Stadtplanung muss die Menschen mitnehmen

Thomas Madreiter im Portrait. Interview über die Stadtplanung in Wien.
Thomas Madreiter ist Planungsdirektor der Stadt Wien. Er arbeitet an der Zukunft der Stadt. | © Markus Zahradnik

Inhalt

  1. Seite 1 - Stadt der Zukunft
  2. Seite 2 - Was tun, wenn Arbeitsplätze fehlen?
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Was bedeutet die Klimakatastrophe für die Stadtplanung? Wie können in einer schnell wachsenden Stadt ausreichend Arbeitsplätze entstehen? Thomas Madreiter, Planungsdirektor der Stadt Wien, erklärt im Interview die Herausforderungen und Lösungen.

Wien wächst. Derzeit leben in der Landeshauptstadt fast zwei Millionen Menschen. Allein im vergangenen Jahr kamen 50.000 hinzu. Gleichzeitig verschärft sich die Klimakatastrophe. Die Stadtplanung hat damit eine lang Liste an Herausforderungen. Vom Verkehr über Grünflächen bis zur Energieversorgungen. Daneben müssen der soziale Wohnbau vorangetrieben und Arbeitsplätze geschaffen werden. Im großen Interview mit Arbeit&Wirtschaft erklärt Thomas Madreiter, Planungsdirektor der Stadt Wien, wie das funktionieren kann.

Thomas Madreiter
ist Planungsdirektor der Stadt Wien. Er studierte Raumplanung und Raumordnung an der Technischen Universität Wien. Von 1995 bis 2001 war er Stadtplaner im Bereich der Stadtteilplanung. Anschließend wechselte er ins Büro der Geschäftsgruppe Finanzen, Wirtschaftspolitik und Wiener Stadtwerke. Im Jahr 2013 wurde er Leiter des Kompetenzzentrums in Wien, das für die Stadtplanung verantwortlich ist.
Was sind die großen gesellschaftspolitischen Aufgaben, wenn man von Stadtplanung spricht?

 Damit Stadtplanung in großem Maßstab wirken kann, muss die Gesellschaft in ihrer sozialen Breite mitgenommen werden. Ich glaube, das unterscheidet gute Stadtplanung von einer eher technokratischen. Gute Stadtplanung muss von den Zielgruppen, den Nutzer:innen und deren Diversität her gedacht werden. Insofern ist es auch eine soziale Stadtplanung.

Was macht soziale Stadtplanung aus? 

Ich kann das am Beispiel einer Platzgestaltung deutlich machen. Es gab Phasen, da hatte die Geometrie und die Materialität eine höhere Bedeutung als die Funktionalität in Bezug auf spezifische Zielgruppen. Jetzt ist das umgekehrt. Wir machen vorher soziale Analysen und beschäftigten uns mit der Frage des Umfelds. Welche konkreten Ansprüche haben eigentlich die Menschen, die hier wohnen, oder sich bewegen an diesen Raum? Das sind dann die Sitzgelegenheiten, Schattenplätze, Verweilzonen oder konsumfreie Bereiche. Es ist es notwendig, diese Perspektive einzunehmen.

Es gibt politische Rahmenbedingungen, die in die Stadtplanung hineinspielen. Auf österreichischer Ebene und auf EU-Ebene. Es ist ein komplexes System. Wie hat man darin ausreichend Handlungsspielraum?  

Indem wir uns umfassend den Kopf zerbrechen. Wien operiert schon seit vielen Jahrzehnten mit dem Instrument des Stadtentwicklungsplans. Den haben wir bereits vor 10 Jahren um eine langfristigere Planungs- und Entwicklungsstrategie ergänzt. Diese Smart-Klima-City-Strategie wurde vor einem Jahr aktualisiert und erweitert. Sie blickt bis ins Jahr 2040 voraus und so entsteht ein sehr konkretes Zielsystem mit daraus abgeleiteten Maßnahmenschwerpunkten.

Was fließt da in so eine Strategie alles mit hinein? 

