Teilen statt auseinanderdividieren

Köchin Milanka Kostic im Restaurant Inigo der Caritas arbeitet in der Küche. Jobs in der Gastronomie leiden besonders unter den Auswirkungen der Teuerung und Inflation.
Besonders bei Beschäftigten in der Gastronomie werden die Auswirkungen der Teuerung besonders spürbar. | © Andreas Riedmann
Wenn sich immer mehr Arbeitnehmer:innen die Frage stellen, ob sie sich den Job noch leisten können, dann läuft etwas gewaltig schief in Österreich. Dabei gebe es doch so einiges gerecht zu verteilen.
So schnell kann es passieren. Die Autorin feilt gerade an der optimalen Einleitung. Plötzlich poppt eine Push-Nachricht von „Die Presse“ auf: „Inflationsrate bei 10,5 Prozent laut Schnellschätzung der Statistik Austria“. Das ist der höchste Stand seit Juli 1952. Hauptverantwortlich für den Anstieg der Verbraucherpreise sind Haushaltsenergie und Treibstoffpreise. Und schon unterstreicht die aktuelle Lage die Dringlichkeit des Artikels, und die digitale Feder wird nochmals schärfer gespitzt.

Auswirkungen der Teuerung

Wie die Inflation, so hat auch das Wirtschaftswachstum im ersten Halbjahr mit +10 Prozent im 1. Quartal und +6 Prozent im 2. Quartal stark zugelegt. Für das gesamte Jahr wird aktuell ein Wirtschaftswachstum von 4,8 Prozent prognostiziert. „Es gibt einiges zu verteilen“, bringt es David Mum, Ökonom und Mitglied der Bundesgeschäftsführung der GPA auf den Punkt. Wer die Verluste trägt, ist nicht vorherbestimmt, sondern das Ergebnis der Verteilungsauseinandersetzung. Gerade deswegen sind die Lohnverhandlungen wichtig.

Protrait von Ökonom David Mum der GPA. Interview über die Auswirkungen der Teuerung.
David Mum sprach mit Arbeit&Wirtschaft über die Auswirkungen der Teuerung. | © Markus Zahradnik

„Wie sich die Teuerung auf den Alltag der Beschäftigten und den ihrer Familien auswirkt, zeigen Gespräche mit Betriebsrät:innen, die täglich zuhören und nun für ihre Beschäftigten bei den gewerkschaftlichen Lohnverhandlungen gemeinsam mit ihren Beschäftigten nachhaltige Lösungen erkämpfen wollen, die die Teuerung abgelten und ein reales Plus der Einkommen bringen“, so Mum. Arbeit&Wirtschaft hat sich in Branchen umgehört, die nicht für ihre Spitzenverdienste bekannt sind und in denen viele Teilzeitbeschäftigte sowie vor allem Frauen tätig sind.

Finanzielle Vorteile im Vordergrund

Eva Scherz, Verhandlungsleiterin der GPA für den Bereich der Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ), unterstreicht die Bedeutung der diesjährigen KV-Verhandlungen. Die SWÖ vertritt die Beschäftigten in den Bereichen Pflege, Kindergarten bis hin zur Jugendhilfe und Behindertenbetreuung. Für Scherz stehen neben einer deutlichen Erhöhung des Realeinkommens weitere finanzielle Vorteile für die Beschäftigten klar im Vordergrund. „Heiße Themen sind die Abschaffung der aktuell noch 16 zuschlagsfreien Mehrstunden im Durchrechnungszeitraum und die Erhöhung des Kilometergeldes auf 0,60 Euro.“

Beatrix Eiletz, Betriebsratsvorsitzende der Volkshilfe Steiermark, kann das nur unterschreiben: „Nehmen wir die mobilen Dienste. Diese erhalten für ihre Fahrten ein Kilometergeld von 42 Cent. Dieses Kilometergeld wurde seit 2008 nicht mehr erhöht. Das heißt, die Mitarbeiter:innen, die mehrheitlich Teilzeit angestellt sind, zahlen die gesamte Teuerung der Treibstoffpreise aktuell aus der eigenen Tasche. Da fragt man sich dann schon, ob man sich den Job überhaupt noch leisten kann.“

