Im Café Gutmut: Hinter dem Lärm

Faie Gharehveysi, die Bedienung im Linzer Café Gutmut für Gehörlose Menschen.
Faie Gharehveysi ist eine von drei hörbeeinträchtigten Mitarbeiter:innen im Café „Gutmut“. Bei Bestellungen liest sie zu 90 Prozent von den Lippen ab. | © Markus Zahradnik
In einem neuen Linzer Café gehört die Gebärdensprache zum Cappuccino wie Kuchen und Zeitung. Das „Gutmut“ ist Österreichs erstes Gastronomieangebot für gehörlose Mitarbeiter:innen und Gäste – und für jede:n sonst!
Ratternde Straßenbahnen und jede Menge Lärm in der Linzer Landstraße, dreimal täglich übertönt vom Glockenspiel – abbiegen lohnt sich. Allmählich verhallt der akustische Brei. Schritt für Schritt wird es in der Bischofstraße angenehm leise. Neben dem Torbogen Nr. 11, zwischen Mozartkreuzung und Neuem Dom gelegen, befindet sich der Eingang ins neue Café Gutmut. Es ist Österreichs erstes Gebärdensprach-Café, beheimatet in einem Gebäudekomplex aus dem 18. Jahrhundert. Sein direkter Nachbar ist das Institut für Sinnes- und Sprachneurologie (ISSN), Teil des Gesundheitszentrums für Gehörlose in Linz.

Eine Bedienung im Linzer Café Gutmut für Gehörlose Menschen
© Markus Zahradnik

Café Gutmut: Ausprobieren macht Freude

Café Gutmut, das sind zwei lichte Räume. Den vorderen Teil des Cafés prägt die Theke samt Kuchen- und Snack-Vitrine, der rückwärtige Teil besticht durch die gewölbte Decke und schlichte Regale mit feiner Keramik. Das Mobiliar ist im skandinavischen Stil gehalten – viel Weiß und helles Holz strahlen Optimismus aus. Von Montag bis Freitag ist das Institut mit seinen Therapieangeboten geöffnet. Hörbeeinträchtigte und gehörlose Klient:innen nutzen das Café Gutmut als Treffpunkt – die Gehörlosen-Community war in den Entwicklungsprozess des Cafés eingebunden. So erleichtert es die Spiegelzeile an der Theke den Mitarbeiter:innen, Gäste wahrzunehmen, auch wenn sie gerade mit dem Rücken zur Tür Kaffee zubereiten. Musikbeschallung gibt es allenfalls sehr reduziert. Nur leise faucht die Espressomaschine, klappern Tassen, unterhalten sich Besucher:innen. Mobiltelefone scheinen Pause zu machen, verboten sind sie freilich nicht.

Einrichtung und Dekoration im Café Gutmut in Linz. Ein Café für gehörlose Menschen.
© Markus Zahradnik

Ich möchte gerne mit anderen Menschen
kommunizieren. Sehr viele unserer Gäste
fragen nach, wie sie gebärden können,
und probieren es aus. 

Faie Gharehveysi

Auch die Gebärdensprache hat unterschiedliche Dialekte

An einem der Tische nahe der Theke nimmt Faie Gharehveysi gerade eine Bestellung auf. Sie ist eine von drei hörbeeinträchtigten Mitarbeiter:innen des Café Gutmut. Wer dem Vorgang keine große Beachtung schenkt, sieht nicht, dass Gharehveysi von den Lippen abliest. Ein „L“ mit Daumen und Zeigefinger formt und dazu das Wort „Latte Macchiato“ sehr leise wiederholt, um auch sicherzugehen, dass die Order passt. Auch Max Kirschner hat heute Dienst. Er ist Teil des dreiköpfigen, hörenden Service-Teams. Obwohl es eine beidhändige Gebärde ähnlich einer Kaffeemühle gibt, überrascht Kirschner mit Daumen hoch an beiden Händen, winkelt die Ellenbogen ab und lässt die Hände zweimal über die Schultern wippen. Was ein wenig wie Autostoppen wirkt, ist die Order für einen Cappuccino. Tatsächlich ist allein die Gebärde, um Kaffee zu bestellen, so variantenreich, wie es die Kaffeezubereitungsarten selbst sind. Und wie jede Sprache hat auch die Gebärdensprache unterschiedliche „Dialekte“ – was das Lernen nicht gerade erleichtert.

