Klimapolitik: Im Land der Planlosen

Foto von einem Schornstein des Stahlkonzerns Voestalpine. Symbolbild für die schleißige Klimapolitik.
Mit der aktuellen Klimapolitik liegt das Erreichen der Klimaziele in weiter Ferne. | © Adobestock/Wolfgang
Mit seiner schleißigen Politik wird Österreich die Klimaziele nicht erreichen. Die Regierung muss endlich in die Gänge kommen, Maßnahmen fixieren und Verantwortliche benennen. Dem Klimaschutzgesetz kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.
Die Ausgangslage lässt nichts Gutes erahnen. Österreich hat sich dem Ziel verschrieben, bis 2040 klimaneutral zu sein. Als EU-Mitglied ist das Land zudem verpflichtet, vorgeschriebene Klimaziele verbindlich zu erreichen. „Doch Ziele sind das eine, die klimapolitische Realität ist eine andere“, wie Claudia Kettner-Marx vom  Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) betont. Und so sieht es in Wirklichkeit aus: Tatsache ist, dass Österreich seit mehr als zwei Jahren de facto ohne Klimaschutzgesetz dasteht. Das heißt, es gibt zwar eines, aber da tut sich nichts. Denn seit 1. Jänner 2021 (!) konnte sich die Regierung bisher nicht auf neue Regeln einigen, die dafür sorgen, dass Österreich bis 2030 seinen CO2-Nettoausstoß halbiert und 2040 auf netto null bringt. Bereits davor galt das Klimaschutzgesetz als zahnloser Papiertiger, denn bei Verfehlungen drohten keine Konsequenzen, sondern lediglich ein Bericht. Ein Paradebeispiel für die wenig zielgerichtete Klimapolitik der Regierung.

Tatsache ist auch, dass die Emissionen von Treibhausgasen wieder steigen: 2021 im Vergleich zum Pandemiejahr 2020 um 4,9 Prozent. In absoluten Zahlen sind das gesamt 77,5 Millionen Tonnen CO2, um 3,6 Millionen Tonnen mehr als 2020. Das Klimaschutzministerium kommentierte dies mit „erwartungsgemäß“.

Klimapolitik: Auf der Kriechspur

Macht Österreich in diesem Tempo weiter, wird es nach Berechnungen des Climate Change Centre Austria der Uni Graz sein CO2-Budget – die Menge an Treibhausgasen, die uns zur Einhaltung des Pariser Klimaabkommens noch zur Verfügung stehen – im Jahr 2025 überschritten haben. Die Kernfrage ist also: Kann Österreich die Klimaziele mit dieser Klimapolitik erreichen? Drei von Arbeit&Wirtschaft befragte Expert:innen beantworten diese Einstiegsfrage wie folgt: „Die kurze Antwort ist Nein“, sagt Christoph Streissler, Klimaexperte der AK Wien. Dem schließt sich Joel Tölgyes, Ökonom beim Momentum Institut, mit einem „Nein, keinesfalls“ an. „Mit dem aktuellen Tempo wird sich das nicht ausgehen“, zieht Claudia Kettner-Marx, WIFO, ihr negatives Fazit.

Porträt Claudia Kettner-Marx
Klimaschutz muss man sich leisten können: „Geringverdiener:innen trifft das besonders hart, und sie müssen geschützt und unterstützt werden“, sagt Claudia Kettner-Marx. | © Markus Zahradnik

Apropos Tempo: Das bedeutet hier in diesem Zusammenhang, mit vollem Tempo im politischen Prozess, jedoch auf der Autobahn langsamer als bisher unterwegs zu sein. Der CO2-Ausstoß des Verkehrssektors ist in Österreich im Verhältnis zur Bevölkerungszahl am zweithöchsten in der EU, wie eine VCÖ-Analyse auf Basis von Eurostat-Daten aus 2021 zeigt. „Hier fühlt sich niemand wirklich verantwortlich“, sagt Tölgyes. Dabei gilt die Reduktion der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen von 130 auf 100 km/h, auf Freilandstraßen von 100 auf 80 km/h und auf Straßen ohne Vorrang im Ortsgebiet von 50 auf 30 km/h als eine der Kernmaßnahmen auf dem Weg zur Klimaneutralität.

