„Angekündigt wurde in den letzten Jahren sehr viel – umgesetzt wenig“

Beatrix Eiletz im Interview über die KV-Verhandlungen in der Pflege.
Die KV-Verhandlungen in der Pflege sind eminent wichtig, um das System überhaupt noch am Laufen zu halten. | © Markus Zahradnik

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  1. Seite 1 - KV-Verhandlungen in der Pflege
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Die KV-Verhandlungen laufen. Arbeit&Wirtschaft hat mit Beatrix Eiletz über die drängendsten Themen gesprochen: mehr Zeit für die Arbeit am Menschen, akuter Personalmangel, Wertschätzung und mehr Gehalt.
Das beste Beispiel, warum aktuell die KV-Verhandlungen so wichtig sind, sind die mobilen Pflegedienste. Menschen, die hier arbeiten, fahren zu den Personen, die sie betreuen. Mit ihrem eigenen Auto. Dafür erhalten sie ein Kilometergeld über 42 Cent. Das Problem ist nur, dass dieser Betrag im Jahr 2008 festgelegt und mit den damaligen Energiekosten kalkuliert wurde. Jetzt Die können es sich die Beschäftigten kaum noch leisten, arbeiten zu gehen. Dazu kommt der enorme Stress durch den Personalmangel. Beatrix Eiletz ist Betriebsratsvorsitzende der Volkshilfe Steiermark und für die Gewerkschaft GPA im SWÖ Teil des Verhandlungsteams. Sie erklärt im Interview, wie dramatisch die Situation im Gesundheitswesen tatsächlich ist. Und wie elementar erfolgreiche KV-Verhandlungen für die Pflege wären. Die KV-Verhandlungen der Metaller waren 2022 jedoch zäh. Ein Ergebnis kam erst nach einer Streikandrohung zustande.

KV-Verhandlungen in der Pflege: Interview mit Beatrix Eiletz

Arbeit&Wirtschaft: Ihr habt die Forderungen übergeben, wie geht es jetzt weiter, wie sieht es bei euch aus, wie geht es den Leuten, was brennt den Beschäftigten unter den Fingernägeln?

Eiletz: Momentan ist das dringlichste Thema der Personalmangel, der bereits Auswirkungen auf die österreichische Bevölkerung und die Versorgung hat. In der Steiermark können im stationären Bereich, sowohl in Spitälern wie Pflegeheimen, mittlerweile Betten nicht mehr belegt werden, da das Personal fehlt. In der mobilen Pflege müssen Kund:innen für die Erstaufnahme zwei bis drei Wochen warten. Die Kolleg:innen, die noch da sind, müssen die Unterbesetzung und Krankenstände mit ständiger Mehrarbeit und Einspringen, weil kein Dienstplan hält, abfangen. Das machen sie nur so lange, bis sie selbst kündigen. Früher war es so, dass sie den Träger, also das Spital oder das Heim, gewechselt haben. Jetzt ist es immer öfter der Fall, dass sie aus der Branche aussteigen.

Gibt es diese Situation ausschließlich im Gesundheits- und Pflegebereich?

Nein, egal wohin man schaut, es ist überall das Gleiche. Mittlerweile sind alle Berufsgruppen im Sozial-, Pflege- und Gesundheitsbereich betroffen, also auch die Elementarpädagogik, die Behindertenbetreuung und die Sozialarbeit. So musste in der Steiermark kürzlich sogar kurzfristig ein Kinderkrisenzentrum geschlossen werden, da kein Personal mehr da war. Es kommt niemand mehr nach. Es gibt keine Bewerbungen. Aber um den Betrieb aufrecht zu halten, brauchen wir auch Reinigungskräfte, Verwaltungsmitarbeiter:innen. Doch jede Berufsgruppe hat das gleiche Problem. Überall wird gesucht.

Was sind die Gründe dafür?

Na ja, was die Politik in den letzten Jahren verschlafen hat, fällt uns jetzt auf den Kopf. Wir wissen alle schon sehr lang, dass die Alterspyramide so ist, wie sie ist und die Beschäftigten der Reihe nach in Pension gehen werden. Das wäre so oder so gekommen.  Corona hat die Situation noch verschärft und den Prozess beschleunigt. Viele haben sich nach zweieinhalb Jahren Corona und seinen Auswirkungen auf das Gesundheits- und Betreuungssystem entschieden, früher in Pension zu gehen. Einige Kolleg:innen hatten vor länger zu arbeiten und erst mit 62 Jahren statt 60 Jahren in Pension zu gehen. Jetzt sagen sie, dass sie das nicht mehr können und gleich in Pension gehen.

