„Würdest du deine Kinder in die Gastro schicken?“

Kellner in einem Restaurant decken einen festlichen Tisch. Symbolbild für Arbeitskräftemangel in der Gastronomie.
In der Gastronomie ist die Quote an Abbrecher:inneen besonders hoch. Und dafür gibt es gute Gründe. | © Adobestock/ pjjaruwan
Der Arbeitskräftemangel in der Gastronomie kommt nicht von ungefähr: Ungeregelte Arbeitszeiten und geringe Löhne sind die harte Realität. Die Abbrecher-Quote unter den Lehrlingen ist enorm hoch.
Die Branche Gastronomie und Tourismus schafft sich ihre Problemfelder selbst. Arbeitsdruck, ungeregelte Arbeitszeiten und geringer Lohn führen zu einem Arbeitskräftemangel in der Gastronomie. Zusätzlich brachen zwischen 2018 und 2020 rund 51 Prozent der Lehrlinge im Bereich Restaurantfachmann/-frau und 40,7 Prozent bei Köch:innen die Lehre ab. Viele der Jobs sind längst auf der Mangelberufsliste.

Hausgemachter Arbeitskräftemangel in der Gastronomie

„Als Lehrling hätte ich eigentlich eine Fünf-Tage-Woche gehabt, hatte aber eine Sechs-Tage-Woche. Und in sechs Tagen habe ich von früh bis spät nur Besteck poliert, tausende von Wannen ganz alleine geputzt, gestaubsaugt, den Boden gewischt. Ich habe mir gedacht, was ist das für ein scheiß Beruf“, gab ein ehemaliger Lehrling im Rahmen der qualitativen Studie „Was steckt hinter dem Personalmangel? Arbeitsbedingungen in Gastronomie und Hotellerie in Oberösterreich“ zu Protokoll. Studienautorin Johanna Neuhauser und ihr Forscher:innenteam bestätigen damit, was die AK Oberösterreich-Rechtsberatungsstatistik belegt. Von 2013 bis 2020 entfielen jeweils rund 15 Prozent aller abgeschlossenen Rechtsakte auf den Bereich Gastronomie und Hotellerie. Obwohl nur drei Prozent der unselbständig Beschäftigten in Oberösterreich in dieser Branche arbeiten.

Zwei junge Köchinnen bei ihrer Arbeit in einer Großküche. Geringe Löhne und schlechte Arbeitszeiten in der Gastronomie sind der Grund für den Arbeitskräftemangel.
Unter den harten Arbeitsbedingungen in der Gastronomie leiden besonders Lehrlinge. | © Adobestock/NVB Stocker

 

 

Zwei von drei Beschäftigte in Gastronomieberufen gaben laut Arbeitsklima Index schon vor der explodierenden Teuerungswelle an, dass sie von ihrem Einkommen nicht oder gerade noch leben können. Das ist wenig verwunderlich. Das Bruttomedianeinkommen in der Gastronomie liegt rund 30 Prozent unter dem österreichischen Medianeinkommen. Berend Tusch, Vorsitzender des Fachbereichs Tourismus in der Gewerkschaft vida, teilt diese Einschätzung. „Mit einem Vollzeitjob muss man ein gutes Leben führen können. Es braucht ein hohes Grundeinkommen, bei Überzahlung des kollektivvertraglichen Mindestlohns müssen auch diese steigen und nicht zu Mogelpackungen werden.“ Die Löhne müssen über der Armutsgrenze von 1.371 Euro netto für einen Einpersonenhaushalt liegen. Ein Muss ist deshalb ein Einstiegsgehalt von 2.000 Euro. Doch das Geld ist längst nicht der einzige Grund, warum es in den Branchen zu Problemen für die Beschäftigten kommt.