Im Vergleich zum Referenzjahr 2019 würde das eine Reduktion der CO2-Emissionen um 10 Prozent oder um 2,4 Millionen Tonnen pro Jahr bedeuten. Das stellt volkswirtschaftlich eine der effektivsten Maßnahmen für den Klimaschutz dar. „Tempolimits bringen viel und kosten nichts“, sagt Tölgyes. Gesetze allein seien aber nicht genug, „ein Paradigmenwechsel in der öffentlichen Meinung muss her“, wie Christoph Streissler betont. „Wir müssen so weit kommen, dass Schnellfahren nicht mehr als Symbol von Freiheit gilt.“

Mehrfachstrategien

Wobei beim Klimaschutz gilt: Eine Maßnahme allein macht das Kraut nicht fett. Ein Ansetzen auf mehreren Ebenen ist notwendig: Im Gebäudesektor sind das etwa die wärmetechnische Sanierung und der Wechsel auf ein klimaneutrales Heizsystem, im Verkehr sind das Tempolimits sowie der Ausbau des Rad- und öffentlichen Verkehrs. Nicht zu vergessen den Öffi-Ausbau für Pendler:innen: Studien darüber, wo die Hotspots des Pendlerverkehrs in der Ostregion Österreichs liegen und welche Achsen ausgebaut werden müssen, liegen vor.

Österreichs Klimapolitik
erinnert an einen Tanker
ohne Kapitän.

Joel Tölgyes, Ökonom beim Momentum Institut

„Fast ein Drittel der CO2-Emissionen Österreichs entstehen durch den Verkehr. Das ist beträchtlich, und hier liegen folglich große Potenziale der Einsparung“, betont auch Verkehrsexpertin Beatrix Czipetits. Entscheidend dafür, dass noch mehr Menschen vom Pkw auf die Öffis umsteigen, sind insbesondere Lösungen für die sogenannte „Last Mile“ – das letzte Teilstück zwischen Bahnhof, U-Bahn-Station, Bus- oder Straßenbahnhaltestelle und der Haustür. „Das halte ich für den Schlüssel, dass noch mehr Menschen diesen Shift machen und sich die Mobilität Richtung Klimaneutralität positiv weiterentwickelt“, sagt Czipetits. Hier bieten sich insbesondere On-Demand-Lösungen wie Sammeltaxis an, die per Anruf oder App bestellt werden und die Lücke zwischen dem Öffi-Netz und der Haustür schließen.

Nichts ist konkret, niemand verantwortlich

Die Temperaturen steigen, und Österreichs Klimagesetz liegt auf Eis. Zwar braucht es für Klimaschutz nicht unbedingt ein Klimaschutzgesetz, doch jedes Ziel benötigt eine Strategie und einen Plan, wie es erreicht werden soll. Ohne österreichisches Klimaschutzgesetz fehlt das. Die Klimaneutralität muss dann quasi im unbemannten Blindflug erreicht werden – oder wie Tölgyes es formuliert: „Österreichs Klimapolitik erinnert an einen Tanker ohne Kapitän.“

Klimaschutz auf der Wartebank
Der EU-Rahmen für die Klima- und Energiepolitik bis 2030 gibt eine Emissionsreduktion von mindestens 40 Prozent vor – ein Zwischenschritt auf dem Weg zur Klimaneutralität 2050. Österreich will diese bereits 2040 erreichen. Einige Gesetze sind auf den Weg gebracht. Die relevanten befinden sich noch auf der Wartebank.

Beschlussfassung März 2023 im Wirtschaftsausschuss des Nationalrats

  • Erneuerbaren-Wärme-Gesetz
    Regelt das Einbauverbot von Gasheizungen im Neubau und von 2025 bis 2035 den gestaffelten Ausbau alter Ölheizungen in Bestandsbauten. Bis 2040 sollen alle Gasheizungen entfernt werden, sofern sie nicht mit erneuerbarem Gas betrieben werden.
  • Energieeffizienzgesetz
    Die alleinige Verantwortung für die Erfüllung der EU-Energieeffizienzvorgaben bis 2030 (Effizienzverbesserung um 32,5 Prozent) liegt in der öffentlichen Hand. Jede Maßnahme kann somit mittels Fördergelder unterstützt werden. Dafür sind im Umweltfördergesetz
    jährlich 190 Mio. Euro vorgesehen. Energielieferanten spielen keine zentrale Rolle mehr. Die E-Control soll die Einhaltung der Ziele überwachen.

