Drohungen, Schläge und Belästigung – Herbstlohnrunde im Niedriglohnsektor dringend nötig

Ein Putzeimer wird von einer Frau getragen. Im Niedriglohnsektor hat die Herbstlohnrunde begonnen.
In der Herbstlohnrunde für den Niedriglohnsektor geht es um mehr als Geld. Die Arbeitsbedingungen müssen besser werden. | © Adobestock/natali_mis
Die Gewerkschaft vida startet mit dem Niedriglohnsektor in die Herbstlohnrunde. In der Reinigung, der Fahrradzustellung und der Bewachung treffen teils fragwürdige Arbeitsbedingungen auf schlechte Bezahlung.
Im Niedriglohnsektor spüren die Beschäftigten die enorme Inflation der vergangenen Monate besonders. Bei Einstiegslöhnen unter 2.000 Euro brutto bleibt angesichts steigender Mieten und Lebensmittelpreise kaum etwas zum Leben. Vorschläge, wie der von Kanzler Karl Nehammer, dass die Kinder armer Menschen einfach Burger essen sollen, verschlimmern die Situation zusätzlich. Denn Betroffene können nach solchen Sätzen nicht auf Hilfe der Politik hoffen. Umso mehr sind die Gewerkschaften gefragt, in der Herbstlohnrunde ein faires Ergebnis auszuhandeln.

Niedriglohnsektor startet in die Herbstlohnrunde

Im Niedriglohnsektor herrschen Arbeitsbedingungen, die oft wenig mit einer würdevollen Beschäftigung zu tun haben. So klagen Reinigungskräfte über sexuelle Belästigung und Schmerzen in den Beinen. Fahrradzusteller:innen über eine engmaschige Überwachung und teils lebensbedrohliche Verkehrssituationen. Im Überwachungsdienst kommt es häufig zu Gewalt am Arbeitsplatz – von Bedrohungen und Beleidigungen bis zu physischen Angriffen. Kein Wunder also, dass die Gewerkschaft vida hier dringenden Handlungsbedarf sieht und überpünktlich in die aktuelle Herbstlohnrunde startet.

So vielschichtig die Probleme sind, so differenziert sind auch die Lösungsansätze der Gewerkschaft vida. Basis ist eine Abgeltung der rollierenden Inflation (9,2 Prozent) und ein Reallohnzuwachs, um die Kaufkraft zu erhalten. Das bedeutet einen Mindestlohn von 2.000 Euro für Fahrradzusteller:innen und Reinigungskräfte, sowie 2.100 Euro für das Bewachungsgewerbe. Darüber hinaus müssen die Arbeitgeber auf die branchenspezifischen Probleme eingehen.

Zusätzliche Forderungen für die Reinigungsbranche

Bei den KV-Verhandlungen in der Reinigungsbranche geht um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von 54.000 Beschäftigten. Zwei Drittel davon sind weiblich und der Teilzeitanteil hoch. „Reinigung hat ihren Wert und die Beschäftigten haben ihren Preis. Sie haben sich mehr Respekt und bessere Arbeitsbedingungen verdient“, fasst Olivia Janisch die Situation in der Branche zusammen. Sie ist die Stellvertretende Vorsitzende und Bundesfrauenvorsitzende der Gewerkschaft vida.

  • Einführung eines gestaffelten Lohnsystems, das sich nach Faktoren wie Berufserfahrung, Qualifikation und Aufgabenbereich orientiert.
  • Gewährleistung der Arbeitszeitreduzierung ohne Einbußen beim Lohn.
  • Erweiterung der Erholungsmöglichkeiten, um der wachsenden Arbeitsbelastung und -verdichtung entgegenzuwirken.
  • Option zur Erhöhung der Arbeitsstunden für Mitarbeiter in Teilzeit.
  • Stärkung der Wahrnehmung und Anerkennung von Reinigungskräften durch ihre Präsenz auch während der Hauptgeschäftszeiten und nicht lediglich in den Randstunden des Tages.

