Daseinsvorsorge: Ein Staat für alle

Freiwillige Helfer pflanzen Bäume. Symbolbild für den Tag der Daseinsvorsorge.
Daseinsvorsorge geht uns alle an. | © Adobestock/ihorvsn
Daseinsvorsorge gehört in staatliche Hände. Strom und Wasser, Bildung und Pflege, Bauland und Verkehr. Güter und Dienstleistungen des täglichen Lebens sollten nicht privaten Profitinteressen unterliegen.
Eine Wohnung, in der das Licht brennt. Ein Leben in Gesundheit und mit der gewünschten Bildung. Das alles ist kein Luxus, sondern die ureigenste Aufgabe eines Staates. Die Daseinsvorsorge – also die Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen, die für das tägliche Leben der Menschen unverzichtbar sind – ist, woran sich der Staat messen lassen muss. In Österreich funktioniert das zwar vergleichsweise gut, doch ist es eben auch ein Prozess, an dem stets gearbeitet werden muss. Denn solche Errungenschaften fallen nicht vom Himmel. Schon der Erhalt des Status quo kommt in Einzelbereichen einer Sisyphos-Arbeit gleich. Ganz zu schweigen von Verbesserungen. Eine Übersicht.

Daseinsvorsorge: Energie muss ein öffentliches Gut sein

Kaum ein Thema stand in den vergangenen zwölf Monaten so sehr im Fokus wie die Energie. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, Spekulationen und vervielfachte Gewinnmargen haben die Energiepreise zwischenzeitlich in ungekannte Höhen klettern lassen. Möglich waren diese extremen Preisschwünge auch, weil das Strommarktdesign nicht auf solche Sonderfälle ausgelegt ist. „Wir sehen aber, dass das System offensichtlich in Zeiten der massiven Marktverwerfungen durch Marktmanipulationen an seine Grenzen stößt“, erklärte Wolfgang Urbantschitsch, Vorstand der E-Control und Energieexperte im Interview mit Arbeit&Wirtschaft.

Vor allem das Merit-Order-Prinzip ist dabei in die Kritik geraten. Demnach richtet sich der zu zahlende Gesamtpreis für Strom immer nach dem teuersten Kraftwerk, das eingesetzt wird. Meistens ist das ein Gaskraftwerk, obwohl in Österreich etwa 84 Prozent des verbrauchten Stroms aus Wasser-, Wind- und Solarkraftwerken kommen. Ein Spiel mit dem Feuer: „Die Energieversorgung ist Teil der Daseinsvorsorge und darf nicht Profitinteressen untergeordnet werden. Versorgungssicherheit, Leistbarkeit und Klimagerechtigkeit müssen als oberste Ziele gesetzlich verankert werden“, meint Helene Schuberth, Chefökonomin des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB),

Das Problem mit dem Merit-Order-Prinzip haben sogar schon die zuständigen Politiker:innen erkannt und eine Reform auf EU-Ebene in Gang gebracht. Ein Anliegen, das gescheitert ist, wie Josef Thoman glaubt. Er ist Referent in der Abteilung Wirtschaftspolitik der Arbeiterkammer Wien mit Schwerpunkt Energiepolitik. Er schreibt dazu: „Anstelle tiefgreifender Reformen möchte die EU-Kommission lediglich den vorzeitigen und langfristigen Handel von Strom etwas mehr forcieren.“ Das würde die Probleme jedoch nicht lösen.

Klimakatastrophe als Herausforderung für den Staat

Die Klimakatastrophe hat sich zu einer entscheidenden Frage der Daseinsvorsorge entwickelt. Der Staat muss die Menschen vor den Auswirkungen von Extremwetter schützen und gleichzeitig in Maßnahmen investieren, um noch schlimmere Auswirkungen zu verhindern. Dass die Klimakatastrophe kommt, wissen wir seit einem halben Jahrhundert. Mit dem Gegensteuern hat sich der Staat bislang schwergetan.

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Österreich möchte bis zum Jahr 2040 klimaneutral sein und hat sich als EU-Mitglied zu verbindlichen Klimazielen verpflichtet. Ein Klimaschutzgesetz, in dem geeignete Maßnahmen verankert sind, um diese Ziele zu erreichen, gibt es aber nicht. Der Klimaschutz ist aber vor allem in der Daseinsvorsorge eine einmalige Chance, um das Leben der Österreicher:innen nachhaltig besser und günstiger zu machen (Stichwort: Energiepreise). Darüber haben wir mit Leonore Gewessler gesprochen. Sie ist seit dem Jahr 2020 Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie.

