Arbeitsdruck: Gehetzt, kontrolliert und ausgebrannt

Wegen Stress will die Hälfte der Österreicher weniger arbeiten.
Steigender Arbeitsdruck macht die Arbeitnehmer:innen krank. | © Adobe Stock/Farknot Architect
Der Arbeitsdruck nimmt zu: Die einen leiden unter Arbeitsverdichtung, andere unter ständiger Kontrolle, dazu kommt das Gefühl, ständig erreichbar sein zu müssen. Das führt dazu, dass nicht nur das System krank ist, sondern auch immer mehr Arbeitnehmer:innen krank werden.
Drei Jahre muss Gabriele Jäckel noch arbeiten, dann kann sie in Pension gehen. „Diese drei Jahre möchte ich noch gut durchhalten“, sagt die 58-jährige Handelsangestellte aus Wien, die auch Betriebsrätin ist, gegenüber Arbeit&Wirtschaft. Damit das möglich ist, hat sie sich entschieden, in Altersteilzeit zu gehen und nur noch 21 Stunden in der Woche zu arbeiten. Die Arbeit im Supermarkt sei inzwischen sehr belastend, erzählt sie. Der Arbeitsdruck ist gestiegen. „In der Corona-Zeit wurde der Druck enorm. Es war immer mehr zu tun, aber es gab immer weniger Personal. Und wir mussten uns ständig von den Kund:innen beschimpfen lassen. Manchmal hatten wir die ganze Woche keinen freien Tag, weil durch Corona, aber auch andere Krankheiten viele Mitarbeiter:innen ausgefallen sind. Und ich war eine von denen, die immer Ja gesagt haben, obwohl ich eigentlich nicht mehr konnte.“

Arbeitsdruck hat stark zugenommen

Irgendwann war der Arbeitsdruck zu viel für sie. Jäckel erlitt einen Herzinfarkt. Nach ihrer Genesung kehrte sie dennoch rasch an ihren Arbeitsplatz zurück – um kurze Zeit später in ein Burnout zu rutschen. „Wenn ich nur daran gedacht habe, in die Arbeit zu fahren, habe ich Panikattacken bekommen.“ Nun nahm sie sich Zeit zu genesen, machte eine ambulante Reha, ging in Psychotherapie. Nach sieben Monaten im Krankenstand entschied sie sich, wieder arbeiten zu gehen. Aber eben nur mehr Teilzeit. „Ich wollte nicht kaputt sein, wenn ich dann in Pension gehe. Der Beruf ist anstrengend, man schleppt viel, es fehlt Personal Corona ist zwar vorbei, aber die Leute sind immer noch ungehalten und aggressiv. Jetzt geht es um die Teuerungen.“

Drei Jahre muss Gabriele Jäckel (58) noch arbeiten gehen. Damit dies möglich ist, hat sie sich für die Altersteilzeit entschieden. Denn, so Jäckel: „Diese drei Jahre möchte ich noch gut durchhalten.“

Aus ihrer Betriebsratsarbeit weiß sie, dass es auch anderen Kolleg:innen genauso geht wie ihr. „Eine Kollegin hat auch Probleme mit dem Herzen bekommen. Eine andere kämpft mit einem Problem mit dem Fuß. Die Jungen halten das noch aus, aber sehr viele sagen, der Stress, wenn ständig jemand ausfällt, ist schon groß.“

Arbeitsdruck im Gesundheitsbereich

Neben dem Handel ist der Gesundheitsbereich eine Branche, in der händeringend nach Mitarbeiter:innen gesucht wird. Von Ärzt:innen bis Pflegekräften. Gottfried Feiertag ist Vorsitzender des Zentralbetriebsrats der niederösterreichischen Gesundheits- und Pflegezentren. Rund 28.000 Menschen sind hier beschäftigt – von der Reinigungskraft über Haustechniker:innen bis zu Pflegepersonal und Mediziner:innen.

„Der Arbeitsdruck hat stark zugenommen“, erzählt auch er. Zum einen hätten sich die Anforderungen an die Arbeit stark verändert, auch durch Patient:innen und Bewohner:innen beziehungsweise deren Angehörige. Gleichzeitig sei das Personalkorsett eng, und kurzfristige Ausfälle etwa durch Erkrankungen führen dazu, dass jene, die gerade im Dienst seien, die Menschen, die sie pflegen und behandeln, trotzdem bestmöglich betreuen wollen und daher oft auf Pausen verzichten. „Dazu kommt das Gefühl, ständig erreichbar sein zu müssen und keine Freizeit mehr zu haben, in der man abschalten kann. Man muss dauernd damit rechnen, dass das Telefon läutet und ein Dienst zu übernehmen ist.“ Psychiatrische Diagnosen in der Belegschaft hätten zugenommen, beobachtet Feiertag. „Die einen schlittern in ein Burnout, andere ziehen sich innerlich zurück.“

