Gierflation: Eure Dividende, unsere Teuerung

Bulle und Bär vor der Börse in Frankfurt. Symbolbild für die Gierflation.
Die Gierflation treibt die Teuerung an.. | © Adobe Stock/Petrus Bodenstaff
Die Gierflation treibt in Österreich die Teuerung an. Unternehmen erhöhen im Schatten der Inflation ihre Gewinnmargen massiv. So entsteht eine Gewinn-Preis-Spirale.
Wie beruhigend, wenn sich Expert:innen einig sind. Auf der Klausurtagung der Europäischen Zentralbank (EZB) präsentierten die Verantwortlichen Zahlen, die belegen, dass vor allem gestiegene Gewinne die aktuelle Inflation antreiben – nicht die Lohnforderungen. Das deckt sich mit den Beobachtungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo). „Firmen haben die Lage genutzt, um ihre Gewinne kräftig zu steigern“, fasst Joachim Ragnitz, stellvertretender Leiter der Ifo-Niederlassung in Dresden, seine jüngste Studie zusammen. Für Österreich hat das Momentum-Institut die entsprechende Rechnung angestellt. Weniger beruhigend sind angesichts der klaren Datenlage die Reaktionen aus der Politik. Die „Gierflation“, wie die steigenden Preise aufgrund enormer Gewinnmargen auch genannt werden, sei nur eine Annahme und noch nicht bestätigt, glaubt Arbeitsminister Martin Kocher. Die Datenlage sei noch nicht endgültig.

Was ist Gierflation?
Der Begriff Gierflation setzt sich aus den Worten Gier und Inflation zusammen. Er beschreibt die Tatsache, dass Unternehmen ihre Preise über die erhöhten Kosten hinaus erhöht haben, um ihre Gewinne zu steigern. Das hat die Teuerung angetrieben. In den USA gibt es den Begriff der „Greedflation“, hierzulande diskutieren Politik, Wirtschaft und Wissenschaft schon länger die Gewinn-Preis-Spirale.

Wie die Gierflation entsteht

Doch das ist so schlichtweg falsch. Schließlich sind die Ergebnisse von EZB, IFO und Momentum nicht aus der Luft gegriffen. Für den Zeitraum vom dritten Quartal 2019 und dem dritten Quartal 2022 ­­­– also innerhalb von drei Krisenjahren – hat das Momentum Institut Zahlen gesammelt, die eine eindeutige Sprache sprechen und einen Pfad zur „Gierflation“ nachzeichnen.

Ein Stromnetz im Winter. Symbolbild für die Gierflation.
Im Winter war es vor allem der energiesektor, der die Preise nach oben schnellen ließ. | © Adobestock/womue

Preiserhöhungen sind normal. Das machen Unternehmen jedes Jahr um 1,5 Prozent ­– also im Durchschnitt über die gesamte Wirtschaft betrachtet. Zumindest galt das vor der Coronapandemie. Vom dritten Quartal 2019 bis zum dritten Quartal 2022 betrugen die Preissteigerungen im Durchschnitt 10,2 Prozent. Doch auch hier gibt es Sektoren, die großzügiger anhoben:

  • Energiesektor (plus 42 Prozent)
  • Landwirtschaft (plus 36 Prozent)
  • Bau (plus 34 Prozent)
  • Handel, Verkehr, Gastronomie und Beherbergung (plus 19 Prozent)

Die entscheidende Frage ist, wie Unternehmen die gestiegenen Preise verwenden. Entweder sie geben sie in Form von Gewinnen und Dividende an die Besitzer weiter, oder aber, die Beschäftigten profitieren von höheren Löhnen. Gesamtwirtschaftlich ist die Rechnung ausgeglichen. Die erwähnten 10,2 Prozent basieren auf 5,6 Prozent für Gewinne und 4,6 Prozent für Löhne. So weit, so unspektakulär. In den betrachteten Sektoren ist der Anteil, von dem die Arbeitnehmer:innen profitierten, deutlich ungleicher verteilt (Werte gerundet).

  • Energiesektor (minus 1 Prozent für Arbeitnehmer:innen, 42 Prozent Gewinne)
  • Landwirtschaft (plus 3 Prozent für Arbeitnehmer:innen, 34 Prozent Gewinne)
  • Bau (plus 7 Prozent für Arbeitnehmer:innen, 27 Prozent Gewinne)
  • Handel, Verkehr, Gastronomie und Beherbergung (plus 7 Prozent für Arbeitnehmer:innen, 11 Prozent Gewinn)

Die Zahlen (Erhebung vom drittel Quartal 2019 bis zum dritten Quartal 2022) machen deutlich, warum die Gewerkschaften in der vergangenen Herbstlohnrunde vehement auf eine faire Bezahlung pochten. In anderen Sektoren haben die Beschäftigten stärker profitiert. In den Bereichen wirtschaftliche Dienstleistungen (plus 6 Prozent beim Lohn), Erziehung, Gesundheit und Verwaltung (plus 7 Prozent beim Lohn), in der Industrie (plus 9 Prozent beim Lohn) oder in der Information und Kommunikation (plus 14 Prozent).

