Mit Essen spielt man nicht

Traktoren bei der Maisernte auf einem Bauernhof. Symbolbild für Lebensmittelspekulation.
Lebensmittelspekulationen haben die Preise im Jahr 2022 enorm ansteigen lassen. | © Adobestock/Countrypixel
Die Preise vieler Lebensmittel sind massiv gestiegen, obwohl es für die Teuerung kaum physische Gründe gibt. Dahinter stecken vor allem Spekulationen auf Lebensmittelbörsen, die beinahe völlig losgelöst von Ernte und Versorgung funktionieren.
Ein simples Papiersackerl für Semmln brachte im Jahr 2008 das ganze Drama der Lebensmittelspekulation auf den Punkt. Es war das Jahr, das als „globales Hungerjahr“ in die Geschichte eingehen sollte. Auf dem Sackerl warb die Deutsche Bank mit dem Spruch „Freuen Sie sich über steigende Preise?“ für ihren Platinum Agriculture Euro Fonds. Ein Finanzinstrument, mit dem Investor:innen von steigenden Lebensmittelpreise profitieren konnten. Und das taten sie. Der Weltagrarbericht aus diesem Jahr zeige, so ein interner Bericht der Weltbank, dass Warenterminspekulationen mit Agrarrohstoffen eine der wichtigsten Ursache der Preisexplosion gewesen sei. Im Jahr 2022 wiederholte sich dieses Schauspiel. Vordergründig waren Inflation, Klimakatastrophe und Russlands Krieg in der Ukraine an der Preisexplosion Schuld. Im Hintergrund haben Spekulant:innen sehr viel Geld damit verdient.

Warum gibt es Lebensmittelspekulation an der Börse?

Der Handel mit Lebensmittel an eigens dafür gegründeten Börsen war ursprünglich als Absicherung für die Landwirte und Produzenten gedacht. „Die Lebensmittelbörsen gehen auf das 19. Jahrhundert zurück. Die Idee war, dass sie als Absicherung für Produzenten dient. Wenn man nicht weiß, wie sich das Wetter entwickelt, kann man an der Börse sagen, man verkauft es in drei Monaten zu einem bestimmten Preis“, erläutert Miriam Frauenlob im Gespräch mit Arbeit&Wirtschaft. Sie arbeitet am Institut für Wirtschaftsgeschichte.

Portrait von Miriam Frauenlob. Sie gibt ein Interview über Lebensmittelspekulation.
Die Lebensmittelbörse dient dazu, die Produzenten abzusichern, erklärt Miriam Frauenlob. Doch mit Finanzinstrumenten machen Spekulant:innen dicke Gewinne.

Für die Landwirte ist das zunächst einmal etwas Gutes. Denn in einem Handwerk, dessen Ertrag enorm von höherer Gewalt abhängt, erhöhen solche Termingeschäfte die Planungssicherheit und Liquidität. Ab den 1980er Jahren entwickelten sich aber immer mehr Finanzinstrumente rund um die Lebensmittel. „Es haben sich Derivat-Märkte entwickelt. Es wird also nicht mehr nur der Future für einen Bündel Weizen verkauft, sondern man investiert in Rohstoff-ETF oder -Indizes. Die kann jeder kaufen, ob man sich mit den Produkten auskennt oder nicht“, führt Frauenlob.

Damit ist beispielsweise der Fonds gemeint, für den die Deutsche Bank auf dem Sackerl geworben hat. Der Zugang zu diesen Produkten ist so leicht wie nie zuvor. Sie können auf jeder Banking-App aktiviert werden. Zwischen dem Jahr 2003 und dem Hungerjahr 2008 stiegen die Investitionen in Rohstofffonds von 13 Milliarden Dollar auf 317 Milliarden Dollar.