Pflege: Daseinsvorsorge gehört nicht in private Hände

In Österreich ist der Staat in zentralen Aufgaben der Daseinsvorsorge sehr stark vertreten. Beispielsweise in der Pflege. Ausgerechnet dort, wo der Anteil an Privatanbieter:innen gering ist, sehen diese aber enormes Wachstumspotential. Das macht Österreich attraktiv als Investitionsstandort. Um das Wohl der zu Pflegenden geht es dabei eher nicht, sondern um Profit. „Es ist verantwortungslos, kritische Infrastruktur privatwirtschaftlich zu optimieren. Mittel abzuziehen bedeutet, die Funktionsweise zu gefährden“, erklärt Leonhard Plank, Senior Scientist an der TU Wien, gegenüber Arbeit&Wirtschaft.

Das Vorgehen von Investor:innen in diese kritische Infrastruktur ist dabei oft gleich. Sie steigen ein, schöpfen die Gewinne ab, verschieben die Investitionen und Kosten aber in die Zukunft. Lassen sie sich nicht mehr vermeiden, steigen sie wieder aus, und dann muss die Allgemeinheit diese Kosten tragen.

Gerade in der Pflege ist jetzt aber der Staat gefragt. Aktuell gibt es in Österreich 223.000 Menschen über 85 Jahren. Diese Zahl wird bis zum Jahr 2025 auf 583.000 anwachsen. Die große Herausforderung daran ist der Mangel an Personal. Insgesamt arbeiten in Österreich etwa 150.000 Personen in Pflegeberufen. Bis 2030 werden nicht weniger als 70.000 neue Pflegekräfte gebraucht. Doch statt neue Arbeitskräfte anzuwerben und auszubilden, findet ein Pflexit statt. Der Branche laufen die Fachkräfte davon.

Wohnen: Zentraler Baustein der Daseinsvorsorge

Österreich ist geradezu ein Musterland des sozialen Wohnungsbaus. Oder war es zumindest lange Zeit. Denn auch hier bringen private Investor:innen die Daseinsvorsorge ins Wanken. Die Autor:innen der Studie „Wohnbauboom in Wien 2018 bis 2021“ kommen zu dem Schluss, dass mittlerweile 61 Prozent der Wohneinheiten von gewerblichen, frei finanzierten Bauträgern errichtet wurden. Mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Immobilienpreise.

Denn in der Immobilienbranche ist eine der Grundregeln der Betriebswirtschaftslehre mittlerweile ausgesetzt – ein steigendes Angebot senkt hier die Preise nicht. Das hat mehrere Gründe. Leerstand etwa, weil Investor:innen mit der Preissteigerung mehr Geld verdienen als mit einer Vermietung. Tirol hat sich zu einem Epizentrum des Immobilienbebens entwickelt.

Auch hier kann und muss der Staat eingreifen. Etwa mit einer Wohnbauförderung, einer Preiskommission für Baumaterial oder einer fairen Wohnbauförderung. Hannes Gschwentner, technischer Geschäftsführer der gemeinnützigen WohnungsGmbH NEUE HEIMAT TIROL (NHT), hat das für Tirol einmal vorgerechnet:  „Die Landesregierung nimmt genug Geld aus der Wohnbauförderung ein. 100 Millionen beträgt der Wohnbauförderungsbeitrag von Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen. Dazu kommen etwa 200 Millionen Euro pro Jahr aus alten Darlehen, die zurückgezahlt werden. Das sind in Summe 300 Millionen Euro. Für die Wohnbauförderung gibt die Landesregierung aber nur 250 Millionen aus. Der Rest verschwindet im Budget.“

Wasser ist ein Grundrecht

Um kaum eine Ware wird so heiß gestritten wie um Wasser. Kein Wunder. Jeder Mensch braucht es und vor allem in Österreich ist es in großen Mengen, fantastischer Qualität und fairen Preisen vorhanden. Damit das auch so bleibt, sollte die Wasserversorgung möglichst in öffentlicher Hand bleiben. Doch dagegen regt sich seit Jahren Widerstand, wie Beate Schusta (Forschungsassistentin in der AK Wien), Susanne Wixforth (stellvertretende Abteilungsleiterin in der Abteilung Wirtschaftspolitik der AK Wien) und Iris Strutzmann (Referentin in der Abteilung Umwelt und Verkehr der AK Wien) berichten.

Auch im Ibiza-Video gab es entsprechende Pläne: Eine Struktur, „wo wir das Wasser verkaufen“ und dann „der Staat eine Einnahme hat und derjenige, der das betreibt, genauso eine Einnahme hat“. Auf jeden Fall solle es genug „Benefit für den privaten Betreiber“ geben, gab sich der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache gegenüber einer Doch-Nicht-Oligarchin konspirativ.

Daseinsvorsorge geht uns alle an

Egal ob Strom oder Wasser, Pflege oder Wohnen. Daseinsvorsorge ist essentiell für jeden in Österreich. Entsprechend aufmerksam und kritisch müssen Gesetzesänderungen in diesen Bereichen verfolgt und begleitet werden.

Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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