Volle Bremsenergie für Strompreise?

Ein Strommast von unten fotografiert. Symbolbild Die Maßnahmen der EU zur Reformierung des Strommarkts reichen nicht, um den Strompreis zu senken.
Die EU-Reform des Strommarktes: "Neuer Wein in alten Schläuchen". | © Adobestock/marcus_hofmann
Mitte März präsentiert die EU ihre Maßnahmen für die Reform des Strommarktes. Kommt nun das Ende der massiven Marktverwerfungen? Kann die Energiewende versorgungssicher, leistbar und verteilungsgerecht gestaltet werden? Eine nüchterne erste Einschätzung von Expert:innen.
Am Höhepunkt der Energiepreiskrise im August und September 2022 gingen der Gas- und Strompreis durch die Decke. Die Inflation machte einen weiteren Sprung nach oben. Die Situation war laut Josef Thoman, Energieexperte der Arbeiterkammer Wien, prekär: „Sowohl der Gas- als auch der Stromgroßhandelspreis haben sich vollständig von den tatsächlichen Herstellungskosten entkoppelt. Das führte zu einer noch nie dagewesenen Umverteilung von den Energieverbraucher:innen hin zu den Energieunternehmen.“ Unter dem Eindruck der Ereignisse kündigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im August 2022 eine langfristige Reform des Strommarkts an. Die Präsentation des Reformvorschlags soll nun am 14. März 2023 erfolgen.

Handelt es sich dabei um einen großen Wurf? Josef Thoman konstatiert im Gespräch nüchtern: „Was wir bisher wissen, plant die EU-Kommission nicht mehr als ein Fortschreiben des Status quo.“ Und Vera Weghmann, Expertin am Centre for Research in Employment and Work (CREW) an der University of Greenwich, England, beschreibt den Entwurf zum aktuellen Zeitpunkt als „neuen Wein in alten Schläuchen“.

Strompreis: Energiepolitisch versagt

Ausgangspunkt für die prekäre Situation sind die Liberalisierung des Strommarktes, die damit einhergehende (Teil-)Privatisierung sowie die Einführung von Strombörsen und dem Merit-Order-Prinzip. „In der bereits im Jahr 2021 einsetzenden Energiekrise zeigte sich, dass der liberalisierte Energiemarkt nicht in der Lage ist, die zentralen energiepolitischen Aufgaben – Versorgungssicherheit, Nachhaltigkeit und Leistbarkeit – zu erfüllen“, meint Thoman. Ganz im Gegenteil. Mangelnde Diversifizierung gefährde die Versorgungssicherheit, marktmächtige Marktakteure trieben die Preise in die Höhe, was zu einer nie dagewesenen Umverteilung führe.

Die Markliberalisierung und Trennung
von Geschäftsbereichen Produktion, Großhandel und Einzelhandel,
brachte eine Marktdominanz einzelner großer Energieunternehmen,
indem sie die Preisbildung über die Börsen für sich nutzen.

Vera Weghmann, Expertin am Centre for Research in Employment and Work (CREW)
University of Greenwich, England

Konzerne kassieren

Die Marktliberalisierung brachte nicht mehr Wettbewerb, sondern durch die Trennung zwischen Produktion, Großhandel und Einzelhandel eine immer größere Marktkonzentration. „Diese Trennung von Geschäftsbereichen gab einer Handvoll großer Energieunternehmen die Marktdominanz, indem sie die Energiepreisgestaltung durch die Börsen für sich nutzen“, so Weghmann. Die Auswirkungen sind fatal. „Energie ist zu einem Luxusgut geworden. Dabei ist Energie etwas sehr Wesentliches, um überhaupt leben und überleben zu können“, so Weghmann. Weshalb wird aber an einem Marktsystem, das von Anfang an nicht funktioniert hat, festgehalten? Und wer profitiert davon?

Es darf spekuliert werden

Ausschlaggebend für die Energierechnungen von Haushalten und Unternehmen sind die Großhandelspreise von Strom und Gas an den Börsen. Sowohl für den Strompreisindex (ÖSPI) als auch den Gaspreisindex (ÖGPI) wird laut Energieagentur Austria als der Handel an der EEX, der europäischen Strommarktbörse, und der PEGAS CEGH Gas Exchange, der Gasmarktbörse, herangezogen. Ein Blick auf die Eigentümerstruktur der Börse EEX AG, über die Strom gehandelt wird, zeigt, dass deren Aktionäre das Who’s who der europäischen Energieunternehmen sind. Großaktionär mit einem Aktienanteil von 62,7 Prozent ist die Deutsche Börse AG, weitere Aktionäre sind neben den großen deutschen Energieversorgern, wie der in Deutschland verstaatlichten Uniper sowie der französischen EDEF und der italienischen ENEL einige österreichische Unternehmen, wie die EVN AG, die Energieallianz Austria GmbH und die VERBUND Energy4Business GmbH.

