Roman Hebenstreit im Interview: Verteilungskampf wird härter

Roman Hebenstreit sitzt auf einem Sessel und führt ein Interview.
"Wir sehen, dass es sich aufgrund der explodierenden Preise für immer mehr Menschen nicht mehr ausgeht", Roman Hebenstreit im Interview mit Arbeit&Wirtschaft. | © Markus Zahradnik

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  1. Seite 1 - Existenzsicherung in Krisenzeiten
  2. Seite 2 - Es geht nicht nur um Geld
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Roman Hebenstreit ist Vorsitzender bei der Gewerkschaft vida. Er hat eine mühsame Herbstlohnrunde hinter sich. Ein Interview über KV-Verhandlungen in Krisenzeiten.
Die Gewerkschaft vida und damit auch Roman Hebenstreit standen während der Herbstlohnrunde im Scheinwerferlicht. Weil die Arbeitgeber:innen den Verhandlungstisch verlassen hatten, kam es bei der Bahn zu einem 24-stündigen Warnstreik. Wegen der Inflation sind aktuell viele KV-Verhandlungen eher mühsam. Vor allem bei den Unternehmen hat sich ein extrem rauer Ton eingeschlichen. Im großen Interview mit Arbeit&Wirtschaft erklärt Roman Hebenstreit, wie Gewerkschaften in so einer Situation reagieren können.

Zur Person
Roman Hebenstreit, Jahrgang 1971, ist Vorsitzender der Gewerkschaft vida und Konzernbetriebsratschef beim ÖBB. Der gelernte Maschinenschlosser und frühere ÖBB-Triebfahrzeugführer steht in der Herbstlohnrunde bei den Eisenbahnern im Mittelpunkt.
Arbeit&Wirtschaft: Wie ist Ihr Ausblick für die kommenden Wochen, für die nächsten Monate, fürs nächste Jahr.

Hebenstreit: Wir sehen, dass es sich aufgrund der explodierenden Preise für immer mehr Menschen nicht mehr ausgeht. Die zentrale Frage wird lauten, wer bezahlt diese Krise? Die, die sich’s leisten können, oder die, die sich nicht wehren können? Als Gewerkschaft stehen wir auf der Seite derer, die sich nicht wehren können. Letztendlich sind wir es, die versuchen sie zu organisieren und sie dadurch zu ermächtigen. Der Verteilungskampf wird härter werden. Die steigenden Energiepreise werden einen dauerhaften Druck auf Gewinne erzeugen. Damit wächst der Druck auf die Löhne. Gespickt mit Rekordinflation und demografischem Wandel eine toxische Mischung.

Sie meinen es wird häufiger zu Konflikten kommen?

Ich glaube, die politisch Verantwortlichen unterschätzen die Dimension und die Wechselwirkungen der aktuellen Entwicklung. Die Kosten steigen weiter und es wird immer knapper. Im Frühjahr schlagen die Strompreiserhöhungen und mit Jahreswechsel die nächsten Mieterhöhungen durch. Wir hören aus dem Bankensektor, dass die kleinen Sparvermögen zunehmend verbraucht und Kreditrahmen erschöpft sind. Und da kommt es dann zu den ersten wirklich schmerzhaften Einschnitten, bei Dingen, über die man bisher vielleicht nicht täglich nachdenken musste. Etwa, was mache ich mit meinem laufenden Kredit? Kann ich mir irgendwie ohne Auto oder Zweitauto Mobilität organisieren? Welche Freizeitaktivitäten schränke ich ein?

Für diese Einschnitte werden die Menschen die Politik verantwortlich machen. Der Großteil der Bevölkerung hat inzwischen das Gefühl, dass die Regierung nicht imstande ist, nachhaltig etwas gegen die Inflation zu tun. Ständig wird von Ausgleichsmaßnahmen geredet, aber abseits verpuffender Einmalzahlungen, Gutscheinen und Bonuszahlungen geschieht defacto nichts, was die Inflation tatsächlich dämpfen würde.

Was heißt das umgelegt auf die Gesamtsituation vor dem Hintergrund der KV-Verhandlungen?

Als vida organisieren wir einen erheblichen Teil des sogenannten Niedriglohnsektors. Da bewegen wir uns auf Grund der hohen Inflation in den Verhandlungen im Spannungsbogen zwischen Existenzsicherung und einem fairen Anteil für jene, die in den vergangenen Monaten das Land am Laufen gehalten haben. Die Arbeitgeberseite ignoriert dabei bewusst oder unbewusst die zunehmend dramatische Lebenssituation der Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen. Zudem misst man nicht selten mit unterschiedlichem Maß. Erst unlängst hat mir eine Betriebsrätin erzählt, Berater hätten in ihrem Unternehmen für bestehende Aufträge eine Tariferhöhung von über 10 Prozent erhalten. Die Argumentation: Die Aufwendungen seien gestiegen, da das Büro des Beraters mit einer Gasheizung beheizt werde. Die Berater hatten mit einer No-Show, also dem Einstellen der Tätigkeit, gedroht, sollte die Tariferhöhung nicht akzeptiert werden. Übersetzt in Gewerkschaftsdeutsch heißt das, Streik!

Wie laufen die Verhandlungen aktuell in den unterschiedlichen Branchen?