Noch keine Gesetzesentwürfe

  • Klimaschutzgesetz
    Der Zeitplan für ein neues Klimaschutzgesetz ist weiterhin offen. Seit 1. Jänner 2021 konnte sich die Regierung bisher auf keine neuen Regeln einigen. Österreich hat somit seit beinahe 800 Tagen keine gesetzlichen Klimaziele.
  • Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz
    Laut Ministerratsvorlage bringt es unter anderem eine Verfahrensbeschleunigung für Ökoenergieanlagen, etabliert einen „One-Stop-Shop“ für Bewilligungen, schafft einen bundesweiten Pool von Sachverständigen und sieht eine aktive Energieraumplanung durch
    Länder und Bund vor. Das Gesetz soll Vorgaben für die Ausweisung von Vorrang- und Eignungszonen für Photovoltaik- und Windkraftanlagen regeln.

Ziele für 2030? Wir scheitern

Ohne Klimaschutzgesetz wird das nichts, darin sind sich die Expert:innen einig. „Die Frage ist: Wie schaffen wir es, Österreichs Klimakurs bestmöglich zu koordinieren?“, betont Christoph Streissler. Wichtig sei es, eine Strategie zur Erreichung der Klimaziele zu entwickeln und diese in konkrete Maßnahmen zu gießen. Und im föderalen Österreich natürlich unerlässlich: die glasklare Aufteilung zwischen Bund und Ländern (und Gemeinden), wer wofür zuständig und verantwortlich ist.

Parallel müssen die Klimaziele nach den großen Sektoren Energie und Industrie (außerhalb des EU-Emissionshandels), Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Abfallwirtschaft genau festgelegt werden. Das Klimaschutzgesetz, dessen Fehlen von vielen Umwelt-NGOs beklagt wird, sollte genau diese Aufteilung festschreiben. „So, wie im Moment Klimapolitik gemacht wird, werden wir schon an den Zielen für 2030 scheitern. Und das wird teuer“, sagte jüngst der renommierte Klimaexperte Reinhard Steurer in einem Interview mit dem Standard.

Das wird teuer

Verbindlichkeit in der Klimapolitik ist hier das Zauberwort, folglich müssen Verfehlungen der Teilziele sanktioniert werden. Dabei geht es ja nicht zuletzt um viel Geld, denn sollte Österreich bis 2030 zu viel Emissionen in die Atmosphäre abgegeben haben, werden Strafzahlungen in Form von europäischen Emissionszertifikaten fällig. Das wird in die Milliarden gehen, und ohne Teilverantwortlichkeit müssten dann alle Steuerzahler:innen dafür aufkommen. Die Kosten für die Übertretung würden also vergesellschaftet werden.

Ein vernünftiges Klimaschutzgesetz hingegen würde Konsequenzen für jene Bundesländer oder Ministerien vorsehen, die ihre Ziele nicht erreichen. Sie müssten sich dann stärker an den Zertifikatskäufen beteiligen. Die am EU-Emissionshandel beteiligte produzierende Industrie kann davon ein Lied singen. Luftverschmutzung kommt teuer: Ende Februar 2023 knackte der Preis pro EU-CO2-Zertifkat erstmals die 100-Euro-Marke.

Porträt Christoph Streissler
Auf die Frage, wer durch die Klimapolitik gewinnt und wer verliert, antwortet Christoph Streissler: „In der Klimakrise sind alle Verlierer:innen, doch manche mehr als andere, und es ist eine wichtige Verteilungsfrage, wer die Kosten trägt.“ | © Markus Zahradnik

Es müsste aber auch noch andere Korrekturen geben. Läuft etwa der Verkehrsbereich aus dem Ruder, so wie es nach wie vor der Fall ist, dann müsste man überlegen, wie man genau dort die Emissionen einfängt. Hinzu kommt: In der EU läuft das anders als mit den päpstlichen Butterbriefen im Mittelalter, die eine Befreiung von Fastenregeln gegen Bares vorsahen. Die „EU-Strafzahlungen“ sind kein Freibrief, die Ziele müssen trotzdem erreicht werden.