Dazu kommt, dass durch die hohe Stressbelastung unter Unterbesetzung alle am Limit sind. Es gibt keine anständige Kommunikation mehr in den Betrieben. Die Wertschätzung geht verloren. Es heißt nur mehr einspringen und funktionieren. Das geht oft so weit, dass Beschäftige anrufen und bitterlich weinen, weil sie keine Zeit mehr haben, die Bewohner:innen beim Sterben begleiten zu können. Keine Zeit mehr haben, die Patient:innen so zu betreuen, wie sie es gelernt haben und auch der Grund dafür war, warum sie in die Pflege und Betreuung gegangen sind.

Wie geht es ihnen persönlich damit?

Egal mit welcher Berufsgruppe ich spreche, alle sagen mir, die Arbeit ist wunderschön, nur das Rundherum passt nicht mehr. Und das ist eigentlich schade. Denn gerade in der Kinderbetreuung arbeiten wir mit der Zukunft Österreichs. Und die alten Menschen, denke ich, die haben sich eine gute Pflege verdient. Sie haben Österreich aufgebaut und sie haben das Recht, dass sie menschenwürdig behandelt werden und ihre körperlichen, aber auch seelischen Bedürfnisse versorgt sind. Das heißt mehr als nur satt und sauber zu sein und dass das auch auf einem Blatt Papier richtig dokumentiert ist.

Was kann akut getan werden, um die Beschäftigten zu entlasten?

Da fällt mir schon fast nichts mehr ein, denn ich kann nicht fordern, dass die Personalschlüssel angehoben werden sollen, weil es kein Personal gibt. Wenn ich etwa sage, die Mitarbeiter:innen brauchen als Entlastung eine zusätzliche Urlaubswoche, dann ist das ja schön. Doch die Kolleg:innen können ja eh nicht auf Urlaub gehen, weil kein Personal da ist. Es braucht dringend einen Stufenplan bis wann was und wie umgesetzt wird. Als Zeichen, dass es ernst gemeint ist, braucht es eine massive Gehaltserhöhung. Angekündigt wurde in den letzten Jahren sehr viel – umgesetzt wenig.

Ist die Politik gefordert?

Ja, die Landes- und Bundespolitik ist gefordert. Denn es werden Milliardenhilfen für Corona-Förderungen und Milliarden für die Bankrettung ausgegeben. Im Pflegebereich haben wir ebenso eine Pflegemilliarde gefordert. Gekommen ist bis jetzt noch nichts beziehungsweise sehr wenig. In der Kinderbetreuung fordern wir eine Kindergartenmilliarde. Jetzt haben wir die 15a-Bestimmung, das sind ein paar Millionen, aber auch nur für den Ausbau der Kindergärten. Da muss man sich schon – wenn auch provokant – die Frage stellen: Was ist uns, der Gesellschaft und vor allem auch der Politik, die Arbeit am Menschen wert? Anscheinend ist sie der Politik sehr wenig wert.

 Meinen sie damit auch die Auszahlung des Corona-Bonus?

Ja, genau. Zuerst hat es geheißen, dass alle Berufsgruppen ihn erhalten sollten. Dann wurde viel herumdiskutiert und herauskam, dass ganz viele Berufsgruppen nicht berücksichtigt wurden. Wie etwa die Rettungs- und Sanitätsdienste, die Ordinationsgehilf:innen oder Reinigungskräfte im Krankenhaus.

Wie geht es den Beschäftigten mit der Teuerung?

Es gibt viele, die akut mit den Auswirkungen der Teuerung zu kämpfen haben. Es sind immer mehr die sagen, dass sie sich ihren Job nicht mehr leisten können. Zweidrittel in unseren Branchen sind Teilzeitbeschäftigte. Die Kolleg:innen im Mobilen Dienst, also in der mobilen Hauskrankenpflege und im Betreuungsdienst – beispielsweise, fahren mit ihrem eigenen Auto zu den Kunden und müssen die gesamten Spritpreiserhöhungen aus der eigenen Tasche bezahlen. 

