Jedes andere Ergebnis kann nicht stimmen, weil „wir“ „das Volk“ in seiner Mehrheit vertreten. Geht die Wahl zu ihren Ungunsten aus, spielen sie jedes Mal die Betrugskarte aus. Donald Trump hat gesagt, fünf Millionen Stimmen, die an Hillary Clinton gegangen sind, waren Fake. Im populistischen Denken ist das logisch.

Aber sind solche Behauptungen nicht Teil einer Kommunikationsmasche?

Mein Ansatz ist der verstehende Ansatz, nicht die Abwertung. Abwertung ist zwar berechtigt, kann aber das Verstehen erschweren. Um zum Beispiel die US-Wahlen zu verstehen, muss man auch darüber nachdenken, was Hillary Clinton falsch gemacht hat.

Was ist das aus Ihrer Sicht?

Sie hat die Enttäuschung in der Bevölkerung und die Wut von unten nicht verstanden und ausschließlich die Moralkeule gezückt. Das heißt, sie hat das demagogische Spiel „Wir sind die Guten und die sind die Bösen“ umgedreht. Aber ich kann den Teufel nicht mit dem Beelzebub austreiben. Erstens ist es unehrlich – wir sind nicht die Guten – und zweitens ineffizient. Anstatt einen Moraldiskurs zu führen und die politischen Gegner abzuwerten, muss man ein tieferes Verständnis aufbringen und eigene Ziele und Absichten in den Vordergrund stellen.

Müssen die Linken auch populistischer werden, um die Menschen zu erreichen?

Das glaube ich nicht. Ich glaube, der entscheidende Punkt ist gar nicht so sehr die Methode und der Diskurs, sondern die Zukunftsfantasie. Der letzte Punkt in unserem Buch handelt von der Krise von Zukunftsbildern. Wenn die These stimmt, dass der untere Teil der Mittelschicht Angst um seine Kinder hat, dann haben diese Menschen negative Zukunftsbilder. Diese sprechen die Populisten an, indem sie den Menschen eine gute alte Zeit vorgaukeln – und zwar jeder auf seine Art: Die Tea Party verweist auf die Gründungsväter, Marine Le Pen auf die Sechzigerjahre, wo es noch Kolonien gab, Viktor Orbán auf Ungarn in den Grenzen 1867. Das sind Fantasien einer guten alten Zeit, die es niemals gegeben hat. Und diese Vergangenheitsfantasie wird als – nicht einlösbare – Verheißung in die Zukunft projiziert.

Negative Zukunftsbilder sind aber nicht nur unter PopulistInnen und ihren AnhängerInnen verbreitet.

Ein positives Zukunftsbild können nur Menschenfreunde entwerfen. Wenn die Sozialdemokratie oder andere Richtungen das verstehen, wird der Rechtspopulismus wieder verschwinden. Er hätte dann seine historische Aufgabe erfüllt. Gelingt es aber nicht, positive Zukunftsbilder zu entwerfen und dafür Projekte zu formulieren, dann drohen eskalierende Spiralen einer faktenfreien Politik mit immer mehr Hetze und propagandistischem Nebel. Aspekte davon kann man bei den Klimaleugnern studieren, die im Rechtspopulismus und auch in der FPÖ vertreten sind. Fakten und Realität sind hier durch Meinungsmache und Propaganda ersetzt.

Von
Alexandra Rotter

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 8/17.

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Über den/die Autor:in

Alexandra Rotter

Alexandra Rotter hat Kunstgeschichte in Wien und Lausanne studiert. Sie arbeitet als freie Journalistin in Wien und schreibt vor allem über Wirtschaft, Gesellschaft, Technologie und Zukunft.

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