Coverstory: König Kunde oder Konsumtrottel?

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Zur ambivalenten Geschichte des VerbraucherInnenschutzes zwischen Rechtlosigkeit und Regulierungssucht, Konsum und Konsumkritik sowie menschlichem Kaufverhalten.

Konsumarbeit

Konsumieren ist eine aufwendige Tätigkeit geworden. Da wollen zunächst Informationen eingeholt werden: Testauswertungen, Kommentare lesen, Kostenvoranschläge einholen und vergleichen. Als nächster Schritt kommt die Qual der Wahl: Welches Produkt passt am besten zu meinen Bedürfnissen und zu meinem Budget? Soll man kaufen, leasen oder sharen? Wäre vielleicht eine Ratenvereinbarung vernünftiger? Direkt im Geschäft kaufen oder besser im Webshop? Und später: Wie pflege ich das Ding richtig, um es in Schuss zu halten? Und ist es schrottreif bzw. veraltet: Wie entsorge ich Mobiltelefon oder Fernseher korrekt (siehe auch Interview mit Sepp Eisenriegler)?

Das ist Konsumarbeit und den Zeitaufwand leisten dafür oft Frauen, unbezahlt, versteht sich. Durch „Prosumation“ steigt dieser Aufwand. Ob Online-Banking, Zugtickets kaufen, Rechnung selbst ausdrucken, tanken, Obst abwiegen oder Einzelteile zu Möbeln zusammenbauen: Der Trend zum/zur „selbstproduzierenden“ Kunden/Kundin als ausgelagertem Teil der Produktionskette geht weiter. Als digitale Crowd wird die Kundschaft zudem enger in Herstellungsprozesse eingebunden. Kommentare von UserInnen werden zum Zwecke der Marktforschung eingesetzt, inzwischen geht die Entwicklung bis hin zur Finanzierung alternativer Geschäftsideen durch Crowdfunding.

Konsumieren ist eine komplexe Form des Handelns. Es gibt Sicherheit, bietet Orientierung, schafft soziale Kontakte, stiftet Identität und ist eine „Kulturtechnik wie Lesen“. „Die Wahl der richtigen Pfeffermühle ist genauso ein Ausweis von Geschmack und Urteilskraft wie die Entscheidung für ein bestimmtes Buch“, meint der bayrische Kulturwissenschafter Wolfgang Ullrich.

Die bunte Vielfalt an Waren belastet aber auch: „Konsumdruck kann eine Quelle für Burn-out sein und fördert die soziale Spaltung.“ Stress und Zeitdruck reduzieren rationale Entscheidungen und machen Marken als Leitwährung und Werbung als „Kaufhilfe“ wichtiger. „80 Prozent der Kaufentscheidungen sind emotional“, meint der Neuroökonom Martin Lindmann. Je mehr Wahlmöglichkeiten, desto schwieriger wird es, vernünftig zu entscheiden, weil das Aufnahmevermögen von Informationen stark beschränkt ist (die „magische“ Sieben). In diesem Sinn gab der britische Verbraucherschutzrat einem Bericht den Titel: „Warning: too much information can harm!“.

Foto (C) Michael Mazohl

Politik mit dem Einkaufswagen

Der Gegentrend zu einer immer komplexer werdenden Konsumwelt ist der Trend zum Selbermachen, zu „Do it yourself“-Plattformen wie Pinterest bis hin zum Konsumverzicht der MülltaucherInnen.

Wem Konsumverzicht zu radikal ist, schließt sich eventuell einem Kaufboykott an. Als erfolgreiches Beispiel dafür gelten die Proteste gegen den Ölkonzern Shell Mitte der 1990er-Jahre. „Konsumerismus“ heißt, durch aktives Kaufverhalten Unternehmen zu nachhaltigen Veränderungen zu motivieren. Lassen sich so die Arbeitsbedingungen im globalen Süden verbessern? Das „Ja“ liegt etwa der Clean-Clothes-Kampagne für Näherinnen in Bangladesch zugrunde – allerdings erst nach dem Einsturz des Rana Plaza mit über 1.100 Toten. „Aber“ muss man wohl ergänzen, wenn man sich das Beispiel Waschnüsse vor Augen führt, die als ökologisches Waschpulver gelten. Der große Haken daran: Die stark gestiegene internationale Nachfrage führte dazu, dass indische Wäscherinnen diese nicht mehr bezahlen können und als Alternative auf billigere, schädlichere Waschmittel zurückgreifen.

So begrüßenswert es ist, wenn Unternehmen soziale Verantwortung (Corporate Social Responsibility) übernehmen und KundInnen bereit sind, für mehr zu bezahlen – Kontrolle und internationale politische Regulierung kann es nicht ersetzen.

Gläserne KonsumentInnen

Konsumentscheidungen werden immer komplexer und mit ihr wachsen die Anforderungen an den KonsumentInnenschutz. Diese Entwicklung beschleunigt die Digitalisierung der Konsumwelt. Längst geht es nicht nur um Betrugspotenziale beim Online-Kauf, Haftungsfragen bei Plattformen wie Airbnb, Helpling oder Uber, sondern um die Gefahr des „gläsernen Konsumenten“.

Datenschutz-Fragen sind die Menschenrechtsfragen des 21. Jahrhunderts: Die Verbraucherschutz-Aspekte von Big Data, Internet der Dinge oder Wearables (tragbare Datenverbindungen) müssen erst grundlegend abgesteckt werden. Mit jedem Online-Besuch weiß der Computer-Algorithmus mehr von uns, schlägt uns passende Bücher und profilgerechte Werbung vor. Das braucht staatliche Mindestregelungen und Bildung. Seitens der Sozialdemokratie und der Arbeiterkammer gab es immer wieder die Forderung nach einem Unterrichtsfach KonsumentInnenschutz, verbunden mit der unlängst angekündigten „digitalen Kompetenz“ bildet das eine starke Basis für selbstbewussten Konsum.

Von
Beatrix Beneder

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 1/17.

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