Tatsächlich?

Ja, viele stehen vor der Frage: Kann ich mir meinen Job überhaupt noch leisten? Zwei Beispiele aus dem mobilen Dienst und der Elementarpädagogik. Die mobilen sozialen Dienste erhalten für ihre Fahrten das amtliche Kilometergeld von 0,42 Euro. Das Kilometergeld wurde seit 2008 nicht mehr angehoben. Das heißt, dass sich die Mitarbeiter:innen die teuer gewordenen Spritpreise selbst zahlen. Und wenn ich nur 20 Stunden angestellt bin, muss ich mir überlegen, ob sich das überhaupt noch rentiert, ob ich mir dem Job überhaupt noch leisten kann. Denn der Nettoverdienst bei 37 Wochenstunden liegt bei rund 1.500 Euro. Oder die Elementarpädagogik in der Stadt: Viele Beschäftigte pendeln von auswärts rein. Wenn der Spritpreis so hoch ist meinen einige, dass es sich bei dem Gehalt nicht mehr auszahle arbeiten zu gehen beziehungsweise die Ausgaben, die man hat, um zur Arbeit zu kommen, höher sind als das Gehalt.

Beatrix Eiletz im Interview über die KV-Verhandlungen in der Pflege.
„Was die Politik in den letzten Jahren verschlafen hat, fällt uns jetzt auf den Kopf“, Beatrix Eiletz übt vor den KV-Verhandlungen in der Pflege scharfe Kritik. | © Markus Zahradnik

Damit Arbeit kein Luxusgut wird: KV-Verhandlungen in der Pflege

Was soll getan werden, um den Personalmangel zu beheben?

Es geht darum, dass ich einerseits die Beschäftigten im Beruf halte und dass ich neue Kolleg:innen bekomme. Ein Zeichen, dass man es ernst meint, wäre, die Gehälter anzuheben und den Rahmen, wie etwa den Personalschlüssel, gut zu regeln. Denn in der aktuellen Situation ist es besonders notwendig, das Personal, das ich habe, auch zu halten. Es braucht dringend einen Stufenplan bis wann was wie umgesetzt wird. Und als Zeichen, dass es ernst gemeint ist, eine massive Gehaltserhöhung. Angekündigt wurde in den letzten Jahren sehr viel – umgesetzt wenig.

Weiters braucht es, um neue Kolleg:innen zu bekommen, eine Ausbildung. Dazu muss die Ausbildung attraktiver und bezahlt werden. Ich habe immer wieder Kolleg:innen, die gerne eine Weiterbildung oder Aufschulung machen würden, jedoch kostet etwa die Ausbildung zur Pflegeassistenz privat rund 5.000 bis 6.000 Euro. Das können sich die Beschäftigten aus diesem Bereich nicht leisten, sofern die Kosten nicht übernommen werden. Während der Ausbildung braucht es eine Bezahlung, denn es müssen die Zahlungen des täglichen Lebens beglichen werden. Denn ein Jahr lang oder länger Schule, Lernen, Praktikum, Arbeiten gehen und die möglicherweise familiären Aufgaben unter einen Hut zu bringen, ist eine kaum schaffbare Herausforderung.

Glauben Sie, dass es aufgrund der hohen finanziellen Mehrbelastung der Familien durch Inflation zu einer Stundenreduktion der Betreuung kommen wird?

Ich vermute, dass dies das Nächste sein wird, was auf uns zukommt. Es wird besonders im mobilen Dienst die Frage sein, ob sich die Betroffen überhaupt noch eine Betreuung leisten können oder in welchem Ausmaß. Die Kosten für die Pflege und Betreuung zu Hause sind sozial gestaffelt und abhängig vom Einkommen des Kunden. In den Pflegeheimen der Steiermark müssen die Gemeinden dazuzahlen, wenn das Einkommen der Bewohner zu gering ist um den Heimplatz bezahlen zu können. Mit den steigenden Energiekosten wird der Spielraum für die Gemeinden enger. Gleiches gilt für die Kinderbetreuung und alle anderen sozialen Einrichtungen, für die die Gemeinden aufkommen. Wenn alles teurer wird, ist die Frage, wo man als Familie einspart. Kann man sich dann noch den Kinderbetreuungsplatz, die Nachmittagsbetreuung der Kinder oder die Versorgung von Angehörigen leisten?

 

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