Wenn Uber-Fahrer selbst zu Wort kommen

Uber-Fahrer
Foto (C) Adobe Stock
Robert Fröwein ist Musikjournalist und kommt deshalb viel herum. Sein Job führt ihn zu zahlreichen Terminen, oft zu eher ungemütlichen Tag- und Nachtzeiten. Das heißt auch: Er fährt oft Taxi. Oder er benutzt die Uber-App. Jetzt hat er ein Buch über seine Fahrten veröffentlicht. Eine Sammlung von Gesprächen mit Uber-Fahrern auf der Fahrt durch Wien, aufgenommen mitten im Corona-Jahr 2020, welches für die Branche eine Reihe von Umbrüchen mit sich brachte. Von Christian Bunke.
Ich bin ein kommunikativer Mensch“, erzählt Fröwein, „ich rede gern.“ Das trifft sich gut, denn auch die meisten Uber-Fahrer:innen haben scheinbar Redebedarf. „Die sind dauernd unter Menschen, aber doch meistens allein. Du kannst bei der Uber-App ja einstellen, dass du nicht mit den Fahrer:innen reden willst. Viele fahren in Wien mit Uber herum, wissen aber überhaupt nichts über die Menschen, die da am Steuer sitzen. Das wollte ich ändern und die Buntheit der Fahrer:innen zeigen. Sie haben sich echt gefreut, dass ihnen endlich mal jemand zuhört.“

Herausgekommen ist eine unmittelbare und eindringliche Geschichten-Melange. Die Gespräche seien alle unvorbereitet und spontan entstanden, betont Fröwein. „Deshalb habe ich die Namen der Fahrer auch verfremdet, um sie nicht zu gefährden.“ Längst nicht alles hat er zu Papier gebracht: „Ich habe viele heftige Geschichten gehört, die habe ich nicht alle im Buch ausgebreitet. Ich wollte keinen Sozialporno machen. Eher wollte ich Toleranz und Verständnis diesen Menschen gegenüber im ja nicht immer sehr freundlichen Österreich fördern. Ich wollte wissen, warum jemand diese extrem harte Arbeit mit fragwürdigen Arbeitsbedingungen macht.“

Ich wollte wissen, warum jemand diese extrem harte Arbeit mit fragwürdigen Arbeitsbedingungen macht.

Robert Fröwein, Autor

Bunte Vorgeschichten

Wie sich herausstellt, sind die Gründe vielfältig. Da ist der ehemalige Krankenwagenfahrer, der aufgrund von Einsparungen seinen Job verloren hat und nun „als Notanker“ für Uber fährt. Oder der afghanische Flüchtling, der lange als Türsteher arbeitete, aber zu Uber wechselte, weil er vom alten Job zu oft psychische und körperliche Verletzungen nach Hause zu Frau und Kind mitbrachte. Ein anderes Beispiel ist Emeka, der eigentlich gebrauchte Autos nach Nigeria exportierte, aber wegen der Pandemie zu Uber wechselte. Kaum jemand, der von Fröwein interviewt wird, hat als Uber-Fahrer:in angefangen. Viele waren vorher für Paket-Dienstleister oder andere Lieferdienste unterwegs, fanden die Bedingungen dort aber noch schlechter und körperlich anstrengender als im Mietwagengeschäft.

Was nicht heißt, dass es bei Letzterem rosig ausschaut. Im Gegenteil. So erzählt im Buch Hristo, ein Fahrer aus Bulgarien: „Ich sehe viele meiner Kollegen irgendwo in der Stadt im Auto schlafen, weil sie mit neun- oder zehnstündigen Schichten niemals so viel Geld machen, um überleben zu können. Sie bleiben dann gleich angemeldet im Auto liegen und warten fast rund um die Uhr darauf, eine Fahrt zu haben.“

Ich sehe viele meiner Kollegen irgendwo in der Stadt im Auto schlafen, weil sie mit neun- oder zehnstündigen Schichten niemals so viel Geld machen, um überleben zu können. Sie bleiben dann gleich angemeldet im Auto liegen und warten fast rund um die Uhr darauf, eine Fahrt zu haben.

Hristo, Uber-Fahrer

Die meisten seiner Gespräche führte Fröwein im November 2020. Da war, wir erinnern uns noch alle, gerade Lockdown. Die Nachtgastronomie verfiel in einen Winterschlaf, der auch die Uber-Fahrer:innen erwischte. „Ich bin zu dem Zeitpunkt um 17 Uhr zu einem Fahrer ins Auto gestiegen, der hat mir erzählt, ich sei an diesem Tag erst der zweite Fahrgast.“ Im Sommer seien die Fahrer:innen hingegen „extrem“ gefahren, um die Verluste wieder hereinzuholen. „Die Leute leben mit Ach und Krach“, erzählt Fröwein. „Es sind prekäre Zeiten, und es ist kaum möglich zu überleben. Viele steigen um vier Uhr morgens ins Auto. Mittags fahren sie kurz heim und legen sich zwei Stunden hin, dann fahren sie weiter, bis in die Nacht.“