Gewinner:innen und Verlierer:innen

Gibt es Klimagerechtigkeit? Wer gewinnt, wer verliert durch die Klimapolitik? Streissler: „In der Klimakrise sind alle Verlierer:innen, doch manche mehr als andere, und es ist eine wichtige Verteilungsfrage, wer die Kosten trägt.“

Tatsache ist: Je höher das Einkommen, desto höher der CO2-Abdruck. Wohlhabende tragen mit ihrem Lifestyle mehr zur Klimakatastrophe bei als weniger Betuchte. Zugleich haben sie mehr Möglichkeiten, sich vor den Konsequenzen des Klimawandels zu schützen. „Das hat man schon im vergangenen Jahr bei diesen enorm hohen Energiepreisen gesehen. Jene, die bereits Wärmepumpe und Solaranlage hatten, waren vor der fossilen Inflation weitgehend geschützt“, so Klimaökonom Gernot Wagner von der New York University im Interview.

Klimaschutz muss man sich erst einmal leisten können. Am stärksten betroffen sind jene, die ein fossiles Heizsystem haben und/oder auf ein Auto angewiesen sind. „Geringverdiener:innen trifft das besonders hart, und sie müssen geschützt und unterstützt werden“, sagt WIFO-Ökonomin Claudia Kettner-Marx. Maßnahmen wie die 100-Prozent-Förderung für den Heizungstausch für einkommensschwache Haushalte gehen in die richtige Richtung. Andererseits geraten klimaschädliche Förderungen zunehmend in die Kritik. Klimaschädliches Verhalten steuerlich zu fördern, sei ein Paradoxon, wie Momentum-Ökonom Tölgyes es nennt. Dauerhaft klimaschädliche Subventionen und Förderungen schlagen mit bis zu sechs Milliarden Euro im Jahr zu Buche.

Gerechter Klimakurs

Die Dekarbonisierung der Wirtschaft wird zudem zu einem tiefgreifenden Strukturwandel führen, der auch Jobverluste nach sich ziehen wird. Zugleich entsteht in anderen Bereichen ein großer Bedarf an Arbeitskräften. Stichwort Elektroinstallateur:in mit Zusatzausbildung für Photovoltaik-Anlagen.

Dieser Transformationsprozess will gut gemanagt und sozial verträglich gestaltet werden. Positiv zu bewerten ist: Es entstehen neue Ausbildungen für Green Jobs. So wird im Waldviertel gerade das erste europäische Klimaschutz-Ausbildungszentrum errichtet. Ab Herbst 2023 startet es mit 250 Ausbildungsplätzen. Die Schwerpunkte der Fachkräfteausbildung liegen in den Bereichen Gebäudetechnik, erneuerbare Energie und E-Mobilität. Hier werden Lehrlinge ausgebildet, Zusatzausbildungen und Umschulungen für Arbeitssuchende angeboten.

Und letztlich wird eine Änderung im Steuersystem notwendig sein, um eine gerechtere Dekarbonisierung und Transformation der Wirtschaft zu finanzieren. „Durch eine Vermögensteuer würden Wohlhabende einen Beitrag zur Ökologisierung des Steuersystems leisten“, wie Tölgyes betont.

Wir haben ja nicht ewig Zeit

Einiges ist passiert, aber es ist zu wenig – und möglicherweise zu spät. Die Zeit drängt, die Klimakrise verschärft sich, und die Klimapolitik hält nicht Schritt. Wichtige Gesetze liegen auf Eis oder stecken im politischen Prozess. Je länger zugewartet wird, desto notwendiger wird später eine radikale Reduzierung. Es spricht laut Expert:innen jedenfalls alles dafür, lieber gestern als heute mit echten Maßnahmen zur Erreichung der Klimaziele zu beginnen. „Möglichst breit ansetzen, Maßnahmen auf allen Ebenen – und dann rasch ins Tun kommen“, empfiehlt WIFO-Ökonomin Kettner-Marx.

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