Wir konnten in der Reinigung, Bewachung, Luftfahrt und in der Sozialwirtschaft über der durchschnittlichen Inflation abschließen. Wir verhandeln gerade intensiv in den privaten Spitälern. Am 23.11. gab es einen 3-stündigen Streik in den Wiener Ordensspitälern zur Durchsetzung der Lohnforderungen. Die Forderung lautete bei den Ordensspitälern – wie auch bei den Eisenbahnverhandlungen – einen monatlichen Fixbetrag zu erreichen, der kleine und mittlere Einkommen stärker entlasten würde als eine prozentuelle Erhöhung. In der Eisenbahnbranche sind die Verhandlungen leider recht rasch sehr konfrontativ geworden – bekanntlich bis hin zu einem Warnstreik am 28. November.

Wie wurde auf die Forderung nach einer monatlichen Erhöhung um einen Euro-Fixbetrag reagiert?

Mit der Forderung haben wir einigen auf der Arbeitgeberseite offensichtlich vor den Kopf gestoßen. Da hieß es dann, dass es nicht sein könne, dass eine Reinigungskraft gleich bewertet würde, wie etwa eine Führungskraft. Das provoziert natürlich die Antwort, dass beim Nahversorger an der Kasse kein Unterschied gemacht wird. Und wohl auch nicht beim Zahlen der Strom- oder Gasrechnung. Die Eisenbahnbranche floriert, im Personenverkehr kämpft man bekanntlich mit überfüllten Zügen. Der Güterverkehr auf der Schiene wird zunehmend gefordert, um die Klimawende zu stemmen. Weshalb sollten wir uns bei den Forderungen zurückhalten? Zudem kämpft auch diese Branche mit fehlenden Arbeitskräften und es wird im Verhältnis zur Industrie zum Teil einfach schlecht bezahlt.

Das heißt, die Krise macht sich bei den Eisenbahnen und im Transportbereich nicht bemerkbar?

Die Energiepreise belasten den Bahnsektor enorm. Wenn man sich hier nicht durchringt, die Energiekosten zu stützen, muss uns klar sein, dass der Schienengüterverkehr nicht überleben wird, vor allem nicht in Konkurrenz zum LKW. Hier muss strukturell etwas passieren. Diese Mängel können jedoch nicht am Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden, die in Überstunden versinken und gerade unglaubliche Flexibilität an den Tag legen.

Die wirtschaftlichen Ergebnisse sind gut und ich möchte nochmals betonen, dass es unter anderem die Beschäftigten der Eisenbahnen waren, die Waren und Menschen während der Pandemie mobil gehalten haben. Sie haben uns dabei geholfen, die Fluchtbewegungen der letzten Jahre zu stemmen, Rohstofftransporte sicherzustellen und vermeiden gerade Hungerkatstrophen, indem sie alles geben, um die Getreidemengen, die in den ukrainischen Häfen liegen, an ihre Bestimmungsorte zu bringen. Dafür gebührt ihnen nicht nur Dank, sondern auch eine faire Entlohnung für ihre Leistung.

Von Arbeitgeberseite wird immer wieder der Begriff des Leistungsträgers in den Debattenring geworfen und dass sich Leistung wieder lohnen müsse. Was ist Leistung und für wen hat sie sich in den letzten Jahren eigentlich gelohnt?

Besonders absurd in dieser Debatte ist, dass die Arbeitgeber immer vorrechnen, welche zusätzlichen Leistungen Arbeitnehmer:innen erhalten und welche Entlastungen vermeintlich in Aussicht gestellt werden. Gleichzeitig verschweigt man zur Gänze, was etwa auf Arbeitgeberseite passiert ist, etwa als es um die Kurzarbeit ging. Die Kurzarbeit war eine Überlebensmöglichkeit für die Beschäftigten. Aber sie war auch eine wirtschaftliche Stütze für die Arbeitgeber. In einigen Branchen haben wir erlebt, dass es zum Teil zu erheblichem Missbrauch gekommen ist. Es gibt einige Vertreter in den bekannten, verdächtigen Branchen, die in der Pandemie gemeint haben: „Beste Saison ever! Bitte den nächsten Lockdown!“  Und jetzt ist es wieder so. Die Maßnahmen für Unternehmen rücken in der Debatte kaum in den Mittelpunkt.

Woran denken Sie beispielsweise?

Etwa die Kürzung der Sozialkosten wie zum Beispiel die Arbeitgeberbeiträge zum Familienlastenausgleichsfonds. Oder die geplante Senkung der Körperschaftssteuer. Die Änderung des Blickwinkels reicht, um zu sehen, dass viele Abgaben, erwirtschaftet von Arbeitnehmer:innen, in den Kassen der Unternehmen bleiben. Mich persönlich ärgert dabei enorm, dass das medial nicht stärker thematisiert wird.

Und bezüglich des Leistungsbegriffs?

Der Leistungsbegriff ist grundsätzlich im Zusammenhang mit dem Thema Wert der Arbeit zu diskutieren. Wenn ich 40 Wochenstunden meiner Lebenszeit dazu beitrage, dass jemand durch meine Arbeitskraft wirtschaftliche Erfolge erzielt, dann stellt sich schlicht die Frage: Kann ich, mit dem Lohn, den ich bekomme, ein gutes Leben führen oder reicht es bloß zum Überleben?

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