Konzentrationslos in die Reizüberflutung

Druck anderer Art verspüren Lehrer:innen. Thomas Bulant ist Personalvertreter für die Wiener Pflichtschullehrer:innen. Volksschullehrer:innen seien damit konfrontiert, 25 Kinder zu unterrichten, die bei ihrer Einschulung „einen Entwicklungsstand zwischen einem Drei- und einem Neunjährigen haben“. Die Diversität werde immer größer. Sie reiche von motorischen Nicht-Fähigkeiten über einen unterschiedlichen Sprachstand und Interkulturalität bis hin zu Schäden, die eine zu frühe Digitalisierung im Kinderzimmer verursacht hätten. „Durch eine Reizüberflutung ist die Konzentrationsfähigkeit und Aufnahmebereitschaft dieser Kinder herabgesetzt.“ Gleichzeitig seien immer mehr Lehrer:innen auf sich alleine gestellt. „Begleitlehrer:innen und Förderkräfte sind aufgrund der geringer werdenden Ressourcen immer dünner gesät“.

Das führe zu enorm viel Frustration. „Wenn ich sehe, was ich den Kindern beibringen müsste, und es geht nichts weiter, weil die Möglichkeiten fehlen, macht das auch krank.“ Der Druck in den Mittelschulen sei etwas anders gelagert, hier seien die Lehrer:innen vor allem in den städtischen Ballungsräumen damit konfrontiert, „dass das eine Restschule ist, in der sich soziale, interkulturelle, pädagogische und entwicklungsmäßige Probleme und Herausforderungen konzentrieren“. Bulant beobachtet vor allem „viele psychosomatische Erkrankungen“ und das Bedürfnis vieler Kolleg:innen, sich für einige Zeit aus dem Rad herauszunehmen. Etwa durch eine Bildungskarenz. „Und die Alterspension mit 65 wird von kaum jemandem angestrebt, die meisten versuchen, mit 62 mit der Korridorpension auszuscheiden.“

Perfide Kontrollmechanismen steigern Arbeitsdruck

Der Arbeitsrechtler Martin Gruber-Risak von der Universität Wien beobachtet ein weiteres stark zunehmendes Phänomen in der Arbeitswelt. „Der Trend geht von der Input- zur Outputkontrolle.“ Soll heißen: Früher hätten die Anwesenheit und die Arbeit an sich als Maßstab gegolten, heute schaue man sich an, was Mitarbeiter:innen an Ergebnissen bringen. Bei Verkäufer:innen würde jeder Verkauf auf die einzelnen Mitarbeiter:innen gebucht, in der Gastronomie auf die Kellner:innen. Es reiche aber auch schon längst nicht mehr, im Büro an seinem Schreibtisch zu sitzen. Ob zu Hause im Homeoffice oder am Schreibtisch im Büro. Über die App Microsoft Teams sei immer transparent, ob man verfügbar sei oder nicht. „Dann wird dokumentiert, wie schnell reagiert wird. Und es kann auch sein, dass dann nicht Vorgesetzte aktiv werden, sondern ein Computerprogramm Mitarbeiter:innen sagt: ‚Uns ist aufgefallen, du hast heute noch nichts verkauft.‘“

All das bestätigt auch Arbeitspsychologin Veronika Jakl. Sie beschreibt drei Kategorien von Arbeitsdruck. Jenen durch die Tätigkeit an sich, wenn man sich als Pflegekraft zum Beispiel von Patient:innen anschreien lassen, aber dennoch immer freundlich bleiben müsse. Jenen durch schlechte Arbeitsorganisation, wenn man etwa erst kurzfristig seinen Dienstplan erfahre oder viele Überstunden machen müsse. Und schließlich den Druck durch ein schlechtes Sozialklima, wenn man das Gefühl habe, sich mit niemandem austauschen zu können.

Depressionen und Angststörungen

Zeigen würde sich der Arbeitsdruck auf verschiedene Art. Durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen ebenso wie etwa in Form von Typ-2-Diabetes oder psychischen Erkrankungen wie Depression oder Angststörungen. „Führungskräfte müssen hier immer schauen, ob sich jemand verändert. Wenn eine Person laut war und nun leise wird oder umgekehrt, dann ist das ein Indikator, dass es ihr nicht gut geht.“

Seit 2013 sieht das Arbeitnehmer:innenschutzgesetz vor, dass Betriebe nicht nur körperliche, sondern auch psychische Belastungen evaluieren und in der Folge verpflichtend Schutzmaßnahmen ergreifen müssen. Jakl nimmt seit vielen Jahren genau solche Evaluierungen vor.

