Telosa: Wenn Milliardäre Stadtplanung spielen

CGI Grafik von Telosa, die Wüstenstadt von Milliardär Marc Lore in der Wüste.
Telosa, die Retortenstadt in der Wüste. Vision für die einen, Dystopie für die anderen. | © Telosa
Telosa soll eine Stadt mit fünf Millionen Einwohner werden. Mitten in der Wüsste. Hinter den Planungen steht Milliardär Marc Lore. Die Dystopie zeigt, was in der Stadtplanung häufig falsch läuft. Ein Kommentar.
Marc Lore ist Milliardär. Er machte sein Geld mit dem Verkauf seiner Babyprodukte-Plattform Quidsi an Amazon (545 Millionen Dollar) und seiner E-Commerce-Plattform Jet an Walmart (3,3 Milliarden Dollar). Derart ausgerüstet reüssierte er auch als Risikokapitalgeber. Jetzt plant er, eine Fünf-Millionen-Stadt in der Wüste zu bauen. Sie soll Telosa heißen, etwa 400 Milliarden Dollar kosten und auch gleich ein „neues Gesellschaftsmodell“ sein. Eines, das zeigt, dass die Träume der einen die Dystopien der anderen sind. Die Frage, wie wir in Zukunft wohnen werden, ist zu wichtig, um sie Milliardären zu überlassen. Ein Kommentar.

Was ist Telosa?

Telosa soll eine Stadt in der Wüste werden. Im Jahr 2050 sollen dort fünf Millionen Menschen leben. Bei einer Präsentation kommentiert Lore die Pläne so: „Mit Telosa sind wir auf einer Mission, eine nachhaltigere Zukunft zu kreieren. Wir starten auf einem weißen Blatt Papier und haben die einmalige Gelegenheit uns darauf zu konzentrieren, was am wichtigsten ist. Wir bauen nicht nur eine neue Stadt. Das ist ein neues Gesellschaftsmodell.“ Doch so einfach ist Stadtplanung nicht.

CGI Grafik von Telosa, die Wüstenstadt von Milliardär Marc Lore in der Wüste.
Wenn die Hunger Games kommen, werden sie nicht sagen: „Wir sind die Hunger Games“. Sie werden sagen: „Wir sind ein neues Gesellschaftsmodell in der Wüste“. | © Telosa

Als Standort hat er sich das amerikanische Dreiländereck Arizona, Utah und Nevada ausgesucht, das nordöstlich von Las Vegas liegt. Zumindest theoretisch, denn ein konkretes Grundstück für den Plan gibt es noch nicht. Lore möchte insgesamt 150.000 Hektar bebauen. Das wäre die 3,6fache Größe von Wien (oder 210.000 Fußballfelder). Eine Stadt in der Wüste hat den Vorteil, dass die Grundstückspreise gering sind (anders als in Österreich) und mit wenig juristischem Gegenwind zu rechnen ist. Womit die Vorteile aber auch schon erschöpfend aufgelistet sind.

Wasser für Telosa

Ein Grund, warum sich der Grundstückskauf dennoch schwierig gestalten könnte, ist die Wasserversorgung. Es gibt in dieser Gegend keine Quelle, die eine Fünf-Millionen-Stadt versorgen könnte und sich dabei auf natürlichem Weg regeneriert. Drei Beispiele machen klar, wo das Problem liegt.

  • Zum einen Phoenix. In der Stadt in Arizona leben gerade einmal 1,6 Millionen Menschen. Die Stadt bezieht ihr Wasser einerseits aus dem rund 400 Kilometer entfernten Lake Mead. Dafür muss es bergauf gepumpt werden – das System wird von einem Kohlekraftwerk angetrieben. Lake Mead wiederum bekommt sein Wasser aus dem Colorado River. Weil in den Rocky Mountains aber immer weniger Schnee fällt, sinkt der Pegel in Lake Mead dramatisch ab. Genauso wie der des Grundwassers in der Phoenix Gegend – die zweite wichtige Wasserquelle. Es regnet in der Wüste schlichtweg zu wenig, um eine Stadt dieser Größe zu versorgen.
  • Der sinkende Pegel war so dramatisch, dass im Jahr 2022 diverse Leichen im Lake Mead auftauchten. Eine davon hatte eine Schusswunde und in Beton gegossene Beine. Die Nähe zu Las Vegas eröffnete viel Raum für Spekulationen.
  • Auch im Nachbarstaat Utah kennen die Anwohner:innen das Problem mit der Wasserknappheit. Im Jahr 2021 litt die Gegend unter der schlimmsten Dürre seit Aufzeichnung der Messwerte. Die extreme Trockenheit galt als Notfall. Spencer Cox, der (damals noch) zuständige Gouverneur, erlangte landesweite Berühmtheit, weil er die Lösung in einem „göttlichen Eingriff“ sah und deswegen die Bürger:innen, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, zu einem Wochenende des gemeinsamen Betens einlud.