Strukturelle Probleme

Dem Personalmangel in der Branche liegen strukturelle Probleme zugrunde, die nicht erst seit der Pandemie bestehen. Zwar könne man nicht alle Betriebe über einen Kamm scheren, aber die Löhne im Kollektivvertrag sind schlichtweg sehr gering. Ebenso bescheiden sind die Lohnsteigerungen nach Dienstjahren und Qualifikation. Relativ wenige Betriebe, so Neuhauser, würden laut Analysen von Stellenausschreibungen Überbezahlung in den Anzeigen anbieten. „Die Beschäftigten sehen insgesamt eine unangemessene Relation zwischen den hohen Anforderungen bezüglich Arbeitszeiten, Arbeitsdruck und den gefragten Kompetenzen einerseits und dem, was dann am Konto ankommt, andererseits.“

Außerdem seien die oft kurzfristigen Dienstplanänderungen belastend, so die Befragten. „Um 14 Uhr weißt du oft nicht, wie du arbeitest, ob du um 15 Uhr arbeitest oder um 17 Uhr. Du sitzt zu Hause und wartest“, beschreibt es ein Befragter in der Studie. „Die Beschäftigten wünschen sich Dienstpläne, die nicht wöchentlich oder täglich gemacht werden“, erklärt Neuhauser. Unliebsame Teildienste und nicht eingehaltene Ruhezeiten aufgrund von langen Öffnungszeiten oder dem kurzfristigen Einspringen für Kolleg:innen stehen auch auf der Tagesordnung. Die „Work-Life-Balance“ leidet darunter natürlich sehr stark. Die zwei größten Hebel zu Verbesserung der Arbeitsbedingungen sind demnach Zeit und Geld. Zudem müsse sich der allgemeine Umgang der Gesellschaft mit der Gastronomie verändern, so Neuhauser: „Wir alle als Konsument:innen müssen uns fragen, inwiefern wir die Allzeit-Verfügbarkeit gastronomischer Services erwarten können.“ Konkret heißt das zum Beispiel, dass eine größere Akzeptanz gegenüber eingeschränkteren Öffnungszeiten und früheren Sperrstunden entwickelt werden müsste.

Die besonders Betroffenen

„Ein deutliches Ergebnis unserer Studie war, dass es besonders vulnerable Gruppen gibt. Junge Beschäftigte, zum Beispiel Lehrlinge und andere Auszubildende, sowie Migrant:innen“ sind besonders betroffen. Diese Gruppen berichteten am meisten von Arbeitsrechtsverletzungen, da sie häufig als „günstigere“ Arbeitskräfte wahrgenommen werden. Aufgrund ihres Alters bzw. mangelnder Sprach- und Rechtskenntnisse sind sie auch leichter Opfer von Ausbeutung. Die Drop-Out-Quote lag für Lehrlinge im Bereich Restaurantfachmann/-frau zwischen 2018 und 2020 österreichweit bei 51 Prozent, bei Köch:innen bei 40,7 Prozent. „Normal“ ist über alle Branchen hinweg ein Wert von knapp mehr als einem Viertel.

„Unsere Studie bestätigt auch quantitative Erhebungen, wie die des Lehrlingsmonitors. Die Lehrlinge haben anfangs eine hohe Motivation. Die Wunschberufsquote ist eher überdurchschnittlich. Das heißt, die Bedingungen in den Lehrbetrieben enttäuschen“, führt Neuhauser aus. Wer gerne Koch werden will und drei Jahre nur am Frühstücksbuffet steht, der will irgendwann nicht mehr.

Bildung und Beratung gefordert

Am kritischsten ist die Situation häufig bei Migrant:innen, deren Branchenanteil mittlerweile bei über 50 Prozent liegt. Den Referenzrahmen bilden die Entlohnung und die Arbeitsbedingungen im Herkunftsland. Dort ist der Lohn meist niedriger als in Österreich. Laut der Studie schreiben sich migrantische Beschäftigte häufig selbst eine größere Flexibilität und Gefügigkeit zu. Dies wird von Arbeitgeber:innen auch erwartet und ausgenutzt. Die befragten Migrant:innen berichteten von Exklusionserfahrungen am Arbeitsmarkt aufgrund fehlender Sprachkenntnisse. In Österreich nicht anerkannte Ausbildungszertifikate sowie mangelndes Wissen über ihre Arbeitsrechte seien weitere Problemfelder. Migrant:innen nehmen deshalb sehr häufig niedrig entlohnte, prekäre Positionen in der Branche ein. Zudem würden Migrant:innen auch oft mit rassistischer Diskriminierung am Arbeitsplatz konfrontiert, wie der Fall eines Rezeptionisten zeigt. Mit der Begründung „Du kommst aus Bangladesch, du bist solche Arbeiten gewohnt“ wurde er regelmäßig zu Reinigungsarbeiten verpflichtet.