Doch nicht alle Arbeitgeber:innen halten sich an diese Bestimmung des Arbeitnehmer:innenschutzgesetzes, bedauert Johanna Klösch. Er ist Arbeitspsychologin und Referentin in der Abteilung Sicherheit, Gesundheit und Arbeit in der Arbeiterkammer Wien (AK). Ablesen könne man das etwa daran, dass etwas über 60 Prozent der Betriebe angeben, über keinen Maßnahmenplan zur Vermeidung von arbeitsbedingtem Stress zu verfügen. Das zeige eine Erhebung der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz. Ein solcher Maßnahmenplan sollte sich eigentlich aus der Arbeitsplatzevaluierung ergeben.

Unmenschliche Vorgaben erhöhen Arbeitsdruck

Auch in der AK melden sich zunehmend Beschäftigte, die davon berichten, dass der Druck an ihrem Arbeitsplatz sie krank mache, so Klösch. Abzulesen sei das auch an der Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebung der Statistik Austria aus dem Vorjahr, basierend auf Zahlen aus dem Jahr 2020. Demnach fühlen sich bereits 60 Prozent der Erwerbstätigen am Arbeitsplatz mindestens einem psychischen Gesundheitsrisiko ausgesetzt. Am häufigsten werden dabei starker Zeitdruck und Arbeitsüberlastung genannt.

„Der betriebliche Fokus muss hier immer auf der Prävention liegen, damit es gar nicht so weit kommt“, betont Klösch. Die Arbeitsgeschwindigkeit und die Verdichtung der Arbeit hätten deutlich zugenommen. „Der Mensch hat natürlich vorgegebene Leistungsgrenzen – die Arbeit ist immer dem Menschen anzupassen und nicht umgekehrt.“ Burnout und Stress würden oft den Beschäftigten als persönliches Problem umgehängt, kritisiert sie zudem. Dabei liege es aber in der Verantwortung der Arbeitgeber:innen, psychisch gesunde Arbeitsbedingungen sicherzustellen. Arbeits- und Organisationspsycholog:innen könnten dabei mit dem erforderlichen Know-how unterstützen. „Insofern ist es wichtig, diese im Arbeitnehmer:innenschutzgesetz gleichberechtigt mit den Arbeitsmediziner:innen und Sicherheitsfachkräften zu verankern und mit den gleichen Rechten und Pflichten auszustatten“, so Klösch.

Fehlende Wertschätzung

Immer mehr Arbeitnehmer:innen würden aber bereits merken, dass die Balance zwischen ihrer geleisteten Arbeit und der Anerkennung durch den:die Arbeitgeber:in nicht mehr stimme. Klösch spricht hier von einer „Gratifikationskrise“ und verweist auf das Effort-Reward-Imbalance-Modell. Demnach erwarten Arbeitnehmer:innen für ihre Arbeit Gegenleistungen wie Wertschätzung, ein gutes Gehalt, gute Arbeitsbedingungen oder Aufstiegsmöglichkeiten. Wenn es dies alles aber nicht in einem adäquaten Ausmaß gebe, könne das krank machen. Genau deshalb sei es so wichtig, dass Arbeitgeber:innen ihrer Fürsorgepflicht gegenüber den Beschäftigten nachkommen und faire Arbeitsbedingungen vorliegen. Vor allem jüngere Arbeitnehmer:innen seien heute immer weniger bereit, ihre Gesundheit der Arbeit zu opfern – Klösch verweist hier auf das Phänomen des „Quiet Quitting“. „Es geht da auch um ein emotionales Distanzieren, um eine klare Trennung von Beruf und Freizeit. Ich arbeite, um zu leben, ich lebe nicht, um zu arbeiten.“

Und was schlagen die Branchenvertreter:innen vor, um den Arbeitsdruck zu verringern? 2022 sei in den niederösterreichischen Kliniken und Pflegeeinrichtungen der Startschuss für eine Überarbeitung der Personalbedarfserrechnung erfolgt, erzählt Feiertag. „Wir wollen besser abbilden, welche Leistung wie viel Zeit braucht, damit wir Druck herausnehmen können.“ Angesetzt würde aber auch bei der Ausbildung vor allem von Pflegekräften. Hier gebe es nun einerseits mehr Ausbildungsplätze, andererseits versuche man, die fertigen jungen Pflegekräfte dann auch im Land zu halten, indem der Einstieg in den Beruf finanziell attraktiver gestaltet wird. Auch für Allgemeinmediziner:innen und Fachärzt:innen wurde diesbezüglich nachjustiert. Ein spezieller Fokus liege beim derzeit laufenden Projekt auf der Dienstplanstabilität, wodurch wieder eine planbare Freizeit gewährleistet werden soll.