Das Café Gutmut in Linz. Ein Café für gehörlose Menschen.
Die Gehörlosen-Community half bei der Entwicklung des Cafés. Die Spiegelzeile an der Theke erleichtert es den Mitarbeiter:innen, Gäste wahrzunehmen, auch wenn sie gerade mit dem Rücken zur Tür Kaffee zubereiten. | © Markus Zahradnik

Mitmachen und ausprobieren ist im Café Gutmut erwünscht

An der Auslage des Cafés und im Inneren sind Poster mit dem Fingeralphabet angebracht. Auf den Bierdeckeln ist auf der Vorderseite der Name „Gutmut“ in Schriftdeutsch, auf der Rückseite im Fingeralphabet abgedruckt. Demnächst werden auch QR-Codes (für kurze Anleitungsvideos) auf der Getränkekarte geneigte hörende Besucher:innen beim Gebärden unterstützen. Im ersten Gebärdensprache-Café Österreichs ist mitmachen und ausprobieren absolut erwünscht. Wer der Kunst der Gebärdensprache nicht mächtig ist, braucht etwas Überwindung. Fehler gehören dazu, die Sprache ist komplettes Neuland. Doch auch ohne Worte verstanden zu werden, macht glücklich. Faie Gharehveysi, gebürtige Iranerin, kam vor einem Jahr nach Österreich und lebt nun in Linz. Was ihr im Job Freude bereitet, ist die Kommunikation.

„Kommunikation hilft den Menschen mit Beeinträchtigungen“, schreibt Gharehveysi, die zu 90 Prozent von den Lippen abliest und zu 10 Prozent hört, auf Papier. Auch die Fragen wurden schriftlich gestellt. „Ich wollte in diesem Bereich arbeiten und möchte gerne mit anderen Menschen kommunizieren. Sehr viele unserer Gäste fragen nach, wie sie gebärden können, und probieren es aus.“ Dass sie hörbeeinträchtigt ist, würden die Gäste sehr schnell erfassen. Wer lieber nicht gebärdet, kann auch einfach auf die Karte deuten.

Ein Cappuccino im Café Gutmut in Linz. Ein Café für gehörlose Menschen.
© Markus Zahradnik

Arbeitsplätze schaffen

Was manche:r Hörende nicht bedenkt: Für gehörlose Menschen ist die Gebärdensprache die erste Sprache, und die funktioniert nach anderen Regeln und mit anderer Grammatik als das gesprochene bzw. geschriebene Deutsch. Dass Sprache nicht gehört werden kann, macht die Teilhabe in der akustischen Welt zu einem mühevollen, oft einsamen Unterfangen. Stefanie Breiteneder und Karin Übelbacher nutzen ihre Mittagspause für einen Besuch im Café Gutmut. Espresso und Cappuccino gebärden sie schnell und gewandt. Breiteneder leitet das Gesundheitszentrum für Gehörlose, Übelbacher den Bereich Arbeitsassistenz gemeinsam mit Kollegin Lisa Traxler. Die Arbeitsassistenz unterstützt dabei, einen Job zu finden oder einen vorhandenen Arbeitsplatz gut zu erhalten. Ein weiteres Projekt des Gesundheitszentrums für Menschen mit Hörbeeinträchtigung ist „job.com“.

Stefanie Breiteneder und Karin Übelbacher im Linzer Café Gutmut.
Stefanie Breiteneder und Karin Übelbacher. | © Markus Zahradnik

„Hier bieten wir theoretische Kurse zu den unterschiedlichsten Themen. Vom Führerscheinerwerb über Bewerbungstrainings bis hin zur Verbesserung der Deutschkompetenz“, erklärt Stefanie Breiteneder. „Die deutsche Schriftsprache ist ja nicht die erste Sprache, sondern die Zweitsprache. In einer Lerngruppe werden die theoretischen Inhalte gemeinsam geübt, denn für viele Gehörlose ist es mangels Schriftsprachkompetenz sehr schwierig, allein zu lernen.“ In der Arbeitsassistenz geht es seit jeher darum, Unternehmen für hörbeeinträchtigte Arbeitnehmer:innen zu sensibilisieren. Doch „für uns war es ein riesiges Thema, auch tatsächlich Arbeitsplätze zu schaffen, wo gehörlose Menschen ihre Stärken einsetzen können“, berichtet Stefanie Breiteneder über die ersten Gedanken zum Arbeitsintegrativprojekt Café Gutmut. Karin Übelbacher: „Als das Projekt ‚Gutmut‘ kommuniziert wurde, haben wir bei der Arbeitsassistenz gespürt: Es besteht sehr viel Interesse an diesem Café.“ Nebst einer Stellenausschreibung ging ein Facebook-Aufruf in Gebärdensprache online. Interessent:innen fanden sich freilich auch unter den Klient:innen des Instituts.

Voneinander lernen

Ein Jahr lang haben jeweils drei hörbeeinträchtigte Menschen in Kooperation mit dem AMS die Gelegenheit genutzt, Seite an Seite mit drei hörenden Mitarbeiter:innen Erfahrungen in der Gastronomie zu sammeln und sich in die Arbeitswelt der Hörenden zu integrieren. Ziel ist der Einstieg in den regulären Arbeitsmarkt. „Wir bringen ihnen alles bei, was es für die Gastro braucht. Vom Servieren bis zum Kassieren, von der Zubereitung sämtlicher Kaffeevarianten bis hin zur Gestaltung der malerischen ‚Latte Art‘ auf unseren Cappuccinos“, erzählt Geschäftsführer Andreas Widder.