Warum Lebensmittelpreise im Jahr 2022 so stark angestiegen sind

Der Anstieg der Lebensmittelpreise im Jahr 2022 hat sehr viele physische Gründe. Durch den Angriffskrieg Russlands wurden Gas und Öl teuer, was den Transport und die Bewirtschaftung von Feldern verteuert hat. Die Preise für Düngemittel stiegen ebenfalls und Wetterextreme haben Ernten verschlechtert. Außerdem sind sowohl Russland als auch die Ukraine riesige Produzenten landwirtschaftlicher Produkte. Der Krieg hat jedoch die Anbau erschwert und die Ausfuhr teilweise unmöglich gemacht.

Einen Tag vor dem Einmarsch der ersten russischen Soldaten in die Ukraine kostete eine Tonne Weizen 287 Euro. Innerhalb von drei Kriegsmonaten kletterte der Preis auf 438,25 Euro pro Tonne. „Es gibt Gründe dafür, dass die Preise für die physischen Produkte steigen. Dadurch entsteht eine Unsicherheit. Die Spekulant:innen glauben, dass die Preise weiter steigen und wetten darauf, dass sie das tun. Und das bauscht sich auf“, so Frauenlob. Das bedeutet, dass hinter den Preisen für Lebensmittel Gefühle, Emotionen und Zukunftsängste stecken, die oft wenig mit dem tatsächlichen Produkt zu tun haben. Politische Begebenheiten werden durch den Finanzhebel schlicht verstärkt. Denn mittlerweile ist der Weizenpreis trotz anhaltender Gefechte und ohne Aussicht auf ein Ende des Konflikts wieder auf dem Vorkriegs-Niveau.

So schnell wie die Preise in Höhe kletterten, so schnell fielen sie auch wieder. Diese enormen Schwankungen haben nichts mehr mit dem eigentlichen Produkt zu tun. Eine Erklärung findet sich auf dem Finanzmarkt. Mit Beginn des Krieges flossen allein in die zwei größten Agrarfonds innerhalb weniger Wochen 1,2 Milliarden Dollar – Lebensmittelspekulation. Das ist sechsmal so viel, wie im ganzen Jahr 2021. Als die amerikanische Zentralbank Fed die Zinsen im Juni erneut anhob, um die Inflation zu senken, boten sich jedoch neue Anlagemöglichkeiten und die Investor:innen zogen weiter.

Wer profitiert von den Lebensmittelbörsen?

Von den Lebensmittelbörsen profitieren in erster Linie fünf Firmen. Die ersten vier werden von Expert:innen als ABCD-Group zusammengefasst. Dahinter verbergen sich mit Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und der Louis Dreyfus Company die größten Aufkäufer von Agrarrohstoffen. Sie kontrollieren etwa 70 Prozent der weltweiten Produktion. In den vergangenen Jahren hat sich außerdem Cofco auf dem Weltmarkt etabliert – ein chinesischer Getreidehändler. „Die Marktmacht muss thematisiert werden. Denn die Aufteilung in gute Bauern und schlechte Spekulant:innen gibt es nicht. Es gibt Produzenten, die können von der Börse sehr profitieren. Denn unter den Produzenten gibt es große Ungleichheiten, die durch den Börsenhandel verstärkt werden“, fasst Frauenlob die Situation zusammen.

Je größer die Preisschwankungen sind, desto höher fallen die Gewinne dieser Unternehmen aus. Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen laufen bei diesen Händlern alle Informationen zusammen. Sie wissen vor allen anderen, wann es zu Ernteausfällen kommt und kaufen vorher möglichst billig die Produkte ein. Auf den Terminbörsen bieten die Händler sie dann zu Höchstpreisen an. Der zweite Grund ist, dass diese Händler ihr Geschäft diversifizieren. Zum einen entlang der Wertschöpfungskette. So machen sie beispielsweise aus Obst die Aromastoffe für Limonaden. Zum anderen durch die Lebensmittelspekulation selbst. Der Finanzarm von Cargill würde etwa ein Fünftel der Betriebskosten ausmachen, rechnet Frauenlob vor.

