Lehrer:innenmangel: 20.000 Pensionierungen bis 2027

Eine Lehrerin sitzt frustriert an einem Tisch in der Schule. Symbolbild für den Lehrer:innenmangel. Lehrermangel.
Es fehlt an Pädagog:innen. Für nachhaltige Initiativen gibt es im Budget aber kein Geld. | © Adobestock/dglimages
Mit der Initiative „Klasse Job“ will Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) gegen den Lehrer:innenmangel vorgehen. Auch Quereinsteiger:innen werden explizit angesprochen. In Österreich braucht es in den kommenden Jahren Tausende Lehrkräfte und Unterstützungspersonal.
In Deutschland würde „Klasse Job“ wohl bedeuten, dass jemand ihre oder seine Arbeit sehr gut macht. In Österreich hingegen trägt die neue Lehrer:innen-Offensive des Bildungsministeriums diesen Namen. Der Beruf in der Klasse soll attraktiver werden und sich öffnen, so die Ziele von Bildungsminister Polaschek. Zum einen soll es mehr Lehramtsstudierende geben. Zum anderen sollen Menschen, die keine studierten Lehrer:innen sind, die Möglichkeit zum Quereinstieg bekommen. Das ist dringend nötig. Schon jetzt herrscht Lehrer:innemangel und bis zum Jahr 2027 gehen noch einmal 20.000 weitere in Pension. Doch Bildung ist eine der zentralen Aufgaben des Sozialstaates.

Initiative „Klasse Job“ gegen Lehrer:innenmangel

Mit „Klasse Job“ will das Bildungsministerium gegensteuern. Die zur Initiative gehörenden Homepage erklärt, wie das funktionieren kann. So muss man nämlich ein fachlich geeignetes oder facheinschlägiges Studium an einer Universität oder Fachhochschule vorweisen können. Oder zumindest mit einem Bachelor (BA) abgeschlossen haben. Im Anschluss braucht es ausreichende Berufspraxis im Ausmaß von mindestens drei Jahren. Anschließend müssen Kandidat:innen noch das Eignungsfeststellungsverfahren überstehen. Danach kann die Person Mathematik an einer Mittelschule (MS) unterrichten. Oder als studierte/r Kunsthistoriker:in als Lehrer:in das Fach Kunst und Gestaltung an einer Oberstufe übernehmen.

Eine leerer Klassenraum in einer Schule. Auf dem Pult stapeln sich die Aufgabenhefte. Symbolbild für den Lehrer:innenmangel. Lehrermange.
Die Aufgaben werden nicht weniger. Die Lehrer:innen aber sehr wohl. | © Adobestock/wararat

Als Polaschek im Oktober 2022 die Kampagne vorstellte, betonte er, dass das „Lehrerbild den Ansprüchen des 21. Jahrhunderts gerecht werden soll.“ Damit meinte er, dass es in manchen Bereichen Veränderungen braucht. Etwa bei der Vermittlung politischer Inhalte an den Schulen. Eine Reformierung der neuen Lehrpläne soll ebenfalls bevorstehen, wie der Bildungsminister andeutete. Budgetär gibt es 2023 um zehn Prozent mehr Geld für die Schulen. Das bedeutet einen Anstieg auf 11,25 Milliarden Euro.

Der Gestaltungsspielraum wird aber nicht allzu groß ausfallen. „Den größten Anteil der Auszahlungen für Bildung – im Jahr 2023 ungefähr 86 Prozent – bilden jene für Schulen, einschließlich Lehrpersonal. Die Steigerung umfasst insbesondere die Bedeckung dieses Personalaufwandes für Bundeslehrpersonen. Sowie den Transferaufwand für den Kostenersatz des Bundes für Landeslehrer:innen“, sagt Philipp Schnell. Er ist Referent in der Abteilung Bildungspolitik der Arbeiterkammer (AK) Wien mit Schwerpunkt Bildungsökonomie.

Lehrer:innenmangel: Vorhersehbare Pensionierungen

Bis zum Jahr 2027 werden in Österreich 20.000 Lehrer:innen der Baby-Boomer-Generation in Pension gehen. Entsprechend viel Personal braucht es, um gegenzusteuern. Damit sind nicht nur Lehrer:innen gemeint, sondern auch das Unterstützungspersonal an den Schulen. Laut der OECD-Studie Teaching and Learning International Survey (TALIS) aus dem Jahr 2018 kommt in Österreich eine pädagogisch unterstützende Kraft auf 19 Lehrkräfte. Im EU-Schnitt ist das Verhältnis 1:8. Will man Österreich an den EU-Schnitt heranbringen, bräuchte man 7.800 zusätzliche Unterstützungskräfte.

