Interview: Aus der moralischen Entrüstung gehen

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Der Ökonom und Kulturhistoriker Walter Ötsch nähert sich dem Populismus, indem er eine Innenperspektive einnimmt und so populistische Methoden und Muster ausfindig macht. Entrüstung über PopulistInnen hält Ötsch für nicht hilfreich, denn sie mache die demokratischen Kräfte handlungsunfähig.

Würden Sie diese These unterschreiben: Weil sich manche Menschen in der Demokratie nicht mehr wahrgenommen fühlen, wenden sie sich PopulistInnen zu?

Wir haben eine mehrfache Systemkrise, die große Krise im Hintergrund ist die ökologische Krise. Die konkretere Krise ist jene des Wirtschafts- und Finanzsystems, die sich 2008/09 gezeigt hat. Ihre Folgen sind nicht überwunden, das Finanzsystem ist weiterhin hochgradig instabil. Diese Krise wurde auch nicht von der Politik erklärt. Eine ihrer Folgewirkungen war das Erstarken des Rechtspopulismus: Man fordert auf einer symbolischen Ebene ein Primat der Politik ein. Das ist 2009 in den USA mit der Tea Party und 2013 in Deutschland mit der AfD geschehen.

Wie ist das zu verstehen?

Auf die Krise 2008/09 wurde zum einen in der Geld- und Fiskalpolitik aktivistisch reagiert, mit historisch einmaligen Summen. Zum anderen wurde aber auf einer regulativen Ebene zuerst ungemein viel versprochen – denken Sie an die ersten G-20-Tagungen –, de facto aber wenig umgesetzt. Statt öffentlich die Strukturen des Finanzsystems zu thematisieren, wurde die Krise intern als Liquiditätskrise verstanden und mit einer enormen Zufuhr von Liquidität durch die Zentralbanken gedämpft. Das Platzen der Blase 2008 wurde mit dem Aufbau einer noch größeren Blase beantwortet, die nächste Finanzkrise ist vorprogrammiert.

Angesichts der größten Wirtschaftskrise seit 1945 hat die Politik vor den Mächtigen im Finanzsystem kapituliert. Viele Menschen haben das dumpfe Gefühl, dass „die Politik“ handlungsunfähig geworden ist und sie die Folgen der Krise zu zahlen haben – beides ist richtig. Diese Stimmung wendet sich jetzt gegen die demokratischen Strukturen insgesamt. Ihre Handlungsunfähigkeit wird durch die offizielle Austeritätspolitik noch beschleunigt. Im Hintergrund gibt es also ein Politikmodell, das auf die Einschränkung und das Niederfahren des Sozialstaates ausgerichtet ist und dessen Versagen sich in der Krise 2008 manifestiert hat, das aber gleichzeitig von sich selbst behauptet, es sei alternativlos.

Was Sie beschreiben, klingt nach einer eingefahrenen Situation, die erst recht nach Alternativen schreit.

Dass politisch aus einer solchen Situation eine Krise der Repräsentation entstehen würde, wurde von kritischen Wissenschaftern und Wissenschafterinnen schon lange vorhergesagt, etwa in der These der Postdemokratie. Ein Teil der Bevölkerung fühlt sich von der Politik nicht mehr repräsentiert. Dieser Teil wächst langsam. Immer mehr greift eine Stimmung um sich bzw. wird eine grundsätzliche Verstimmung hörbar, die im Kern durchaus verständlich ist.

Foto (C) Michael Mazohl
„Ein positives Zukunftsbild können nur Menschenfreunde entwerfen. Wenn die Sozial­demokratie oder andere Richtungen das verstehen,
wird der Rechts­populismus wieder verschwinden. Er hätte dann seine
historische Aufgabe erfüllt.“

Man sollte also bei den Grundproblemen ansetzen, um letzten Endes PopulistInnen den Wind aus den Segeln zu nehmen?

Ja, wir bräuchten eine Politik, die die längerfristigen Ursachen des Rechtspopulismus wie die zunehmende Ungleichheit angeht und nicht nur die kurzfristigen Auslöser wie eine plötzliche große Zuwanderung. In unserem Buch haben wir uns ein bescheideneres Ziel gesetzt: Wie kann man kurzfristig mit populistischen Angriffen umgehen? Wie reagiere ich auf eine Beschimpfung? Dieses Wissen ist immer noch wenig verbreitet. Ulrike Lunacek hat zum Beispiel in einer Puls-4-Debatte Heinz-Christian Strache mit moralischen Vorwürfen überhäuft. Aber das umgekehrte Spiel „Wir, die Guten, retten die Demokratie vor den bösen Populisten“ funktioniert nicht. Ein Strache ist besser im Beschimpfen, das hat er 20 Jahre lang trainiert. Daran ist auch Hillary Clinton gescheitert. Ich muss mich also von diesem Diskurs zur Gänze lösen und auf eine Metaebene gehen und die Muster benennen: „Das ist das, was Sie immer machen, ich erwarte gar nichts anderes, bitte beschimpfen Sie mich.“ Gelassen zu bleiben und keinen Ärger zu zeigen ist die richtige Haltung, und so ruhig erklären, warum und wie gefährlich eine rechtspopulistische Politik ist.

Das Wort Populismus leitet sich vom „Volk“ ab. Müsste es nicht eigentlich etwas Gutes sein, wenn PolitikerInnen etwas „für das Volk“ tun?

Es geht nicht um das Volk in der juristischen Bedeutung, sondern um „das Volk“ im Populismus: als homogene Einheit, die einen einzigen „Volkswillen“ besitzt, den ausschließlich ein „Volksführer“ oder eine „Volksführerin“ kennt und zum Ausdruck bringt. Volk im Sinne einer Bevölkerung ist etwas anderes. Artikel eins der österreichischen Verfassung lautet: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“ Norbert Hofer hat aber fälschlicherweise plakatiert: „Das Recht geht vom Volk aus.“ Das ist genau der Unterschied. Die Verfassung benennt erstens die Staatsform, die demokratische Republik, und zweitens deren Rechtssetzung durch die Bevölkerung. Strache und Co. reklamieren aber für sich „das Volk“ mit seinem „Volkswillen“ und stellen sich als sein Sprecher dar. Aber so etwas wie einen Volkswillen gibt es nicht. Und genauso wenig wie es „das Volk“ als homogene Einheit gibt, gibt es „die Elite“.

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Über den/die Autor:in

Alexandra Rotter

Alexandra Rotter hat Kunstgeschichte in Wien und Lausanne studiert. Sie arbeitet als freie Journalistin in Wien und schreibt vor allem über Wirtschaft, Gesellschaft, Technologie und Zukunft.

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