„Die globalen Getreidemärkte sind noch stärker konzentriert als die Energiemärkte und noch weniger transparent, sodass die Gefahr der Profitmacherei groß ist“, zitiert der AWBlog ein Mitglied des International Panel of Experts on Sustainable Food Systems. Der Wandel des Geschäfts weg vom physischen Produkt, hin zu Finanzprodukten hat eigentümliche Blüten getrieben. Im Jahr 2019 wurden in den USA und Europa Termingeschäfte über fünf Milliarden Tonnen Weizen abgeschlossen. Das ist die siebenfache Menge der eigentlichen Ernte.

Monopolisierung unserer Lebensmittel

Neben Lebensmittelspekulation, physischen und realpolitischen Gründen gibt es noch zwei weitere Preistreiber – Saatgut und Dünger. Eine OECD-Studie zeigte, dass es einst sechs dominierende Anbieter gab, die durch Fusionen und Übernahmen zu vier geschrumpft sind: Bayer, Corteva, ChemChina und Limagrain. Sie kontrollieren rund 50 Prozent des weltweiten Saatgut-Handels. Das große Problem hierbei ist, dass diese Firmen aufeinander abgestimmtes Saatgut, Pestizide und Dünger anbieten. Nur in der richtigen Kombination lässt sich ausreichend Ertrag erwirtschaften.

Die Folge ist, dass lokale Kulturpflanzen aussterben, weil die Bauern sie durch die standardisierten Sorten ersetzt haben. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) gibt an, dass im vergangenen Jahrhundert 75 Prozent der weltweiten Nutzpflanzen verschwunden sind. Das ist angesichts der Klimakatastrophe verheerend. Denn diese lokalen Pflanzen waren an die Bedingungen in bestimmte Regionen bereits angepasst.

Die fehlende Konkurrenz führte dazu, dass sich bereits im Jahr 2020 – also vor der Teuerungskrise und vor dem Ukraine-Krieg – die Preise für Dünger vervierfacht hatten. Eine gute Nachricht für Investor:innen. Denn die erwähnten vier Konzerne konnten ihre Gewinne um 27 Prozent zum Vorjahr steigern. Nur, falls jemand ein Musterbeispiel für die Gewinn-Preis-Spirale sucht.

Lebensmittelspekulation verhindern

Kein Gesetz kann grundsätzlich etwas daran ändern, dass Ernten nun einmal volatil sind und es Preisschwankungen gibt. Diese können und müssen aber so gering wie möglich gehalten werden. Aktuell werden sie zur Gewinnsteigerung sogar maximiert. „Ich glaube, dass es notwendig wäre, dass System stärker zu regulieren. Man kann aber nicht einfach nur an dieser Stellschraube drehen, da es sich in der aktuellen Situation eben auch um ein Sicherungssystem für Produzenten handelt. Man muss also überlegen, was alternative Möglichkeiten wären, um mit dieser Unsicherheit umzugehen“, gibt Frauenlob im Gespräch mit Arbeit&Wirtschaft zu bedenken.

Es stark den Anschein, dass Unternehmen in diesem Sektor ihre Marktmacht ausnutzen, um aus politischen Problemen und Abhängigkeiten Profit zu schlagen. Die österreichische Wettbewerbsbehörde hat im Fall des Kraftstoffmarktes aber bereits bewiesen, entsprechende Untersuchungen durchführen zu können. Ein solches Preisprüfungsverfahren muss auch im Lebensmittelsektor möglich sein. Auf EU-Ebene muss außerdem die Zerschlagung von oligopolistischen Marktstrukturen diskutiert werden, wie sie der deutsche Wirtschaftsminister ins Spiel gebracht hat. Die Übergewinnabgabe ist ein Beispiel dafür, wie dies funktionieren könnte.

Aber auch die Welthandelsorganisation ist gefragt. Sie erlaubt beispielsweise keine „handelsverzerrenden interne Stützen“. Staaten dürfen Lebensmittel also nur lagern, um die Versorgungssicherheit zu garantierten – nicht, um ihre Preise zu stabilisieren. Genau das ist aber eine zentrale Forderung von Entwicklungsländern, die unter der Lebensmittelspekulation am meisten leiden.

Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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