„Aufgrund der demografischen Daten ist es schon Jahre vorhersehbar gewesen, dass viele Kolleg:innen bis 2027 in Pension gehen werden“, sagt Thomas Bulant. Er ist Bundesvorsitzender der FSG in der Gewerkschaft der Pflichtschullehrer:innen. Ein Problem sind die Arbeitsbedingungen. Viele Lehrer:innen gehen mit 62 Jahren in Pension und nehmen Abschläge in Kauf. Es müssen sich die Rahmenbedingungen deutlich verbessern, damit die Lehrer:innen gerne bis 65 an den Schulen bleiben möchten.

Lehrer:innenmangel: Auch Universitäten haben versagt

Ein anderes Problem ist jenes der Lehrverpflichtungen. Denn es folgen immer mehr Lehrer:innen nach, die nur eine halbe Stelle anstreben und keine ganze. „Dadurch entsteht ein Lehrer:innenmangel. Schuld daran ist die praxisferne Ausbildung an den Universitäten. Man kann sagen, dass die Universitäten hier versagt haben. Qualitativ und inhaltlich braucht es hier Veränderungen. Das bedeutet eine Vorbereitung auf die Schulpraxis“, meint Bulant.

Der Gewerkschafter sieht die Initiative „Klasse Job“ des Bildungsministeriums ebenfalls kritisch. „Hier werden fachausgebildete Menschen gesucht und es wird dadurch kaum der Anreiz geschaffen, ein Lehramtsstudium zu machen. Diese Offensive basiert auf der derzeitigen Ausbildung und orientiert sich weiterhin rein an der Fachausbildung der Menschen, aber geht an der zu leistenden Beziehungsarbeit mit den Schüler:innen vorbei“, sagt Bulant.

Fehlende Spielräume

86 Prozent des Schulbudgets 2023 fließen in die Lehrer:innegehälter. 50 Millionen Euro gehen in die Pflege und Ausbildung von Personal und Infrastruktur. 43 Millionen Euro sind für den neuen Gegenstand „Digitale Grundbildung“. Und 33 Millionen Euro dienen dem Ausbau der schulischen Tagesbetreuung. „Insgesamt sieht das aktuelle Budget wenig budgetären Spielraum vor, um Offensivmaßnahmen voranzutreiben, die dazu beitragen würden, die stark manifestierten Bildungsungleichheiten im österreichischen Bildungssystem abzubauen“, sagt Schnell. Der Experte spricht die Punkte Kindertagesbetreuung, Ausbildungsoffensive im Bereich der Elementarpädagogik, eine bessere Ausstattung von Schulen in schwierigen Lagen und den Ausbau von Ganztagsschulen und -betreuung an.

Aber es fehlt noch einiges mehr an den österreichischen Schulen. Die bereits erwähnten Unterstützungskräfte. „Egal ob es Leute in der Datenadministration oder im psychisch-therapeutischen Bereich sind. Es gibt Kinder, die durch Corona oder Krieg geschädigt sind oder einen sozialen Rucksack mit sich herumtragen und in den Klassenzimmern sitzen. Die Lehrkräfte müssen hier Kurpfuscherei betreiben, denn es gibt ansonsten niemanden, der sich um diese Kinder kümmert“, spricht Bulant die kritische Lage an. Rund eine Milliarde Euro wären für diese Maßnahmen notwendig.

Falsche Versprechungen für Eltern

Und dann gibt es noch das Problem mit den Fördermitteln für sonderpädagogisch zu unterstützende Kinder. Diese Ausgaben sind mit 2,7 Prozent des Budgets gedeckelt. Der Bedarf liegt aber je nach Bundesland zwischen fünf und sieben Prozent. „Das bedeutet, man verspricht den Eltern etwas, das man gar nicht einhalten kann. Die Kinder sind aber da und die Bildungsdirektionen müssen gegensubventionieren, um diese Mittel im sonderpädagogischen Bereich einsetzen zu können. Die Förderressourcen werden aus dem Regelbereich abgezogen und damit befindet man sich in einem Teufelskreis, da man damit wieder mehr sonderpädagogische Fälle produziert“, kritisiert Bulant von der Gewerkschaft der Pflichtschullehrer:innen.

Auch wenn zehn Prozent mehr an Budget erstmal ganz gut klingt, sind es doch die altbekannten Baustellen, denen die Bildungspolitik weiterhin zu wenig Aufmerksamkeit schenkt. Und schon gar kein Geld. Dadurch droht vonseiten des Bildungsministeriums ein Weiterwurschteln, das immer gefährlicher wird.

Über den/die Autor:in

Stefan Mayer

Stefan Mayer arbeitete viele Jahre in der Privatwirtschaft, ehe er mit Anfang 30 Geschichte und Politikwissenschaft zu studieren begann. Er schreibt für unterschiedliche Publikationen in den Bereichen Wirtschaft, Politik und Sport.

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