Ganz verschiedene Aspekte. Im ersten Schritt versuchen wir, Trends zu erkennen und Themen weiterzuentwickeln. Das beginnt etwa beim Phänomen der Digitalisierung und geht bis zum demografischen Wandel. Ein Beispiel: Wir haben absehbar doppelt so viele Hochbetagte wie heute. Das macht etwas mit einer Stadt. Auch die Thematik der Work-Life-Balance oder der persönlichen Mobilität verändert sich. Dazu kommen externe Einflussfaktoren, von denen die Klimakrise sicherlich die wichtigste ist. Aus diesen Treibern versuchen wir eine kluge Strategie zu entwickeln, damit die Stadt bestmöglich mit diesen Anforderungen umgehen kann.

Gibt es eine Strategie, damit Grund und Boden leistbar bleibt?

Das ist ein wichtiger Aspekt. Wien betriebt seit Jahrzehnten strategische Bodenbevorratung und ist ein zentraler Akteur auf dem Markt. Andere Städte ­– also beispielsweise Berlin – blicken interessiert und teilweise auch neidvoll nach Wien. Denn Wien ist damit nicht den Schwankungen des Marktes in vollem Ausmaß ausgeliefert. Durch präzise landes gesetzliche Grundlagen une einem entsprechenden Verwaltungsvollzug versuchen wir, dem sozialen Anspruch an den Besitz von Grund und Boden zum Durchbruch zu verhelfen. So hat der Gemeinderat vor wenigen Jahren beschlossen, dass von zusätzlich gewidmetem Wohnbauland zwei Drittel gefördert realisiert werden. Das zeigt auch die internationale Führungsrolle der Stadt in der Bodenpolitik.

Abseits der Bodenpolitik, welcher Faktor spielt noch eine zentrale Rolle für die Zukunftsstrategie?

Die Klimakrise. Und das ist nicht lustig. Denn selbst wenn der globale Klimaschutz funktionieren sollte – und da gibt es gerade ganz andere Signale – wird es heißer in der Stadt. Nicht nur in Wien, in allen Städten. Darauf muss die urbane Raumentwicklung reagieren. Ich will mich jetzt gar nicht in Dystopien ergehen, aber man muss die Zeichen der Zeit erkennen und sich fragen, was die gravierenden Probleme sein werden und wie man sie löst. Dazu müssen etwa konkrete Lösungen her, um die Stadt abzukühlen. Wir müssen begrünen, wo immer es geht. Wir müssen Asphalt aufreißen, wo immer es geht. Das ist aber alles nicht einfach. Die Vorgangsweisen, Prozesse und sogar die Rechtsgrundlage muss geändert werden. In der Vergangenheit standen Robustheit und Praktikabilität von Oberflächen im Vordergrund – das können wir uns nicht mehr leisten. 

Heißt konkret?  

Wie kühle ich den öffentlichen Raum? Wie bringe ich im Sommer kühle Luft in die Stadt? Wie vermeide ich Gebäude mit einer schlechten Energiebilanz? Wie bringe ich die fossilen Energieträger raus? Diese Themen zeigen aber auch, dass es Lösungen gibt und Klimaschutz nicht mit Verzicht zu assoziieren ist. Mittels der Nutzung von Erdwärme in Kombination mit Fotovoltaik und Wärmepumpen können wir etwa nicht nur im Winter komfortabel heizen, sondern auch im Sommer die Räume kühlen.

Auch die Mobilität ist ein entscheidendes Thema.

Und eines, das stark polarisiert. Eine repräsentative Umfrage hat aber ergeben, dass 90 Prozent der Wiener:innen der Meinung sind, dass sie für die Bewältigung der persönlichen Mobilität in Wien kein Auto besitzen müssen. Die Frage ist, wie wir darauf reagieren. Es wird mittelfristig in Wien 100 Mobilstationen geben, wo es vom Mietauto über den Scooter bis zum Leihrad alles gibt. Als Bürger:in muss ich mir überlegen, was mein Auto pro Jahr kostet – die Versicherung, der Service, das Parken, die Spritkosten und die Abschreibungen. Das ist pro Jahr eine stattliche Summe, die man eben auch in alternative Mobilität investieren kann. Und das ist der entscheidende Punkt, dass in der Kommunikation klar wird, dass ‚Auto fahren‘ und ‚Auto besitzen‘ zwei Paar Schuhe sind. Dann ist ein Leben ohne eigenes Auto kein Verzicht, sondern bedeutet mehr Freiheit. Ich verzichte darauf, mir Winterreifen kaufen zu müssen, ich verzichte darauf, zum Service fahren zu müssen.

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