Von Frauen keine Spur

Fahrerinnen ist Robert Fröwein auf seinen Fahrten durch Wien nicht begegnet. Auch das wird im Buch thematisiert. „Der Job wird überwiegend von Männern gemacht. Es ist eine Männerbranche. Vor allem nachts sind Fahrerinnen oft sexualisierten Übergriffen oder Gewalt durch Fahrgäste ausgesetzt.“ Fröwein schildert den Fall eines Sub-Unternehmers, der gerade eine Fahrerin neu eingestellt hat. „Doch auch sie wird nur am Tag fahren, nicht nachts. Aber nachts gibt es die lukrativsten Schichten, sie verdient also noch weniger als ihre männlichen Kollegen.“ Ein Umstand, an dem sich wohl vorerst nichts ändern wird.

Nicht jeder Uber-Fahrer fährt als selbstständiger Fahrer. Manchen ermöglicht es die App, sich einen eigenen Stall von Fahrern aufzubauen, somit quasi zu „echten“ Unternehmern zu werden. Sie haben ihre eigenen Autos, die sie „ihren“ Fahrern zur Verfügung stellen. Diese geben einen Teil ihrer Einkünfte an den Unternehmer ab. Auch das verläuft scheinbar nicht immer konfliktfrei. So erzählt ein Fahrer im Buch: „Zunächst musste ich ungefähr 15 Prozent all meiner Einnahmen an das Uber-Subunternehmen abführen. Das fand ich noch okay, doch im Laufe der Jahre hat sich dieser Satz erhöht. Zuerst auf 20 Prozent, dann auf 30 und aktuell sind es 35 Prozent.“ Die Pandemie machte diesem Geschäftsmodell zusätzlich zu schaffen. So erzählt Fröwein die Geschichte von Mustafa, der fünf Fahrer bei sich beschäftigt hatte. Weil er aber bei 10.000 Euro laufenden Kosten nur 500 Euro Corona-Unterstützung bekam, musste er zeitweise selbst als Lebensmittellieferant arbeiten, um über die Runden zu kommen.

Daneben haben sich in den vergangenen Jahren Formen kollektiver Strukturen entwickelt, die unter den Fahrern aber nicht unumstritten sind. Auch dieses Thema wird im Buch angesprochen. „Manche tun sich aus dem Ausland zusammen, mieten in Wien für einige Monate günstig eine Wohnung und fahren dann hier, was das Zeug hält“, sagt Fröwein. „Dann fahren sie mit dem verdienten Geld wieder zurück in ihre Heimat, bis sich das Spiel wiederholt.“

Taxi-Innung gegen Uber

Anfang Jänner 2021 trat in Österreich eine Novellierung des Gelegenheitsverkehrsgesetzes in Kraft. Auch dieses Gesetz spielt in Fröweins Buch und in den Gedankengängen der von ihm interviewten Fahrer eine Rolle. Denn mit dieser Novelle wurden das Taxi- und Mietwagengewerbe einander angeglichen. Die Politik reagierte damit auf anhaltende Proteste und Autokorsos, die von Mitgliedern der Taxi-Innung gegen die Bedrohung durch die Uber-App organisiert wurden. Die wesentlichste Änderung für Uber-Fahrer:innen: Sie müssen nun auch eine sogenannte „Eignungsprüfung für das Beförderungsgewerbe mit Pkw“ ablegen. Eine Prüfung, die nicht zuletzt aufgrund der Sprachbarriere viele Fahrer:innen vor große Hürden stellt. So erzählt Petko: „Ich habe damals sechs Monate für meinen Taxilenkerschein gelernt. Ich bin dreimal durchgefallen, und es hat mich sehr viel Geld gekostet.“

Ich habe damals sechs Monate für meinen Taxilenkerschein gelernt. Ich bin dreimal durchgefallen, und es hat mich sehr viel Geld gekostet.

Petko, Uber-Fahrer

Robert Fröwein wollte mit seinem Buch die Fahrer aus der Anonymität herausholen, ihnen eine Stimme geben. „Ich wünsche, dass Menschen das lesen. Vor allem Menschen, die vielleicht Vorurteile gegenüber Geflüchteten haben. Die Fahrer, viele von ihnen mit Fluchtgeschichte, sind keine Bestien, sondern Leute, die in Ruhe hier leben und arbeiten wollen und schwere Geschichten hinter sich haben.“ Geschichten, die nun anschaulich zu Papier gebracht wurden.

Hier geht’s zum Buch

Robert Fröwein
Ein Leben voller Abzweigungen – Taxifahrer aus aller Welt über ihr Leben in Österreich,
Leykam Buchverlag

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