Reportage: Im Schatten der Armut | Obdachlosigkeit in Österreich

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Wohnungslosigkeit kann jede/n treffen, von Jugendlichen bis zu AkademikerInnen. Sandra Knopp und Udo Seelhofer gingen der Frage nach, wieso immer mehr Menschen in Wohnungsnot geraten, und stießen auf zum Teil überraschende Antworten.

Wohnraum dringend gesucht

Die Lage am österreichischen Wohnungsmarkt ist seit Jahren angespannt und spitzt sich weiter zu. Mit 1. April 2017 wurden die Mietrichtwerte in Österreich um 3,5 Prozent angehoben. Davon sind hierzulande rund 300.000 Haushalte betroffen. Im Durchschnitt bedeutet das für jeden Einzelnen rund 150 Euro Mehrkosten pro Jahr. Das kann sich nicht jeder leisten. Caritas-Wien-Geschäftsführer Klaus Schwertner appelliert an VermieterInnen, Baubranche und Politik: „Wir suchen kleine, abgeschlossene Wohneinheiten mit Bad und Kochgelegenheit ab 25 Quadratmeter zu leistbaren Preisen, nach Möglichkeit unbefristet.“ Die Caritas mietet solche Wohneinheiten für KlientInnen an und übernimmt in der ersten Zeit eine Ausfallshaftung.

Laut Statistik werden wohnungslose Menschen stetig jünger. Rund ein Drittel der Betroffenen ist unter 30 Jahre alt. Das JUCA im 16. Bezirk, das Übergangswohnhaus der Caritas für junge Erwachsene zwischen 18 und 30 Jahren, hat sich dieser Zielgruppe angenommen. Philipp wohnt seit einem halben Jahr hier. Davor schlief er im Freien, auf der Donauinsel und beim Museumsquartier. Zu Hause habe es einfach nicht mehr gepasst: „Mit meinen Eltern habe ich mich sehr viel gestritten. Das hat sich immer mehr hochgeschaukelt, bis ich rausgeflogen bin.“

Im JUCA gefällt es dem 21-Jährigen sehr gut. „Die Mitbewohner und Betreuer sind sehr gemütlich. Es gibt keine Streitereien und niemand geht mir auf die Nerven. Das ist recht angenehm“, sagt er lachend. Vom JUCA erfuhr er durch einen Freund: „Ich bin hierhergekommen und man hat mir sofort ein Zimmer gegeben.“

JUCA-Leiterin Andrea Fichtinger betont, dass es im JUCA vor allem um Grundversorgung und Notunterkunft gehe: „Wir haben hier im Haus 67 Einzelzimmer und eine Notschlafstelle mit 16 Plätzen.“ Vielen Jugendlichen fehle es an familiärem Rückhalt und tragfähigen sozialen Beziehungen. Einige haben Suchtprobleme, anderen fehlt der Schulabschluss. Die Jugendlichen können bis zu zwei Jahre im JUCA wohnen, in Einzelfällen auch länger. Andrea Fichtinger betont, dass die Jugendlichen mehrfach ins JUCA kommen können: „Viele sind es nicht gewohnt, sich an Regeln zu halten, und ziehen vorzeitig wieder aus. Andere schaffen es nicht, die Miete fristgerecht zu zahlen. Es handelt sich um Jugendliche, die noch nie selbstständig gewohnt haben und ihr eigenes Einkommen verwalten müssen und sich damit schwertun.“ Etwaige VermieterInnen bittet sie um Verständnis: „Unsere Zielgruppe kann nicht nachweisen, schon jahrelang in eigenen Wohnungen gelebt zu haben. Für sie ist es oft der erste Versuch.“

Im Jahr 2016 wandten sich rund 6.000 Menschen wegen Wohnproblemen an die Caritas. Caritas-Wien-Geschäftsführer Klaus Schwertner betont, dass steigende Mieten ein österreichweites Problem sind. „Seit 2008 sind die Wohnkosten um mehr als 18 Prozent gestiegen. Bei armutsgefährdeten Haushalten betrug die Steigerung gar 31 Prozent.

Diese Fakten liegen schon lange auf dem Tisch, aber die Regierung hat die Probleme unterschätzt oder ignoriert“, kritisiert Schwertner. Das führt dazu, dass sich viele Menschen trotz Arbeit den notwendigen Wohnraum nicht mehr leisten können. Schwertner zitiert aus Wohnannoncen: Für eine 33-m2-Wohnung in Wien-Favoriten sind 678 Euro Miete veranschlagt, in Salzburg Stadt kostet eine 46 m2 große Unterkunft 745 Euro Miete. Dazu kommt eine Kaution von mehr als 2.000 Euro. Auch die Kosten für Strom, Wasser und Heizung müssen beglichen werden. „Von den BewohnerInnen im JUCA kann sich das niemand leisten“, so Schwertner.

Foto (C) Michael Mazohl
Perrine Schober hat im Herbst 2015 „Shades Tours“ ins Leben gerufen. Obdachlose Guides zeigen Interessierten ihr Wien und geben Einblick in ihren Alltag. Das Ziel der mehrstündigen Touren: Menschen sollen sich im Kontakt mit Obdachlosen nicht unwohl fühlen und agieren können, wenn es nötig ist. Die Inspiration zu diesen außergewöhnlichen Führungen holte sich Perrine Schober übrigens in Amsterdam.

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Über den/die Autor:in

Sandra Knopp und Udo Seelhofer

Sandra Knopp ist freie Journalistin für verschiedene Radio und Printmedien, und hat die Themen Arbeitsmarkt, Soziales und Gesellschaftspolitik als Schwerpunkte. Udo Seelhofer war früher Lehrer und arbeitet seit 2012 als freier Journalist. Seine Schwerpunkte sind Gesellschaft, soziale Themen und Religion. Im Team wurden sie beim Journalismuspreis „Von unten“ 2017 für ihre Arbeit&Wirtschaft Reportage „Im Schatten der Armut“ ausgezeichnet.

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