Bevölkerungswachstum in Telosa

Wer die Wasserproblematik in der Wüste ignoriert, kann sich auf die Pläne des neuen „Gesellschaftsmodells“ konzentrieren. Lore möchte, dass sich zunächst 50.000 Menschen in Telosa ansiedeln. Der „Samen“, wie er es nennt, aus dem bis zum Jahr 2050 eine Fünf-Millionen-Stadt wachsen soll. Er wolle eine diverse Gruppe. Jeder sei willkommen und gebeten, sich einzubringen.

Mit divers ist allerdings nicht das Einkommen gemeint. Viele Menschen, die in den USA von Lohnscheck zu Lohnscheck leben, könnten sich nicht einmal einen Umzug innerhalb der Stadt leisten, in der sie gerade leben. Ein Wechsel in die Wüsten-Retortenstadt eines Milliardärs ist für sie undenkbar. Telosa dürften also vor allem Menschen aus der oberen Mittelschicht und ökonomisch noch besser gestellte Personen anziehen.

Für sie soll es, geht es nach den Plänen von Lore, erstklassige Bildung und medizinische Versorgung geben. Das bedeutet, dass etwa 50.000 Lehrer:innen und Lehrer und 25.000 Ärzt:innen gefunden werden müssten, die nach Telosa ziehen. Dazu kommen Pflegepersonal und Polizist:innen. Alles Bereiche, in denen es bereits in bestehenden und funktionierenden Städten eine starke Nachfrage gibt. Ganz abgesehen von Angestellten in Handel und Gastronomie.

Mobilität und Energie in Telosa

Laut Lore soll Telosa auf individueller Mobilität basieren. Es soll multifunktionale Pods geben, die sich als Auto, Tram und Helikopter fortbewegen können. Davon abgesehen, dass diese Art der individuellen Mobilität wahnsinnig ineffizient ist, gibt es die passende Technik nicht. In den CGI-Videos fahren und fliegen die Pods, obwohl sie weder Batterien noch Motoren haben. Darüber hinaus machen die fliegenden Autos – die wie Skilift-Gondeln an einer Drohne aussehen – keinerlei Geräusche. Doch der Lärm, den derart belastete Rotoren machen würden, wäre enorm.

CGI Grafik von Telosa, die Wüstenstadt von Milliardär Marc Lore in der Wüste.
Individuelle Mobilität durch flugfähige Pods (ohne Motor und Akku). | © Telosa

Immerhin hat die Wüste den Vorteil, dass es viel Wind- und Sonnenenergie gibt. Zumindest theoretisch. In den Werbevideos von Telosa ist allerdings zu sehen, dass die Windräder mitten in der Stadt stehen. Auch hier wäre die Lärmentwicklung enorm. Dazu kommen Vibrationen und die Tatsache, dass der Wind in der Stadt abgebremst wird.

Telosa ist eine Schnapsidee

Für die Ideen, die Lore mit Telosa hat, gibt es einen Fachbegriff – Elite Projection. Den prägte Jarrett Walker. Er ist Verkehrsberater und Buchautor. Unter Elite Projection versteht er, dass wohlhabende und einflussreicher Menschen glauben, dass deren bequemer Lebensstil auch für die Gesellschaft als Ganzes attraktiv sein müsse. Er sieht in diesem Denkfehler eines der größten Hindernisse bei der Entwicklung wohlhabender und gerechter Städte.

Mit Telosa macht Lore deutlich, was das in der Praxis heißen könnte. Hier ist ein Milliardär bereit, zum Wohle seiner Bezugsgruppe abertausende Beschäftigte in der kritischen Infrastruktur aus funktionierenden Städten abzuwerben, um damit eine Wüstenstadt zu beleben, die ihr Wasser anderen Städten in der Nachbarschaft wegnehmen muss.

CGI Grafik von Telosa, die Wüstenstadt von Milliardär Marc Lore in der Wüste.
Es gibt Gründe, warum Windräder nicht in der Stadt stehen. Marc Lore kennt sie nicht. | © Telosa

Auch andere Städteprojekte wie Neom (The Line) oder Mukaab machen bei genauerer Betrachtung einen eher dystopischen Eindruck. Wem das alles zu abstrakt ist, der möge das Burj Khalifa in Dubai als mahnendes Beispiel nehmen. Die Erbauer wollten zeigen, was Geld alles erschaffen kann. Sie haben sich nicht gefragt, ob das Projekt auch Sinn ergibt. Und so ist das höchste Gebäude der Welt, das Luxus repräsentiert, wie kein anderes, an kein Abwassersystem angeschlossen. Hunderte Tank-Lkw fahren Schleifen, um die Fäkalien abzutransportieren. Fast schon sinnbildlich. Aber immerhin: Lieber so das Geld investieren als mit einem Milliarden-Betrug auffliegen.

Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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