Soziale Mobilität: Lass das SUV bitte stehen!

Schild in einem Bahnhof in Wien, dass anzeigt, wo es zu den Zügen geht. Symbolbild für die soziale Mobilität.
Verkehrswende und Reduzierung der CO₂-Emissionen sind nur nachhaltig, wenn sie sozial gerecht stattfinden. | © Adobe Stock/visualpower
Autofahren ist ein lang eingeübtes Muster in unserer Gesellschaft. Zahlen zeigen, dass wir dabei irrational sind – wer kann, soll es stehen lassen. Es muss ein Wandel für mehr soziale Mobilität einsetzen.
Das Privatauto vor der Haustür wird in ein paar Jahren wie aus der Zeit gefallen wirken – dabei stand es lange für die Freiheit, sich überall hinbewegen zu können, und somit für persönlichen Wohlstand. Angesichts der Klimakrise wird es aber ersetzt werden müssen. Eine Schlüsselrolle hat dabei der öffentliche Verkehr. „Mobilität trägt zur Freiheit bei“, weiß Roman Hebenstreit, Vorsitzender der Gewerkschaft vida, die die Interessen der allermeisten Bediensteten in den Verkehrsbranchen vertritt. Diese Freiheit müsse auch über das Zurücklegen von täglichen Wegen hinausreichen. Soziale Mobilität ist das Zauberwort.

Soziale Mobilität als Basis für die Verkehrswende

Menschen sind heutzutage nicht mehr oder weniger unterwegs als unser aller Großelterngeneration. Wir legen dreieinhalb Wege pro Tag zurück. Diese werden allerdings länger. Das erfordert auch die Realität. Wohn- und Arbeitsort liegen immer öfters weiter auseinander. Gerade wichtige Dienste, vor allem im Gesundheitswesen, sind ohne Auto kaum bewältigbar. „Argumente helfen wenig gegen Gefühle und Gewohnheiten. Das Auto wird als Selbstverständlichkeit angesehen“, stellt Heinz Högelsberger aus der Umweltabteilung der Arbeiterkammer klar. Und das geht über die Notwendigkeit bei nicht anders bewältigbaren Wegen hinaus. Wir Menschen sind in puncto Auto durchaus irrational. „40 Prozent der Autobesitzer geben ihrem fahrbaren Untersatz einen Kosenamen. Das Bundesland mit dem höchsten Radanteil ist das bergige Vorarlberg, das Burgenland hat den niedrigsten, ist flacher und hat weniger Regentage“, führt er aus. Aber einfach das Auto stehen lassen, das geht sich nicht für alle aus.

Portrait Roman Hebenstreit, Vorsitzender vida. Interview zum Thema soziale Mobilität
„Mobil zu sein, heißt, mich nicht von einem Arbeitgeber ausbeuten
lassen zu müssen“, so Roman Hebenstreit, Vorsitzender vida.

Eine wichtige Sache ist: Die, die Autofahren müssen, sollen dies auch weiter tun können. Derzeit lässt man sie an er Zapfsäule alleine stehen. Das amtliche Kilometergeld, die Abgeltung der beruflich gefahrenen Kilometer, ist seit 14 Jahren nie angehoben worden. Derzeit sind es 42 Cent pro Kilometer. Die Gewerkschaft der Privatangestellten fordert 60 Cent und meinte in Person von Vorsitzender Barbara Treiber jüngst: „Wenn das amtliche Kilometergeld angehoben wird, könnten auch die Dienstgeber auf die Idee kommen, andere Dinge zu fördern. Beispielsweise die Öffitickets.“ Zur Erinnerung: 70 Prozent der in einem Jahr gefahrenen Kilometer werden in Österreich mit dem Auto zurückgelegt, 40 Prozent dieser sind kürzer als fünf Kilometer. Im Schnitt sitzen 1,2 Personen im PKW. Es braucht also einen Wandel.

Große Unterschiede zwischen Arm und Reich in der Mobilität

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler hielt angesichts des Umweltkontrollberichts fest: „Es liegen noch große Aufgaben vor uns. Wir müssen die CO₂-Emissionen sowie unseren Energieverbrauch in den nächsten Jahren deutlich reduzieren. Das gute ist: Die Lösungen für eine fossilfreie, umweltfreundliche und ressourcenschonende Zukunft in Österreich gibt es.“ Der Anteil des Verkehrssektors an den Treibhausgas-Emissionen (ohne Emissionshandel) beträgt fast 45 Prozent.

Die Anzahl der Fahrzeuge mit alternativem Antrieb steigt kontinuierlich. Jedoch auch Verkehrsleistung und Motorisierungsgrad. Emissionsfreie Antriebe machten 2021 rund 13,9 Prozent aller Pkw-Neuzulassungen aus. Heißt im Klartext, dass wir alle verzichten müssen. Vor allem jene, die es sich leisten können. Um es die Unterschiede zwischen Arm und Reich hinsichtlich Mobilität plakativ auszudrücken, hilft ein Blick auf die Klimakonferenz 2021. Eine Studie von Oxfam zeigt, dass es vor allem die Reichen sind, die weltweit die Klimakrise vorantreiben. Durch ihren exzessiven Konsum und Lebensstil.

Für den Konsumrausch einer reichen Minderheit zahlen die Ärmsten den Preis,“ kritisiert Oxfam. Während die ärmste Hälfte der Welt weit weniger CO₂ ausstößt, als ihr zustehen würde, leben die obersten 10 Prozent über ihre Klima-Verhältnisse. Ihr CO₂-Ausstoß liegt 9-mal höher als geboten wäre. Wenn sie ihren CO₂-Ausstoß nicht reduzieren, ist das 1,5 Grad Ziel nicht erreichbar. Egal, wie sich die anderen 90 Prozent verhalten. Mobilität ist also hinsichtlich Umwelt eine soziale Frage.