Kurzum: Die gestiegenen Preismargen sind ungleich verteilt. Das zeigt sich bei den Gesamtprofiten noch deutlicher. Die Gewinne der Unternehmen stiegen um 18 Prozent. Allerdings wieder nur gesamtwirtschaftlich betrachtet, also im Durchschnitt. Einzelne Sektoren vergoldeten sich ihre Bilanzen während Corona, Krieg und Teuerung. Wenig erstaunlich, dass es wieder die gleichen Spitzenreiter sind wie zuvor:

  • Energiesektor (plus 82 Prozent Gewinn)
  • Bau (plus 71 Prozent)
  • Landwirtschaft (plus 40 Prozent)
  • Handel, Verkehr, Gastronomie und Beherbergung (plus 22 Prozent)

Christoph Badelt ist Chef des Fiskalrates. Er erklärte in der Pressestunde des ORF: „Wir wissen aus vielen Beispielen, dass sehr wohl Unternehmen die Situation der Stunde genutzt haben und Preise erhöht haben, ohne, dass das durch die Kosten oder nicht in dem Ausmaß, wie es mit von den Kosten gerechtfertigt gewesen wäre“.

Die Gierflation ist hausgemacht

Die Preisaufschläge samt gestiegener Gewinne zeigt aber ganz deutlich, dass diese Inflation hausgemacht ist. Das bedeutet, dass Unternehmen ihre Preise eben nicht mit teurem Gas aus Russland begründen können. Schon bei den gestiegenen Lebensmittelpreisen war klar, dass es für die Kosten keine physischen Gründe gibt, sondern vor allem Spekulationen die Preise nach oben treiben.

Wie hoch ist die Inflation in Österreich?
Die Inflation in Österreich betrug über das ganze Jahr 2022 durchschnittlich 8,6 Prozent. Allerdings hat die Teuerung Ende des Jahres deutlich an Fahrt aufgenommen. Im Februar 2023 lag die Inflation bei 11,0 Prozent und damit doppelt so hoch wie im Vorjahresmonat.

Inflation in Österreich:
  • April 2023: 9,8 Prozent
  • März 2023: 9,2 Prozent
  • Februar 2023: 10,9 Prozent
  • Januar 2023: 11,2 Prozent
  • Dezember 2022: 10,2 Prozent
  • November 2022: 10,6 Prozent
  • Oktober 2022: 11,0 Prozent
  • September 2022: 10,6 Prozent
  • August 2022: 9,3 Prozent
  • Juli 2022: 9,4 Prozent
  • Juni 2022: 8,7 Prozent
  • Mai 2022: 7,7 Prozent
  • April 2022: 7,2 Prozent

Entsprechend verschiebt sich auch der Einfluss der verschiedenen Faktoren. Während im Herbst und Winter, als die Preissteigerungen in Österreich erstmals zweistellig waren, noch Energie und Verkehr die Inflation anheizten, sind es jetzt Wohnen, Haushalt und Nahrungsmittel. Die Explosion der Mietkosten ergibt sich aus den gesetzlichen Indexanpassungen. Immerhin diese Daten scheint Kocher zu haben und als endgültig einzuschätzen. Schließlich verkündete er eine Idee, wie den Preissteigerungen beizukommen sei: „Das macht natürlich auch der Konsument, die Konsumentin, indem er oder sie billigere Angebote wählt“, empfahl er in einer Pressekonferenz. Die Kund:innen müssten also nur billiger einkaufen. So einfach kann es sein.

Oder eben nicht. Denn wie gezeigt, verteilen sich die gestiegenen Preise nicht gleichmäßig zwischen Profiten und Löhnen. Das führt zu einem enormen Verlust der Kaufkraft. Allein im Jahr 2022 sanken die Löhne pro Kopf preisbereinigt und netto um über drei Prozent, rechnet das Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) vor. Noch gar nicht einkalkuliert sind dabei die Inflation 2023 (Januar: 11,2 Prozent, Februar 10,9 Prozent), die erneut gestiegenen Mieten und Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind. Ein Umstand, den auch die EZB herausstreicht. Sie stellt – entgegen der Meinung österreichischer Wirtschaftsvertreter fest –, dass es keine Lohn-Preis-Spirale gibt. Was es gibt, ist eine Gewinn-Preis-Spirale.

Wegen hausgemachter Gierflation: Österreich Spitzenreiter bei Teuerung

Die Gierflation beinhaltet auch eine gute Nachricht: Die steigenden Preise sind keine Naturgewalt. Sie lassen sich beeinflussen. Das zeigt auch ein Blick auf die aktuellen Zahlen. Laut Eurostat lag die Inflation im Euroraum im Januar 2023 bei 8,5 Prozent. In Österreich bei 11,0 Prozent und damit höher als in allen anderen westlichen Ländern. Als Musterland im Kampf gegen die Inflation gilt Spanien (Inflation im Januar: 6,0 Prozent). Sophie Achleitner und Lukas Kafenda von der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der Arbeiterkammer Wien (AK), haben die beiden Maßnahmen gegen Teuerung der beiden Regierungen miteinander verglichen.