Gewinnmaximierung darf nicht
das einzige Ziel der Unternehmen
im Energiesektor sein. 

Josef Thoman, Energieexperte der Arbeiterkammer Wien

Natürlich stellt sich bei dieser Marktkonstellation die Frage, ob eine Börse und ihre Aktionäre und Händler grundsätzlich an einer Änderung des durchaus profitablen Status quo interessiert sind.

Geht es auch anders?

Sollten sich also die Einschätzungen der Expert:innen bewahrheiten und die EU-Kommission nicht eine Reform des Energiemarkts im Sinne einer sicheren, leistbaren und nachhaltigen Energieversorgung für alle Europäer:innen angehen, stellt sich die Frage nach dem wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum bei weiteren Energiekrisen und der Akzeptanz der Bevölkerung. Klar ist: Die Kosten sind ungleich verteilt, kleine Verbraucher:innen müssen deutlich mehr zu den Systemkosten, dem Stromnetz, und zur Förderung Erneuerbarer beitragen als große Verbraucher:innen. „Die Stromerzeuger, die von den hohen Preisen profitieren, oder die Händler, die das Stromnetz für Arbitragegeschäfte nutzen, tragen kaum dazu bei“, so Thoman.

Gegenmodelle gäbe es, so Thoman: „Mit dem iberischen Modell gibt es die Möglichkeit, den Strompreis rasch und ohne gravierende Nebenwirkungen vom Gaspreis zu entkoppeln.“ Mittelfristig muss Energieversorgung als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge begriffen und gestaltet werden, denn, so Thoman: „Gewinnmaximierung darf nicht das einzige Ziel der Unternehmen im Energiesektor sein.“ Um Investitionen in erneuerbare Energie zu ermöglichen und leistbaren Strom sicherzustellen, muss sich der Strompreis an den tatsächlichen Herstellungskosten orientieren. Dazu braucht es einen neuen Preisfindungsmechanismus, mehr Transparenz und eine bessere Börsenregulierung. Ebenso wichtig sind eine verursachergerechte Verteilung der Netzkosten und eine Demokratisierung der Regulierungsentscheidungen.

Energie – ein öffentliches Gut

„Oft hört man, der Markt habe zu mehr erneuerbarer Energie geführt“, ergänzt Weghmann. „Das stimmt so nicht, da erneuerbare Energien in Europa nur ausgebaut werden konnten, weil sie vor dem freien Markt geschützt und durch Subventionen gestützt wurden.“ Das müsse auch weiterhin erfolgen. Wie etwa das positive Beispiel Dänemark zeigt, war der starke Ausbau der erneuerbaren Energie nur möglich, weil das Netz in staatlicher Hand ist und der Staat in den Netzausbau investiert. Die Produktion übernahmen Kooperativen in Form einer Public-Public-Partnership.

Ein weiteres Beispiel dafür, was Energiestrukturen in öffentlicher Hand und verteilungsgerechte Regulierungspolitik ermöglichen, sind Frankreich und dessen Energieversorger EDF. Obwohl Präsident Macron bereits Pläne für eine Zerstückelung und Teilprivatisierung ausgearbeitet hatte, zog er im vergangenen Jahr einen Preisdeckel von 4 Prozent ein. Weghmann betont bei diesem Beispiel: „Wenn selbst ein marktliberaler Präsident so handelt, zeigt dies, wie wichtig öffentliches Eigentum ist.“

Für das Gemeinwohl

Im Vergleich zu Österreich verdeutlicht das dänische Beispiel, dass teilstaatliche Energieunternehmen im Sinne der Öffentlichkeit agieren. Wie in Österreich sind die Energieunternehmen zu 50 Prozent in staatlicher Hand. Sie haben sich jedoch entschieden, so Weghmann, das meiste nicht über den Markt oder die Börse zu handeln. Der im Verhältnis doch hohe Energiepreis in Dänemark entsteht erst durch eine hohe Besteuerung.

Abschließend fordert Thoman die Festschreibung der Gemeinwohlorientierung im EU-Recht: „Ein fehlender rechtlicher Rahmen führt dazu, dass Energieunternehmen rein auf eine Maximierung des Shareholder-Values ausgerichtet sind und aus rechtlichen Gründen davon häufig auch nicht abweichen können, selbst wenn sie wollten. Mit einer gesetzlich festgeschriebenen Gemeinwohlorientierung können die Mitgliedsstaaten den eigenen und privaten Unternehmen Versorgungsaufträge erteilen und Verpflichtungen entsprechend den übergeordneten Zielen auferlegen.“ Vera Weghmann schließt sich dem an: „Zwar haben wir wenig öffentliches Eigentum im Energiebereich in Europa. Aber wir sehen, dass da, wo wir es haben und wo es auch in dem Sinne genutzt wird, schon ein besseres Eingreifen oder Handeln in der Krise möglich ist.“

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