Das Café Gutmut in Linz von innen.
© Markus Zahradnik

Die Gebärdensprache ist das verbindende Element zwischen den Mitgliedern des Servicepersonals – Voraussetzung für die hörenden Mitarbeiter:innen ist der Erwerb der Gebärdensprache. Wie Max Kirschner besucht auch Andreas Widder einen Gebärdensprachkurs und trainiert seine Fähigkeiten im Café Gutmut. Der gebürtige Wiener lebt seit 2013 in Linz und studierte an der FH Hagenberg Digital Arts. Trotzdem hat es ihn in die Gastronomie gezogen, speziell zur Kunst der Kaffeezubereitung. „Wir alle lernen die Gebärdensprache, es ist ein Lernen von Vokabeln im Sinne von Gesten mit reduzierter Grammatik“, erklärt der Geschäftsführer, der beinahe lässig von kleinen „Blockaden“ spricht, wenn er kurz nicht weiß, wie er dieses oder jenes Wort gebärdet. Zusätzlich zu Job und Familie besucht Widder eineinhalb Stunden pro Woche den Sprachkurs.

GeschäftsführerAndreas Widder vom Café Gutmut in Linz, ein Café für gehörlose Menschen.
Voraussetzung für die hörenden Mitarbeiter:innen des „Gutmut“
ist der Erwerb der Gebärdensprache. Auch Geschäftsführer
Andreas Widder besucht einen Gebärdensprachkurs. | © Markus Zahradnik

Kleine Zeichen aus der Politik

Offiziell eröffnet hat das „Gutmut“ erst am 8. März 2024, dem Festtag des Ordensgründers der Barmherzigen Brüder, Johannes von Gott/João Cidade (1495–1550). Doch bereits von Jänner bis März lief der Probebetrieb, in den Wochen davor wurden die hörbeeinträchtigten Mitarbeiter:innen, die zuvor keine Erfahrung in der Gastronomie sammeln konnten, intensiv geschult. „Das Bildungsprojekt ‚job.com‘ hat unser Gehörlosen-Team schon vor dem Start des Cafés in einer sechswöchigen Eingangsphase begleitet – gemeinsam wurden gastronomische Betriebe besucht und Fertigkeiten geübt. Die Trainer:innen von ‚job.com‘ stehen den Projektteilnehmer:innen, genau wie die Arbeitsassistenz, weiterhin unterstützend zur Seite“, erklärt Karin Übelbacher. Den Namen verdankt das Café übrigens, wie Breiteneder und Übelbacher erzählen, einem Johannes von Gott zugeschriebenen Zitat: „Gutes tun und es gut tun!“ Gekoppelt mit dem Mut, den die hörbeeinträchtigten Mitarbeiter:innen aufbringen, um in der Gastronomie Fuß zu fassen, und dem Mut der Gäste, sich mit der Gebärdensprache auseinanderzusetzen, hat es sich zum geflügelten „Gutmut“ emporgeschwungen.

Obwohl der bilinguale Unterricht in Deutsch und der Österreichischen Gebärdensprache (ÖGS) seit 2005 gesetzlich verankert ist, hapert es seit Jahren an der Umsetzung. Infos dazu bietet der Österreichische Gehörlosenbund. Mit neuen Lehrplänen für die ÖGS will das Bundesministerium etwa in den AHS-Oberstufen und in berufsbildenden mittleren und höheren Schulen die Gebärdensprache für alle Schüler:innen als zweite lebende Fremdsprache anstelle von Latein/Griechisch und als Wahlpflichtgegenstand anbieten – die Matura in ÖGS wäre möglich. Ob der neue Lehrplan noch mit dem Schuljahr 2024/25 in Kraft treten kann, ist noch nicht absehbar.

Inneneinrichtung des Café Gutmut in Linz.
© Markus Zahradnik

An freien Tagen wird gelernt

Zurück im Café „Gutmut“. Auch hier läuft nicht immer alles glatt und ohne Komplikationen. Andreas Widder kann einfache Anweisungen gebärden, komplizierte Sachverhalte muss er noch auf einen Zettel notieren. „Es ist schon ein hoher Aufwand“, erzählt der Geschäftsführer, „denn unser hörbeeinträchtigtes Team ist gänzlich neu in der Branche, und das ist schon mit Hörenden schwer, die bei null starten.“ Nach großem Medieninteresse und viel Mundpropaganda hat das „Gutmut“ viele Gäste dazugewonnen. Jeden Montag ist das Café geschlossen. Frei hat die Belegschaft dennoch nicht. Es wird geübt, wo Verbesserungsbedarf besteht – etwa das elegante Tragen eines schweren Tabletts oder allgemeine Arbeitsabläufe.

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