Es brauche mehr Bildungs- und Beratungsangebote sowie schärfere Kontrollen durch die Arbeitsinspektorate, erklärt Tusch von der vida. „Es müssen Qualitätssicherungen in der Ausbildung eingeführt werden, welche durch entsprechende Überprüfungen auch abgesichert werden müssen“, stellt er klar. „Ebenso braucht es eine Dokumentation über die einzelnen Ausbildungsschritte und Ausbildungsberechtigungen für Betriebe dürfen nicht mehr zeitlich unendlich ohne entsprechende Qualitätsüberprüfung gelten.“

Prekäre Arbeit – prekäres Leben

Es sei sehr bedauerlich, wenn man höre, dass die Jungen nichts arbeiten wollen. „Denn die Forschungsergebnisse zeigen, dass oft ein großes inhaltliches Interesse an der Arbeit in der Branche besteht. Die Bedingungen schrecken die Leute ab“, beschreibt Neuhauser und spricht über einen Fall, in dem eine junge Frau meinte, sie könne in der Branche gar keine Familie haben, weil das die Arbeit nicht zulasse.

Noch eklatanter ist die Sachlage bei migrantischen Saisoniers aus Drittstaaten. Die Beschäftigungsbewilligungen werden vom AMS an die Betriebe und nicht an die Beschäftigten selbst ausgestellt. Das befördere die Abhängigkeit vom jeweiligen Unternehmen und damit potenziell auch Ausbeutung, so Neuhauser. Denn wenn die Arbeitsbewilligung erlischt, muss man Österreich verlassen, um den Arbeitgeber zu wechseln.

Verbesserungen müssen her

Die Studienbefunde zeigen deutlich, dass es ein Umdenken bräuchte. Weg von einer Förderung der Ausbeutung günstiger Arbeitskräfte und hin zu einer Stärkung am Arbeitsmarkt benachteiligter Beschäftigter. Berend Tusch fasst die Gewerkschaftsforderungen zusammen: „Wir fordern: keine geteilten Dienste mehr, sofern es das Geschäftsmodell zulässt. Dienstpläne müssten zumindest 14. Tage im Vorhinein bekannt gegeben werden und sie sollten auch das halten, was sie versprechen. Sollte es dennoch Abweichungen vom Dienstplan geben, ist die Flexibilität der Arbeitnehmer:innen entsprechend zusätzlich abzugelten.“ Es bedarf zudem Arbeitszeitmodelle, welche auch größere Freizeitblöcke am Stück zulassen. Auch ein Lebensarbeitsphasenmodells (Junge, Ältere, Familiengründung usw.), bei dem zumindest in gewissen Zeiten eine 4-Tage-Woche möglich ist, kann hilfreich sein. Eine 4-Tage-Woche sollte jedoch zeitgleich auch mit einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit einhergehen: „Arbeitnehmer:innen im Hotel- und Gastgewerbe müssen auch ein Anrecht auf ein freies Wochenende haben!“

Werden diese Forderungen umgesetzt, würden sich wohl auch die Personalprobleme der Branche lösen lassen – oder wie es ein Befragter in der Studie ausdrückte: „Wenn mich jemand fragt, wieso es keine Fachkräfte gibt: ‚Würdest du deine Kinder in die Gastronomie schicken?‘ Wenn er dann ja sagt, dann hat man was richtig gemacht.“

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