Mjam-Rider entlassen: „Wir werden behandelt wie der letzte Dreck“

Mjam Fahrer entlassen Illustration Fahrradboten
Viele UngereimtheitMjam entlässt 150 Fahrer:innen.
Ohne Angabe von Gründen und mutmaßlich rechtswidrig hat Mjam 150 Fahrer:innen entlassen. Gleichzeitig brüstet sich das Unternehmen medial, bald 1.000 Fahrer:innen einstellen zu wollen.

Am 11. Mai kam die Kündigung, per Mail. „Aus heiterem Himmel“, ärgert sich Mika (Name von der Redaktion geändert). Mika könne ab 30. Juni nicht mehr für den Lieferdienst Mjam arbeiten. Ein paar Zeilen, ohne Begründung. Mika wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, dass er nur einer von 150 Mjam-Faherer:innen ist, die entlassen werden. Das allerdings ohne erkennbaren Grund. Und ohne Vorwarnung, wie Mjam-Betriebsrätin Adele Siegl kritisiert. Auf Nachfrage heißt es seitens Mjam: Es handele sich um die Abmeldung von Ridern, „die länger als zwei Monate nicht für uns fahren“. Das Unternehmen habe sie „aus administrativen Gründen abgemeldet“. „Zusätzlich trennen wir uns auch von Rider:innen, deren allgemeine Arbeitsleistung nicht mit unseren Erwartungen übereinstimmt“.

150 Mjam-Fahrer:innen entlassen

Ein Eindruck, den Siegl nicht bestätigen kann. Laut ihr folgt die Massenkündigung keinem erkennbaren Muster. Weder seien die Betroffenen negativ aufgefallen, noch würden sie einer bestimmten Gruppe Fahrer:innen angehören. Betroffen seien laut Siegl Vollzeit- wie Teilzeitkräfte und ebenso geringfügig Beschäftigte. Vor allem für die Vollzeitkräfte sei die unerwartete Kündigung bitter, so Siegl. Denn einige von ihnen hätten erst unlängst mehrere Tausend Euro in ein E-Bike investiert.

Freie Dienstnehmer:innen sind in dieser Hinsicht eine besonders vulnerable Gruppe. Mjam bewirbt das Modell mit mehr Flexibilität. Die freien Mjam-Fahrer:innen könnten sich ihre Arbeitszeiten besser einteilen als die fix angestellten. Doch die Flexibilität geht auf Kosten der Sicherheit. Da sie nicht im klassischen Sinne angestellt sind, genießen sie viele der kollektivvertraglich vereinbarten Vorteile nicht. Wie bezahlten Urlaub oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Auch ist das Durchschnittseinkommen im Vergleich zu ihren fixangestellten Kolleg:innen im Regelfall geringer. Und sie können ohne Angabe von Gründen jederzeit gekündigt werden. „Wir Freien Dienstnehmer:innen werden behandelt wie der letzte Dreck“, fasst Mika zusammen:

Offiziell kann man sich bei Mjam aussuchen, ob man ein reguläres Vertragsverhältnis eingehen oder als Freie:r Dienstnehmer:in arbeiten will. Derzeit sind 94 Prozent der insgesamt 3.096 Mjam-Fahrer:innen als Freie Dienstnehmer:innen beschäftigt. Weshalb Branchenkenner:innen an der beworbenen Wahlfreiheit zweifeln.

Ungereimtheiten bei der Entlassung der Mjam-Fahrer:innen

Die Massenkündigung weist zwei weitere Ungereimtheiten auf. Einerseits hat Mjam die Entlassungen vorab nicht beim AMS angezeigt. Laut Paragraf 45a Arbeitsmarktförderungsgesetz (AMFG) müssen Unternehmen Massenkündigungen vorab an das Frühwarnsystem des AMS melden. Und das inklusive Begründung und flankierender sozialer Maßnahmen. Auf die Nachfrage, ob Mjam diese Meldung vorgenommen habe, erklärt das Unternehmen: „Uns liegen andere Informationen zur rechtlichen Situation vor. Die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben ist uns wichtig“. Das AMS bekräftigt auf Nachfrage, dass auch Kündigungen von Freien Dienstnehmer:innen gemeldet werden müssen.

Andererseits machte Mjam unlängst nicht den Eindruck, als möchte es sich ihrer Mitarbeiter:innen entledigen. Das Unternehmen habe im vergangenem Jahr 150 Prozent Wachstum erzielt. Das rechnete Geschäftsführerin Chloé Kayser noch am 22. Juni im Standard vor. Man wolle künftig 1.000 zusätzliche Fahrer:innen einstellen. Wie das zu den Kündigungen passt? Auf Nachfrage heißt es: „Wir wachsen und werden natürlich unsere Rider-Flotte vergrößern“. Die zusätzlichen 1.000 Fahrer:innen wolle man bis Ende Jahres einstellen. „Umso mehr schmerzt es uns, wenn wir uns von Ridern trennen müssen. Doch wir müssen auch auf die Qualität und Verlässlichkeit achten.“

Mjam Fahrer entlassen
Mjam hat 150 Fahrer:innen entlassen. Die Umstände waren eher dubios.

Flexibilität und Verdienst nur ein Märchen?

Angesichts des Vorgehens von Mjam ist Karl Delfs, zuständiger Fachbereichssekretär der Gewerkschaft vida, sichtlich verärgert. Das Hauptproblem ortet er im Beschäftigungsverhältnis. Der Status als „Freie Dienstnehmer:innen“ öffne Unternehmen wie Mjam Tür und Tor, um Kollektivverträge und Arbeitsrecht strukturell zu umgehen. Heute 150 Rider kündigen, um morgen wieder 1.000 einzustellen. Nur ein Konstrukt wie das der weitgehend rechtlosen Freien Dienstnehmer:innen ermögliche so ein Vorgehen, kritisiert Delfs.

Delfs fordert, den Unterschied zwischen Fixangestellen und Freien Dienstnehmer:innen aufzuheben. Schließlich gäbe es den in Europa sonst nirgends. „Das ist eine Sünde der Vergangenheit, die bereinigt gehört!“. Dass Freie Dienstnehmer:innen flexibler arbeiten und mehr verdienen könnten als Fixangestellte, hält Delfs für ein Märchen. Maximal eine Handvoll Freier Dienstnehmer:innen würden tatsächlich mehr verdienen als jene, die unter Kollektivvertragsbedingungen angestellt sind. Außerdem müssten Flexibilität und Sicherheit kein Widerspruch sein, sondern ließen sich  durchaus vereinbaren. Dafür sei allerdings der Willen aufseiten von Mjam nötig.

Mjam ohne Empathie für eigene Fahrer:innen

Die meisten der 150 betroffenen Mjam-Fahrer:innen werden am 30. Juni wohl das letzte Mal Pizza, Burger und Sushi ausliefern. Einige der Rider, darunter Mika, setzten sich indes mit Arbeiterkammer und dem Mjam-Betriebsrat in Verbindung. Mjam zog daraufhin einige der Kündigungen zurück. Während unseres Gesprächs erhält Mika eine Mail. Mjam habe seine Kündigung annulliert. Auch das ohne Begründung, ohne Entschuldigung. Ein Happy End, „aber empathielos, nicht anders zu erwarten“, sagt Mika. Und wirkt dabei nicht besonders euphorisch.

Über den/die Autor:in

Johannes Greß

Johannes Greß, geb. 1994, studierte Politikwissenschaft an der Universität Wien und arbeitet als freier Journalist in Wien. Er schreibt für diverse deutschsprachige Medien über die Themen Umwelt, Arbeit und Demokratie.

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