Ein sozialeres Europa? Das geht!

Eine EU-Flagge, an der auf einer Hebebühne zwei Arbeiter:innen arbeiten. Symbolbild für das soziale Europa.
Die EU kann das Leben von
Arbeitnehmer:innen verbessern.
Und es geht aufwärts. | @ Adobestock/Sir_Oliver
Der Kampf für ein soziales Europa? Oft zermürbend, aber absolut notwendig. Denn die letzten Jahre haben klar gezeigt: Arbeitnehmer:innen und Konsument:innen können stark von der EU profitieren. Dafür sorgen jene, die sich tagtäglich für eine soziale EU einsetzen.
Manchmal fühlt es sich wie ein anstrengendes Gefecht allein auf weiter Flur an. Denn Organisationen, denen die Rechte von Arbeitnehmer:innen und Konsument:innen, kurzum ein soziales Europa, am Herzen liegen, sind auf EU-Ebene nicht oft anzutreffen. Ein Beispiel gefällig? Die Arbeiterkammer ist die einzige in ihrer Art nationalen Organisation, die in der EU-Hauptstadt vertreten ist. Und auch nur wenige Gewerkschaften seien wie der ÖGB mit einem eigenen Büro in Brüssel präsent, und zwar Finnland, Schweden, Norwegen und Deutschland. Umso wichtiger sei ein Zusammenspiel mit anderen internationalen Playern, wie dem Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) und eben auch dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA). Hier werden im Jahr an die 200 Stellungnahmen erarbeitet, erzählt Sophia Reisecker, Leiterin der Abteilung Europa, Konzerne und internationale Beziehungen in der GPA, Mitglied im EWSA und Verhandlerin im EGB. Sie haben durch die Vielzahl der hier vertretenen Organisationen mehr Gewicht, als würde sich jede Organisation einzeln zu Wort melden.

Rund 50.000 Personen sind in Brüssel als Lobbyist:innen eingetragen. Die Mehrheit von ihnen setzt sich für Wirtschaftsinteressen ein. „Hier versuchen wir gegenzusteuern und die Anliegen der Arbeitnehmer:innen zu repräsentieren“, so David Hafner, Leiter des ÖGB-Europabüros in Brüssel.

Dass sich im Bereich Soziales in den vergangenen Jahren auf EU-Ebene vergleichsweise viel bewegt hat, meint Reisecker. Man habe einerseits aus den Folgen der Finanzkrise gelernt und sich dadurch von der zuvor gepflegten Austeritätspolitik abgekehrt. „Mit der Covidkrise ist man dann schon ganz anders umgegangen, Stichwort Kurzarbeit.“ Auch Hafner, Leiter des ÖGB-Europabüros in Brüssel, betont: Man könne hier nicht mehr nur von „sozialer Kosmetik“ sprechen. „In dieser Legislaturperiode geht es mit der Mindestlohnrichtlinie und nun der Lohntransparenzrichtlinie schon in die richtige Richtung.“ Während die Mindestlohnrichtlinie für eine Kollektivvertragsabdeckung von 80 Prozent sorgen soll, schließt die Lohntransparenzrichtlinie die Lohnschere. Einmal pro Jahr hat künftig jede:r Arbeitnehmer:in das Recht, zu erfahren, wie viel er oder sie im Vergleich zu anderen Arbeitnehmer:innen im Unternehmen mit gleicher Tätigkeit verdient die Gehaltsunterschiede zwischen Frauen und Männern werden so offen gelegt.

In dieser Legislaturperiode geht
es mit der Mindestlohnrichtlinie
und nun der Lohntransparenzrichtlinie
schon in die richtige Richtung. 

David Hafner, ÖGB-Europabüro

Bohren harter Bretter für ein soziales Europa

Wünschenswert wäre aber ein noch sozialeres Europa, meint Judith Vorbach, Mitglied im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss. Sie leistet für die AK in Brüssel im Sinn der Arbeitnehmer:innen Lobb-Arbeit. Die AK-Vertreterin würde sich hier die Umsetzung des 2008 vom EGB formulierten Sozialen Fortschrittsprotokolls wünschen. „Dadurch würden Gewerkschafts- und soziale Rechte gegenüber wirtschaftlichen Freiheiten abgesichert.“ Nötig wäre dafür allerdings eine Änderung des EU-Vertrags, wozu es die Zustimmung aller Mitgliedsstaaten benötigt. Das ist das Bohren sehr harter Bretter. Auf EU-Ebene braucht vieles lange Jahre des Ins-Gespräch-Bringens und Argumentierens. Wichtig ist dabei einerseits, vor Ort in Brüssel zu sein und sich mit möglichst vielen anderen Playern abzustimmen, wie Hafner betont.

Wichtig ist aber auch, unterstreicht Evelyn Regner, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, das Timing. „Wenn du gestalten möchtest, musst du möglichst früh dran sein“, so Regner. „Wir haben beispielsweise Ursula von der Leyen, als sie Kommissionspräsidentin werden wollte, gesagt, wir möchten, dass sie etwas für das Schließen der Lohnschere zwischen Männern und Frauen tut. Das war dann auch eine der Bedingungen, damit wir für sie abstimmen. Und deshalb hat sie dann auch diesen Kommissionsvorschlag für die Lohntransparenzrichtlinie gemacht.“ Regner betont zudem: „Man muss sich bereits in das Erstellen der Kommissionsvorlage einbringen. Liegt der Richtlinienentwurf bereits vor, kann man nur mehr das Ärgste abfedern.“

Wir haben die Wahl

Ein sozialeres Europa kann aber auch von jedem Wähler und jeder Wählerin unterstützt werden. Viele Menschen würden, so Vorbach, die EU bis heute „mit der vorgeschriebenen Gurkenkrümmung“ verbinden. Dabei würden heute die EU-Richtlinien unser aller Alltag viel stärker beeinflussen, als das vielen bewusst sei. „Es ist daher nicht egal, wie sich das EU-Parlament zusammensetzt. EU-Wahlen sollten nicht als Ventil für Frust auf der nationalen Ebene fungieren“, appelliert die AK-Vertreterin. Stichwort Frust: In jenen Ländern, wo Rechtspopulist:innen das Sagen haben, werden tendenziell auch Arbeitnehmer:innenrechte beschnitten. Hafner sieht hier als mögliche Gegenstrategie das Denken der EU auch als Sozialunion. „Die Menschen müssen merken, dass sich durch die EU das eigene Leben verbessert.“

Über den/die Autor:in

Alexia Weiss

Alexia Weiss, geboren 1971 in Wien, Journalistin und Autorin. Germanistikstudium und Journalismusausbildung an der Universität Wien. Seit 1993 journalistisch tätig, u.a. als Redakteurin der Austria Presse Agentur. Ab 2007 freie Journalistin. Aktuell schreibt sie für das jüdische Magazin WINA sowie für gewerkschaftliche Medien wie die KOMPETENZ der GPA-djp oder die Gesunde Arbeit. 2022 erschien ihr bisher letztes Buch "Zerschlagt das Schulsystem ... und baut es neu!" (Verlag Kremayr & Scheriau).

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