Historie: Achtstundentag und Kollektivvertrag

Mit diesem Plakat feierte der ÖGB, dass die Ein­führung der 40-Stunden-Woche 1975 abgeschlossen und die entsprechende Novelle zum Arbeits­zeit­gesetz in Kraft getreten war. Das schrittweise ­Vorgehen ­ermöglichte, dass auch die ArbeitnehmerInnen aus schwächeren Wirtschafts­bereichen in einer überschaubaren Zeit einbezogen werden konnten.
Ohne Kollektivverträge würde es in Österreich keinen Achtstundentag geben, das Gesetz fixierte das Ergebnis der KV-Verhandlungen.
1950 hingen in den Betrieben ÖGB-Wandzeitungen mit einem großen roten Pfeil. Der Pfeil deutete auf das Foto einer Uhr, deren Zeiger auf halb fünf standen und damit das Arbeitsende nach acht Stunden und einer halben Stunde Pause anzeigten. Auf dem roten Hintergrund knallte in weißer Schrift So geht die Uhr richtig! Die Botschaft neben der Grafik lautete:

Den Achtstundentag haben in langen und andauernden Kämpfen die Gewerkschaften errungen. Die gesetzliche Sicherung durch das Arbeitszeitgesetz fehlt aber noch! Aber auch das werden wir erringen!

Diese Botschaft zeigt an, dass die geschichtliche Entwicklung das Rad in Sachen Arbeitszeitverkürzung zurückgedreht hatte. Das Parlament der jungen österreichischen Republik hatte ja als einen seiner ersten Beschlüsse 1918 schon provisorisch den Achtstundentag eingeführt und diesen Beschluss 1919 bestätigt – damit war eine der wichtigsten politischen Forderungen der Gewerkschaftsbewegung nach dreißig Jahren erfüllt. Selbst unter Diktatur und Faschismus blieb der Achtstundentag zunächst unangetastet. Aber als während des Zweiten Weltkriegs die Arbeitskräfte knapp wurden, versuchte die nationalsozialistische Verwaltung das Problem nicht nur durch den Einsatz von Zwangsarbeitern zu lösen, sondern auch durch die Verlängerung der täglichen Arbeitszeit auf elf Stunden. In den ersten Jahrzehnten der Zweiten Republik scheiterte die Wiedereinführung des Achtstundentags an der Blockade durch die Arbeitgeberseite.

Unter diesen Bedingungen griffen die Gewerkschaften auf die vor 1918 angewendete Strategie der Arbeitszeitregelung durch Kollektivvertrag zurück. Dieses Ziel war 1950 flächendeckend erreicht, während die Forderung nach einem guten Arbeitszeitgesetz noch lange unerfüllt blieb. Auch das nächste Ziel der ÖGB-Gewerkschaften, die Verkürzung der Wochenarbeitszeit zunächst auf 45, dann auf 43 Stunden, wurde über Kollektivverträge durchgesetzt. Als 1970 endlich das neue Arbeitszeitgesetz auf Basis der bisherigen KV-Vereinbarungen in Kraft trat, musste es gleich wieder novelliert werden – ein neuer General-KV zwischen ÖGB und Wirtschaftskammer fixierte in diesem Jahr die Einführung der 40-Stunden-Woche bis 1975.

Bei den Novellen zum Arbeitszeitgesetz stand der Achtstundentag lange außer Streit – im Gegenteil: Angesichts der wieder steigenden Arbeitslosigkeit verlangten und erreichten die Gewerkschaften bis Mitte der 1980er-Jahre in KV-Verhandlungen für den Großteil der ArbeitnehmerInnen eine Wochenarbeitszeit von weniger als 40 Stunden. Aber in den 1980er-Jahren fasste die neoliberale Ideologie in der Gesellschaft Fuß, und statt um Arbeitszeitverkürzung ging es ab jetzt um die Verteidigung des Erreichten. Verbunden mit der Forderung nach flexiblerer Arbeitsorganisation wurde versucht, das Arbeitszeitgesetz und die Position der Gewerkschaften zu unterlaufen. Der ÖGB konnte solche Versuche seit 1997 abwehren, der Achtstundentag blieb in Geltung und Flexibilisierungen werden weiter über KV geregelt – und nicht per Gesetz.

Ausgewählt und kommentiert von
Brigitte Pellar
Historikerin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 7/17.

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Über den/die Autor:in

Brigitte Pellar

Brigitte Pellar ist Historikerin mit dem Schwerpunkt Geschichte der ArbeitnehmerInnen-Interessenvertretungen und war bis 2007 Leiterin des Instituts für Gewerkschafts- und AK-Geschichte in der AK Wien.

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