Zusätzliche Forderungen in der Bewachungsbranche:

Im vergangenen Jahr konnte die Gewerkschaft bereits einen Mindestlohn von 2.000 Euro in der Bewachungsbranche durchsetzen. Doch die Inflation nagt dennoch an der Kaufkraft. Dazu kommen die schlechten Arbeitsbedingungen. „Mit unseren weiteren Forderungen hoffen wir auch, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehalten bzw. neu in die Branche geholt werden können. Dazu müssen auch die Arbeitsbedingungen verbessert werden: Arbeitszeit reduzieren, garantierte freie Wochenenden, mehr Pausen- bzw. Erholungsmöglichkeiten, Nachtarbeitszuschlag sowie Zuschläge für kurzfristige Dienstplanänderungen“, sagt Gernot Kopp. Er ist der Verhandlungsleiter für die Branche.

  • Arbeitszeiten reduzieren, insbesondere da aktuell bis zu 48 Stunden wöchentliche Normalarbeitszeit erlaubt sind, um auch der hohen Mitarbeiterfluktuation entgegenzuwirken.
  • Jedes Wochenende als garantierte freie Zeit etablieren.
  • Erhöhte Möglichkeiten für Pausen und Erholung bieten.
  • Zuschläge für Nachtarbeit einführen.
  • Bei kurzfristigen Änderungen des Dienstplans zusätzliche Vergütungen gewähren.
  • Als Zeichen der Wertschätzung zusätzliche Freizeit- oder Urlaubstage anbieten.

Zusätzliche Forderungen für die Fahrradzustellungsbranche

„Ziel der vida ist es, dass die freien Dienstverträge weiter zurückgehen und Scheinselbständigkeit zu bekämpfen. Faire und fixe Löhne im Rahmen eines festen Dienstverhältnisses binden die Beschäftigten an die Betriebe und senken die Personalfluktuation“, fasst Toni Pravdic, der Verhandlungsleiter für den Kollektivvertrag, die Forderungen zusammen. Es geht auch darum, den Beschäftigten mehr Sicherheit zu bieten. Einerseits mit Hinblick auf den Arbeitsplatz, andererseits auch körperlich. Schlechtes Wetter und gefährliche Verkehrssituation sind nun mal Alltag. Dafür müssen die Unternehmen passende Rahmenbedingungen bieten.

  • Zulagen für erschwerte, gefährliche und schmutzige Arbeitsbedingungen einführen.
  • Die Vorbereitungs- und Abschlusszeiten von Diensten in die entlohnte Arbeitszeit integrieren.
  • Den Einsatz von Scheinselbstständigkeit und freien Dienstverträgen verhindern.
  • Die Anzahl der Festanstellungen erhöhen.

Herbstlohnrunde im Niedriglohnsektor: Kohlen aus dem Feuer holen

Für die Gewerkschaft vida liegt angesichts der Arbeitsbedingungen und Bezahlung im Niedriglohnsektor der Fall klar. Sie müsse für die Regierung die „Kohlen aus dem Feuer“ holen. „Und unser Auftrag als Gewerkschaft ist es, dafür zu sorgen, dass arbeitende Menschen nicht ärmer werden, und dabei schließe ich auch harte Auseinandersetzungen mit den Arbeitgebern nicht aus“, betont Roman Hebenstreit, der Vorsitzende der Gewerkschaft vida. Alle News zur Herbstlohnrunde 2023 gibt es hier. Die ersten Verhandlungsrunden der Metallindustrie deuten auf einen heißen Herbst hin.

Die nächsten Verhandlungsrunden im Überblick:

Reinigungskräfte:
  • Donnerstag, 9. November 2023
  • Dienstag, 28. November 2023
  • Donnerstag, 30. November 2023

Bewacher:innen:

  • Donnerstag, 2. November 2023
  • Dienstag, 21. November 2023

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Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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