Jedoch betonen sowohl Scherz als auch Eiletz, dass neben der Lohnerhöhung der akute Personalmangel in sozialen Berufen ein Hauptthema für sie sei. Wichtig ist die Attraktivierung des Berufs und die Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung, so Scherz. Denn das Personal sei nach 2½ Jahren Pandemie am Limit. Immer mehr verlassen die Branche. „Es braucht jetzt mehr als nur schöne Worte und Ankündigungen, dass man es ernst damit meint, die Beschäftigten im Beruf zu halten und neue Kolleg:innen zu bekommen“, so Eiletz. Zu den Auswirkungen der Teuerung meint sie: „Mittlerweile ist es ja so, dass viele Teil- und Vollzeitbeschäftigte anrufen, die sagen, dass sie nicht mehr wissen, wie sie die Zahlungen begleichen sollen. Und da muss man sich schon – wenn auch provokant – die Frage stellen: Was ist uns, der Gesellschaft und vor allem auch der Politik, die Arbeit mit Menschen wert?“

Respekt in der Gastronomie

Andere Branche, ähnliches Bild: die Systemgastronomie. Der Mindestkollektivvertrag beträgt 1.629 Euro brutto bei 40 Wochenstunden, also rund 1.300 Euro netto. „Die Arbeitsbedingungen sind schwierig. Es wird mit enormem körperlichen Einsatz unter Kälte und Hitze gearbeitet. Im ständigen Kundenkontakt werden die Kolleg:innen oft von oben herab behandelt, und es passieren Belästigungen“, sagt Eva Eberhart, Betriebsratsvorsitzende der Nordsee GmbH.

Portrait von Beatrix Eiletz von der Volkshilfe Steiermark. Im Gespräch über die Auswirkungen der Teuerung.
Da muss man sich schon – wenn auch provokant – die Frage stellen: Was ist uns, der Gesellschaft und vor allem auch der Politik die Arbeit mit Menschen wert?“, Beatrix Eiletz, Volkshilfe Steiermark

Der Großteil der Kolleg:innen sind Frauen in Teilzeit. „Ich beobachte, dass mit der Teuerung und bei den geringen Löhnen Frauen vermehrt von ihren Ehemännern abhängig werden. Es fühlt sich an, als ob wir Schritt für Schritt in die 50er-Jahre zurückgehen“, beschreibt Eberhart die Situation der Frauen in den Betrieben. Und es sei kein Wunder. „Stellen Sie sich vor, sie verdienen 1.300 Euro netto bei Vollzeit und müssen Glück haben, dass sie auch tatsächlich Vollzeit eingestellt werden.“ Zusätzlich werde in der Tourismus- und Gastronomiebranche kaum über Kollektivvertrag bezahlt. Hin und wieder, so Eberhart, seien Arbeitgeber:innen, etwa Hotels, bereit, etwas mehr zu zahlen, aber das seien lächerliche Summen. „Wenn sie 100 bis 200 Euro brutto mehr verdienen, macht das die aktuelle Situation nicht leichter“, ergänzt Eberhart.

Vor diesem Hintergrund sei es kein Wunder, dass immer mehr Beschäftigte die Branche wechseln. „Daher treten wir für eine Vorziehung der KV-Verhandlungen im Herbst ein und für eine Erhöhung der kollektivvertraglichen Mindestlöhne auf 2.000 Euro. Aber natürlich muss, damit die Fachkräfte bleiben und die Branche wieder attraktiver wird. Auch die Wertschätzung für die Arbeit steigen“, betont Eberhart. Auch bei den Metaller KV-Verhandlunge 2022 steht eine Eskalation kurz bevor.

Schwer über die Runden kommen

Finanziell haben sich viele Beschäftigte in der Systemgastronomie noch nicht von den Folgen der Coronapandemie und der damit verbundenen Kurzarbeit erholt. Sie seien in den vergangenen Jahren schon schwer über die Runden gekommen, so Eberhart. Da es bei den niedrigen Löhnen nie die Möglichkeit gegeben habe, etwas zu sparen. Jetzt stellt sich die Frage, wie sich die Beschäftigten eine Wohnung und weiter steigende Preise für Lebensmittel und Energie noch leisten können. „Wie können sie noch überleben?“, fragt Eberhart.

Sie erzählt, dass sie einmal ihren Augen nicht traute, als sie auf dem Weg nach Hause einen Mitarbeiter ihres Unternehmens Essen auf dem Fahrrad ausliefern sah. Warum er das mache, fragte sie ihn. Die Antwort: Weil er sich mit einem 40-Stunden-Job einfach das Leben nicht mehr leisten könne. „Stellen sie sich das vor! Wir leben mitten in Europa, und es gibt Menschen, die Vollzeit arbeiten und sich dennoch das Leben nicht mehr leisten können“, bringt die Betriebsratsvorsitzende die tägliche Verteilungsauseinandersetzung auf den Punkt.

Über den/die Autor:in

Eva Winterer

Eva Winterer ist Kommunikationsstrategin und war von 2022 bis 2023 Chefin vom Dienst der Arbeit&Wirtschaft.

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