Reportage Energiearmut: Dem Energiemarkt ausgeliefert

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  1. Seite 1 - Die Angst vor der kalten Wohnung
  2. Seite 2 - Mit Konzernprofiten gegen Energiearmut
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Immer mehr Menschen sind von Energiearmut betroffen. Sie können sich Strom, Wasser und Gas kaum noch leisten. Mit dem Ukraine-Krieg wird die Suche nach einem Ausstieg aus der Preisspirale noch dringlicher. Eine Reportage.

Energiearmut kommt häufig vor

Lea Laubenthal ist Teamleiterin bei der Sozialberatung der Caritas Wien. Beispiele wie jenes von Jacqueline Steiner kennt sie viele. „Die Anfragen steigen. Das liegt an den Auswirkungen der COVID-Pandemie, aber auch daran, dass die Energiepreise steigen. Die drei häufigsten Anfragen bei uns betreffen die Miete, den Lebensbedarf und den Strom.“ Problematisch sei, dass viele Betroffene in schlecht gedämmten Wohnungen leben würden. „Dadurch steigt natürlich der Energiebedarf beim Heizen. Manche versuchen auszuweichen, indem sie elektrische Heizstrahler anschaffen. Dadurch sinkt der Gasverbrauch, aber der Stromverbrauch steigt.“

Es gibt ein Recht auf Grundversorgung. dazu gehört auch der Kampf gegen Energiearmut.
Lea Laubenthal von der Sozialberatung der Caritas findet, dass das Recht auf Grundversorgung viel breiter kommuniziert gehört: „Vor allem im Herbst, wenn es kalt wird, ist das wichtig.“ | © Markus Zahradnik

Auch Lea Laubenthal sorgt sich vor dem Herbst. „Dann trudeln hier besonders viele Leute ein. Und die geopolitische Lage wird einen verschärfenden Effekt auf die Energiepreise haben. Es ist ein großes Problem, dass die Mindestsicherung gleich bleibt, aber die Kosten steigen. Das geht sich nicht aus.“

Recht auf Grundversorgung

Viele Menschen würden die Sozialberatung aufsuchen, wenn ihnen der Energieversorger Strom und Gas abgedreht hat. „Dabei gibt es in Österreich ein Recht auf Grundversorgung. Das weiß aber kaum jemand. Es wird auch völlig unzureichend kommuniziert. Außerdem muss erst umständlich ein Formular ausgefüllt werden, um in die Grundversorgung zu kommen.

Wir fordern, dass das automatisch passiert.“ Tatsächlich sind österreichische Energieversorger einem sogenannten Kontrahierungszwang unterworfen. Das bedeutet, sie haben eine Pflicht zum Vertragsabschluss. Energieversorger dürfen Strom und Gas abschalten, wenn der Kunde seine Rechnung nicht bezahlt. Jedoch können Verbraucher:innen die Wiederanschaltung erwirken, wenn sie sich bei ihrem Versorger auf die Grundversorgung berufen. Dafür müssen sie aber einen Teilbetrag im Voraus überweisen. „Hier versuchen wir bei der Caritas zu helfen“, so Laubenthal.

Mit Konzernprofiten gegen Energiearmut

Insgesamt 128.000 Haushalte waren es, die sich im vergangenen Winter das Heizen ihrer Wohnungen gar nicht oder nur selten leisten konnten. Der ÖGB hat deshalb die Forderung nach einem Winterpaket ins Spiel gebracht. Dessen Eckpunkte beinhalteten eine zeitlich begrenzte Preissenkung auf Strom und Gas für alle Haushalte, einen Abschaltestopp der Energieanbieter sowie einen Finanzzuschuss für die 400.000 finanzschwächsten Haushalte in Höhe von 120 Millionen Euro.

„Zur Finanzierung könnte man auch die durch die Krise entstandenen Sonderprofite der Energiekonzerne heranziehen“, meint Sandra Matzinger. „Vor allem Unternehmen aus dem Bereich der erneuerbaren Energien profitieren von den Preissteigerungen, da sie keine steigenden Kosten haben, aber dennoch zu Marktpreisen verkaufen. Hier könnte der Staat eingreifen.“

Preise runter – weg vom Gas

Nötig sei es auch, den Markt genauer zu beobachten. „Der hat im letzten Sommer nicht so funktioniert wie normal“, sagt Sandra Matzinger. „Der Gazprom-Konzern hat viel weniger eingespeist als eigentlich üblich. Zwar hat der Konzern seine langfristigen Verträge alle eingehalten, an den Spot-Märkten, an denen kurzfristige Geschäfte abgewickelt werden, aber nichts verkauft.“ In diesem Zusammenhang setzt sich die Arbeiterkammer für eine engmaschige Überwachung der Energiemärkte ein, auch um preissteigernde Spekulationseffekte besser überwachen zu können.

Das Thema brennt jedenfalls vielen Menschen unter den Nägeln. Schon knapp unter 25.000 Menschen haben eine Online-Petition des ÖGB mit der Forderung „Preise runter!“ unterschrieben. Dort wird unter anderem gefordert, die Preise für Energie und Treibstoff zu senken und die Mehrwertsteuer auf Öffi-Zeitkarten zu streichen. Stattdessen kommt von der österreichischen Bundesregierung nicht viel Konkretes.

Wegen der hohen Energiepreise müssen viele Menschen die Heizung abstellen.
| © Adobe Stock/Yvonne Weis

Das Energiepaket reicht nicht aus

„Das neue Energiepaket der Bundesregierung bewegt sich großteils auf Überschriftenniveau“, bemängelt Martin Reiter, Fachexperte im Volkswirtschaftlichen Referat des ÖGB. Kritisch sieht er, dass die Expertise der Arbeitnehmer:innenorganisationen nicht in Anspruch genommen werde. „Wir würden uns gerne mit unseren Vorschlägen einbringen, doch das geht nur, wenn wir als ÖGB dazu die Möglichkeit kriegen.“ Das scheint bislang nicht der Fall zu sein, der letzte Energiegipfel fand zwar mit Beteiligung der Energiekonzerne, aber ohne AK oder Gewerkschaften statt.

Jacqueline Steiner hat jedenfalls genug vom Gas. Und das nicht nur, wenn es um die Heizkosten geht: „Die Wartung der Gastherme kostet ja auch Geld. Aber ich weiß gar nicht, wie viele in meinem Gemeindebau sich das überhaupt leisten können. Dabei ist die Wartung ja wichtig. Immer wieder liest man von Explosionen. Auch das macht mir Angst. Eigentlich gehören die Thermen alle ausgetauscht.“ Wolfgang Linhart hofft derweil auf den Sommer: „Im April habe ich wieder einen Auftritt. Hoffentlich kann ich bald wieder mehr verdienen, um meine Rechnungen zahlen zu können.

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