Für die Pflichtschulen fordert Bulant mehr psychosoziale Unterstützung durch Psycholog:innen, Therapeut:innen, Coaches, Sozialarbeiter:innen an den Schulen. Andererseits müsse man an der Lehrer:innenausbildung ansetzen. Diese finde auch für die Mittelschulen heute im Osten Österreichs nur mehr an der Uni statt und sei inzwischen sehr praxisfern. Dadurch seien junge Berufseinsteiger:innen oft rasch überfordert und auch rasch ausgebrannt.

Arbeitsdruck senken durch fairen Ausgleich

Es brauche aber auch einen faireren Finanzausgleich, wenn es um die Betreuung von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf gehe. Mittel gebe es hier für eine angenommene Quote von 2,7 Prozent der Kinder. Wenn es in einem Bundesland aber zu fünf oder sechs Prozent Kinder mit Handicaps gebe, dann zahle der Bund nicht mehr für deren Förderung. „Daher bekommen Kinder, die knapp am sonderpädagogischen Förderbedarf sind, keine Förderung. Und dann beißt sich die Katze in den Schwanz.“ So würden sich Lehrer:innen zu Recht sehr alleine gelassen fühlen.

Und was wünscht sich Jäckel? „Dass Personal gut bezahlt wird und durch mehr Mitarbeiter:innen der Druck herausgenommen wird.“ Dafür auch zu streiken, dazu sei die Bereitschaft übrigens inzwischen hoch. „Wir sind da jetzt auch in einer guten Position, weil ja überall Leute fehlen.“ Das könnte bald in immer mehr Branchen der Fall sein. Dann wird es auch leichter fallen, solidarisch zu agieren. „Es klingt banal, aber wenn es darum geht, eine Leistung zu erbringen, die über das hinausgeht, was vereinbart wurde, muss ich mir überlegen, ob ich das erbringen möchte“, sagt Gruber-Risak. „Solange es allerdings Kolleg:innen gibt, die an dem Rattenrennen teilnehmen, werde ich ins Hintertreffen gelangen.“

„Der Trend geht von der Input- zur Outputkontrolle“, so Martin Gruber-Risak. Oft seien es nicht Vorgesetzte, sondern Computerprogramme, die dem:der Mitarbeiter:in sagen, dass zu wenig verkauft wurde.

Solidarität zählt

Er erzählt dazu auch eine Begebenheit aus seinen beruflichen Anfängen: „Ich war in einer Anwaltskanzlei beschäftigt, wir haben viel gearbeitet, und ein älterer Kollege sagte, wir gehen um 18 Uhr nach Hause. Ich meinte, ich wolle noch bleiben, die Arbeit mache mir Spaß. Und er sagte, irgendwann würde es keinen Spaß mehr machen. Zehn Stunden am Tag, das müsse reichen. Jemand Jungen ohne Familie stört das lange Arbeiten vielleicht nicht, aber auf Dauer wird er es nicht durchhalten.“

Fabriksarbeiter:innen wüssten das schon lange. Langsam werde das aber auch Angestellten klar, die bisher meinten: „Ich bin eh toll qualifiziert, wenn ich genug arbeite, kann ich mich in der Arbeitswelt gut behaupten.“ Aber in Wirklichkeit sei das System als solches gegen das Individuum. Die Lösung liege hier eben in der Solidarität der Belegschaft, betont Gruber-Risak – aber auch in einem Betriebsrat, der etwa betreffend Datenerfassung zur Leistungskontrolle Betriebsvereinbarungen abschließt, die hier einer digitalen Überwachung so gut wie möglich einen Riegel vorschieben. „Es ist ein systemisches Problem“, sagt der Arbeitsrechtler, „deshalb ist die kollektive Lösung sehr wichtig.“

Über den/die Autor:in

Alexia Weiss

Alexia Weiss, geboren 1971 in Wien, Journalistin und Autorin. Germanistikstudium und Journalismusausbildung an der Universität Wien. Seit 1993 journalistisch tätig, u.a. als Redakteurin der Austria Presse Agentur. Ab 2007 freie Journalistin. Aktuell schreibt sie für das jüdische Magazin WINA sowie für gewerkschaftliche Medien wie die KOMPETENZ der GPA-djp oder die Gesunde Arbeit. 2022 erschien ihr bisher letztes Buch "Zerschlagt das Schulsystem ... und baut es neu!" (Verlag Kremayr & Scheriau).

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