Arbeit&Wirtschaft: Wieso wird die EBR-Richtlinie aktuell überarbeitet?
Sophia Reisecker: Die EBR-Richtlinie ist mittlerweile 30 Jahre alt und wurde 2009 schon einmal überarbeitet. Doch die Erfahrungen von gewerkschaftlicher Seite haben gezeigt, dass Definitionen oft nicht ausreichend sind. Oder es zu Rechtsverstößen kommt, die dann aber nicht richtig gerichtlich eingeklagt werden können. Der Vorschlag zur Überarbeitung der EBR-Richtlinie beinhaltet daher viele rechtliche Klarstellungen, denn man hat in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gesehen, wo die Richtlinie nicht ausreichend definiert ist und dementsprechend unterschiedlich von Unternehmen interpretiert wurde.
Was ist im Überarbeitungsvorschlag konkret geplant, und was ist noch offen?
Eines der Kernstücke der Überarbeitung der EBR-Richtlinie ist, dass der Zugang zu den Gerichten erleichtert werden soll. Es gibt in vielen Ländern das Problem, dass der Europäische Betriebsrat keine juristische Persönlichkeit ist, die zu Gericht gehen und einklagen kann, wenn ein Unternehmen die Informationspflicht verletzt, beziehungsweise dass die Wege dorthin sehr lang und umständlich sind. Dadurch wird die europäische Grundrechtscharta verletzt. Das soll sich nun ändern, sodass auch der EBR zu Gericht ziehen kann.
Aus Gewerkschaftssicht hätten wir uns jedoch höhere Sanktionen gewünscht, wenn Unternehmen die Informationspflicht verletzen. In vielen Fällen sind die Strafzahlungen sehr geringe Beträge ohne abschreckende Wirkung. Hier fordern Gewerkschaften, die Strafen gleich zu gestalten wie bei der Datenschutz-Grundverordnung. Offengeblieben ist auch die Forderung nach der Einführung einer einstweiligen Verfügung. Wir Gewerkschaften hätten uns gewünscht, dass eine Maßnahme durch Gerichte eingefroren werden kann, bis die Information und Anhörung des EBR tatsächlich stattgefunden hat – zum Beispiel, wenn ein Unternehmen einen Teil des Unternehmens verkaufen will und den EBR nicht darüber informiert.
Wie profitiert der Europäische Betriebsrat von den geplanten Änderungen der Richtlinie?
Unternehmensentscheidungen werden immer seltener nur an einem Standort gefällt, können aber massive Auswirkungen auf die lokalen Standorte haben. Bei Veränderungen frühzeitig eingebunden zu werden ist wichtig – so hat der Europäische Betriebsrat ein Informationsrecht zu unternehmensrelevanten Fragen: zur wirtschaftlichen Lage, zur Entwicklung der Personalsituation, zu geplanten Investitionen, Restrukturierungen etc. Die wohl wichtigste Klarstellung zum bestehenden Gesetzestext betrifft den Zeitpunkt, wann der Europäische Betriebsrat über Änderungen informiert werden muss: Die Information hat zu erfolgen, bevor die Entscheidung im Unternehmen getroffen wird. Das wird den Europäischen Betriebsrat massiv stärken, denn dadurch erhöht sich die mögliche Einflussnahme des EBR auf die Entscheidungen.
Zukünftig sollen
Europäische Betriebsräte
vor Gericht ziehen können, wenn Unternehmen
die Informationspflichten
verletzen.
Sophia Reisecker
Eine große Errungenschaft ist auch die Beiziehung von Gewerkschaftsexpert:innen. Europäische Betriebsräte haben das Recht, Sachverständige hinzuzuziehen. Das war bisher beschränkt auf eine Person und soll durch den neuen Vorschlag erweitert werden, sodass mehrere Sachverständige hinzugezogen werden können. Gewerkschaftsexpert:innen dürfen zukünftig in den Sitzungen dabei sein. Außerdem soll sich der Europäische Betriebsrat mindestens zweimal im Jahr treffen anstatt wie bisher mindestens einmal pro Jahr.
Gab es Herausforderungen im Revisionsprozess?
Der Widerstand gegen die Überarbeitung der Richtlinie ist von vielen Seiten massiv. Bereits im Vorfeld haben sich einige Parteien im Europäischen Parlament ablehnend gegenüber einer Überarbeitung verhalten. Und im Nachgang haben die Arbeitgeberorganisationen auf der europäischen Ebene sehr deutlich gemacht, dass sie eine Überarbeitung für nicht notwendig erachten, dass es ohnehin funktioniere und somit auch keine rechtlichen Änderungen notwendig seien. Man merkt, dass die Arbeitgeber:innen sehr stark dagegen mobilisieren und in den Mitgliedsstaaten ihre Lobbys nutzen. Sie stellen fast alles infrage, was im Kommissionsentwurf steht und versuchen, die Überarbeitung der Richtlinie politisch noch zu verhindern.
„Stellen wir sicher, dass die Stimme der Arbeitnehmer:innen auf #EU Ebene auch in Zukunft laut und stark ist. Die EU gibt uns viel, geben wir der EU unsere Stimmen“, ruft #AK Präsidentin @renate_anderl auf, wählen zu gehen. #euwahl #StimmefürDemokratiehttps://t.co/YJAD5K6KBJ
— AK Österreich (@Arbeiterkammer) June 6, 2024
Wieso ist die Überarbeitung der EBR-Richtlinie so wichtig?
Zum einen gibt es Schwächen in der aktuellen Rechtslage, die eine Überarbeitung der EBR-Richtlinie notwendig machen. Zum anderen glauben wir, dass Europäische Betriebsräte in Zukunft eine ganz wichtige Rolle spielen werden. Wir stehen vor vielen großen Transformationsprozessen – Digitalisierungsprozesse in den Unternehmen, Klimawandel und ökologische Transformationen –, die auch massive Auswirkungen auf Beschäftigte haben. Es ist wichtig, den Dialog über diese Prozesse mit den Belegschaftsvertretungen zu führen. All diese Transformationen finden nicht nur an einem Standort statt, sondern sind globale und europäische Strategien. Gerade deswegen ist es so wichtig, dass der Europäische Betriebsrat mit am Tisch sitzt und eingebunden ist in die Prozesse, um die Stimme der Beschäftigten zu stärken.