Reportage: Im Schatten der Armut | Obdachlosigkeit in Österreich

Foto (C) Michael Mazohl
Früher Bahnhof, nun Schlafplatz: Am einstigen Nordbahnhof nächtigen Obdachlose. Eine offizielle Zahl, wie viele Menschen in Wien wohnungslos sind, gibt es nicht. Es gibt etwa 5.000 Plätze zur kurz- oder langfristigen Unterbringung.

Inhalt

  1. Seite 1
  2. Seite 2
  3. Seite 3
  4. Seite 4
  5. Auf einer Seite lesen >
Wohnungslosigkeit kann jede/n treffen, von Jugendlichen bis zu AkademikerInnen. Sandra Knopp und Udo Seelhofer gingen der Frage nach, wieso immer mehr Menschen in Wohnungsnot geraten, und stießen auf zum Teil überraschende Antworten.
Gerade als sich Barbaras Krebsbehandlung dem Ende zuneigte, entschloss sich ihr Vermieter, den Mietvertrag nicht zu verlängern. Die Wohnung sollte verkauft werden. Somit stand Barbara plötzlich auf der Straße. Die Kaution für eine neue Wohnung konnte sie sich nicht leisten. „Ich war vorher selbstständig, durch die kostspielige Behandlung waren meine finanziellen Ressourcen aufgebraucht.“ Aber Barbara ließ sich nicht entmutigen. Die Suche nach einer neuen Bleibe hatte oberste Priorität. Der Wendepunkt kam für Barbara, als sie im Radio von den „Shades Tours“ hörte. Diese Stadtführungen unterscheiden sich deutlich von den üblichen geführten TouristInnentouren: Obdachlos gewordene Menschen zeigen die Stadt aus einer sozialpolitischen Perspektive. So erzählen die Guides sowohl von den Herausforderungen als auch von den Lösungsansätzen und Einrichtungen für Obdachlose. „Ich habe dann gleich zum Hörer gegriffen und Perrine Schober, die Gründerin von Shades Tours, angerufen“, erinnert sich Barbara. Bei einem Gespräch stellten beide fest, dass die Chemie passt, Barbaras Schulung zur Führerin begann.

Das Wiener Straßenbild hat sich in den letzten Jahren stark verändert, erzählt Gründerin Perrine Schober: „Die Menschen gehen jeden Tag an Armut und Obdachlosigkeit vorbei und wissen gar nicht, wie sie reagieren sollen.“ Die Inspiration für Shades Tours holte sich Schober unter anderem aus Amsterdam, wo Thementouren, die etwa durch das Rotlichtmilieu führen, angeboten werden. „Ich habe nachgedacht, wie ich das in Wien realisieren kann.“

Ziel sei es, die Menschen so zu bilden, dass sie sich nicht unwohl fühlen, wenn sie einen obdachlosen Menschen sehen, und agieren können, wenn es nötig ist. „Es ist ein Projekt der sozialen Bildung für die Zivilbevölkerung.“ Viele gehen in die Touren, um etwas Gutes zu tun, und seien dann sehr überrascht, wie viel sie eigentlich bekommen haben, so Schober.

Foto (C) Michael Mazohl
Um ein Dach über dem Kopf zu haben, nächtigen obdachlose Menschen auch in abbruchreifen Gebäuden. Vor allem im Winter ist der Bedarf an Notschlafplätzen hoch: In den kältesten Wochen im Jänner 2017 standen 1.100 Plätze für akut wohnungslose Menschen zur Verfügung. Die durchschnittliche Auslastung im Winter 2016/2017 lag bei 92 Prozent.
Zudem wurden von der Stadt Wien 160 zusätzliche Plätze für den Tagesaufenthalt in Wärme­stuben geschaffen.

Inhalt

  1. Seite 1
  2. Seite 2
  3. Seite 3
  4. Seite 4
  5. Auf einer Seite lesen >

Über den/die Autor:in

Sandra Knopp und Udo Seelhofer

Sandra Knopp ist freie Journalistin für verschiedene Radio und Printmedien, und hat die Themen Arbeitsmarkt, Soziales und Gesellschaftspolitik als Schwerpunkte. Udo Seelhofer war früher Lehrer und arbeitet seit 2012 als freier Journalist. Seine Schwerpunkte sind Gesellschaft, soziale Themen und Religion. Im Team wurden sie beim Journalismuspreis „Von unten“ 2017 für ihre Arbeit&Wirtschaft Reportage „Im Schatten der Armut“ ausgezeichnet.

Du brauchst einen Perspektivenwechsel?

Dann melde dich hier an und erhalte einmal wöchentlich aktuelle Beiträge zu Politik und Wirtschaft aus Sicht der Arbeitnehmer:innen.



Mit * markierte Felder sind Pflichtfelder. Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten gemäß den Datenschutzbestimmungen zu.