Wie hoch ist die Inflation im Euroraum?
Die Inflation im Euroraum betrug über das Gesamtjahr 2022 betrachtet durchschnittlich 8,5 Prozent. Wie auch in Österreich hatte sich die Teuerung zum Jahresende allerdings beschleunigt. Allerdings hat sie sich – anders als in Österreich – mittlerweile deutlich abgeschwächt.

Inflation im Euroraum:

  • September 2022: 9,9 Prozent
  • Oktober 2022: 10,6 Prozent
  • November: 10,1 Prozent
  • Dezember: 9,2 Prozent
  • Januar: 8,6 Prozent
  • Februar: 8,5 Prozent

Sie heben den Aspekt der Transferzahlungen heraus. Spanien hätte „insbesondere Haushalte mit niedrigen Einkommen durch Transferzahlungen unterstützt. Im Wesentlichen wurde dadurch versucht, das verfügbare Haushaltseinkommen zu erhöhen, Reallohnrückgängen entgegenzuwirken und manifeste Armut zu verhindern.“ In Österreich habe es hingegen vor allem Unternehmenssubventionen gegeben. Die zweite Maßnahme, die sich vergleichen lasse, seien Preiskontrolle und entsprechende Gegenmaßnahmen gewesen. In Spanien führten Preiskontrollen zu einer strikten Begrenzung der Mieterhöhungen, einer früh greifenden Strompreisbremse, subventionierten Fahrkarten für den öffentlichen Personennahverkehr und der Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel. Österreich verabschiedete hingegen nur sehr zögerlich eine im Umfang umstrittene Strompreisbremse. Mittlerweile ist Österreich das viertteuerste Land in der Euro-Zone – nur ins Finnland, Irland und Luxembourg sind die Lebenshaltungskosten höher.

Harte Kritik an der Regierung

Da andere Regierungen vorgemacht haben, wie sich die Inflation eindämmen lässt, wird die Kritik an der österreichischen Regierung immer lauter. „Die Teuerung bleibt in Österreich auf einem Allzeit-Hoch. Das liegt vor allem daran, dass Österreich immer noch zögert, preissenkende Maßnahmen zu ergreifen“, wirft beispielsweise Helene Schuberth der Koalition aus ÖVP und Grünen vor. Sie ist Leiterin der volkswirtschaftlichen Abteilung des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB). Und weiter: „Ein befristetes Aussetzen der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel in Verbindung mit einer Preisdatenbank und eine Preisregulierung für den Grundbedarf bei Strom, Gas und heizbasierten Energiesystemen sind das Gebot der Stunde.“

„Abzocken, bis es nicht mehr geht, das ist der österreichische Weg, der von der Bundespolitik offensichtlich mitgetragen wird. Ich fordere deshalb die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger auf, die Preistreibereien und Kriegsgewinnlereien zu stoppen und die Preise zumindest auf Energie und Grundnahrungsmittel zu regulieren, bevor die Inflation völlig entgleist“, fordert Erwin Zangerl scharf. Er ist Vizepräsident der Bundesarbeitskammer und Präsident der Tiroler Arbeiterkammer. „Die Politik ist nicht dazu da, um Energie-, Immobilien- und Lebensmittelkonzernen permanent unter die Arme zu greifen und ihnen zu noch mehr Profiten zu verhelfen, sondern sie hat dafür zu sorgen, dass sich die Bevölkerung gerade grundlegende Bedürfnisse leisten kann.“

Das Geld liegt auf der Straße

Die geforderten Maßnahmen kosten Geld, Österreich hat aber ein Einnahmeproblem. Denn 75 Prozent der Steuereinnahmen kommen von Abgaben auf Arbeit und Konsum. Unternehmensprofite und Körperschaftssteuer (KöSt) tragen lediglich 5,8 Prozent zum Haushalt bei. Anstatt dieses Verhältnis geradezurücken, hat die Regierung zum Jahreswechsel die KöSt gesenkt (von 25 Prozent auf 23 Prozent im Jahr 2024). Ein Steuergeschenk, das bis zum Jahr 2026 rund 1,9 Milliarden Euro kosten wird. Zur Erinnerung: Noch zur Jahrtausendwende lag dieser Steuersatz bei 34 Prozent. In den 1970ern und 80ern bei 55 Prozent.

Angesichts der Profite durch die Gierflation wäre natürlich auch eine Übergewinnsteuer angebracht. Als Österreich einen europäischen Minimalkonsens eingegangen ist, waren andere Länder politisch längst weiter und hatten bereits gute Erfahrungen gemacht und Geld gesammelt. Darüber hinaus fordern sogar wohlhabende Menschen in Österreich längst höhere Vermögensabgaben. Auch deswegen, weil sich der österreichische Fiskus eine Steuerlücke von 15 Milliarden Euro leistet. Geld ist da. Die Regierung ziert sich nur, es von Unternehmen und Wohlhabenden einzusammeln.

Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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