Österreich verfehlt Klimaziele im Verkehrssektor deutlich

„Im Verkehrssektor verfehlen wir alle Klimaziele. Der Sektor hat seit 1990 um 65 Prozent zugenommen“, stellt Högelsberger klar. Der Wohlstandsbericht 2022 befasst sich mit der privaten Mobilität. Wohn-, Arbeits-, Ausbildungsort klaffen wie erwähnt immer weiter auseinander. Besser planen? Und was hilft es Menschen, die am Land wohnen, wenn man feststellt, dass es in der Stadt leichter ist? Dort gibt es ein viel größeres Angebot an Fortbewegungsmöglichkeiten.

Autos und Lkw stehen auf der Autobahn am Brennersee im Stau. Symbolbild für die soziale Mobilität.
„Eine hochentwickelte Stadt ist keine, in der die Armen Auto fahren, sondern eine, in der die Reichen öffentliche Verkehrsmittel benutzen“, so die Erkenntnis von Enrique Peñalosa, ehemaliger Bürgermeister von Bogotá. | © Adobe Stock/EKH-Pictures

„Über meinen Nahbereich hinaus mobil zu sein heißt, mich nicht von einem Arbeitgeber ausbeuten lassen zu müssen, ich habe Wahlfreiheit, kann pendeln, mich etwa in einer anderen Stadt aus- und weiterbilden. Für uns als Arbeitnehmer bedeutet das, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können“, erklärt Hebenstreit. Natürlich müsse man weg vom Zweitauto. Es brauche es auch auf Gemeinde- und Landesebene viel mehr Angebote für Mobilität. CO₂-Abgabe hin oder her – manche Menschen sind eben auf das Auto angewiesen. Sie können als Zwischenschritt nicht einfach auf ein (teures) Elektroauto ausweichen. Für die Gewerkschaft ist klar, es bedarf eines ganzheitlichen Ansatzes für den öffentlichen Verkehr.

Soziale Mobilität: ÖPNV ist das Herzstück

Herzstück müsse ein weiter ausgebautes Bahn- und Busnetz mit verbessertem Angebot sein. Die Öffis müssen österreichweit gut vernetzt und eng getaktet sein. Daneben braucht es Zusatzangebote wie mehr Radwege, mehr sichere Radabstellplätze an Bahnhöfen und Stationen sowie ein ausgebautes Angebot mit E-Rollern und Sammeltaxis. Eine Initiative in diese Richtung ist etwa das ÖBB-Mobilitätskonzept 360°. Ziel ist es, zukünftig komplett auf das eigene Auto verzichten zu können.

Doch so weit ist Österreich noch nicht. Die Belastungen werden nämlich mehr und die Welt ist eben noch nicht frei von der Notwendigkeit von Verbrennern. Nun kommt noch die CO₂-Abgabe hinzu. Deren Grundgedanke ist es, eine Belohnung für klimafreundliches Verhalten zu sein. „Das Gute daran ist“, meint Högelsberger, „dass es rücküberwiesen wird. Die, die viel Autofahren, verfahren mehr als sie zurückbekommen. Das ärmste Viertel der Haushalte hat zudem zu 50 Prozent auch kein Auto. Sie bekommen den Bonus.“

Gewerkschafter Hebenstreit sagt es unmissverständlich: „Menschen überlegen sich, was die günstige Mobilitätsvariante ist. Man will AMS-Sanktionen verhängen. Aber wie kommen Leute aus den Kursen in Wien zum Arbeiten in die Gastro nach Innsbruck. Wie wirken sich die Klima- und Mobilitätspolitik auf Felder wie Bildungspolitik oder Betreuungspflichten aus? Ich muss auch überlegen, wie ich Wege verkürzen und nachhaltiger machen kann.“

„Man sieht es an der Weststrecke. Man ist schneller und gemütlicher“, hält wiederum Experte Högelsberger fest. Dank des in den 2000er-Jahren festgelegten Rahmenplans für den Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel tut sich einiges. „In den vergangenen Jahren haben sich etwa die S-Bahnen großer Beliebtheit erfreut“, weiß Daniel Pinka, bei den Bundesbahnen in der Kommunikation rund um Infrastruktur tätig. Auch die Regionalbahnen hätten sich sehr positiv entwickelt.

Investitionen in den Bahnverkehr

Daher investiere die ÖBB in eine moderne Bahn. Denn die akute Klimakrise werde noch mehr Fahrgäste zum Umstieg motivieren. „Vor allem zu Spitzenzeiten ist die Kapazität in neuralgischen Streckenabschnitten bereits ausgelastet. Das betrifft den Personen- als auch den Güterverkehr.“ Daher arbeiten die ÖBB daran, die Schienenkapazität bis 2040 zu verdoppeln. Ein Schlüssel zu einer dank Klimaticket zunehmend günstigeren Mobilität. Was den Beschäftigten der Bahn durchaus Kopfzerbrechen bereitet.

Was auf so manchen Strecken wie Richtung Westen schon gut funktioniert, wird in ein paar Jahren auch auf anderen Strecken umgesetzt. Um das zu fördern, brauche es neben Geboten auch Verbote. Im Privat- und Güterverkehr sind das beispielsweise Fahrverbote und keine Flächenwidmung von Gewerbegebieten ohne Gleisanbindung. Für Arbeitende und wegen der Betriebe – denn der Güterverkehr spielt bei allen Umstellungen im persönlichen Bereich schon auch eine entscheidende Rolle.

Gleiche Bedingungen schaffen: Lkw-Subventionen verzerren Wettbewerb

„Der Lkw gewinnt wegen der unfairen Wettbewerbsbedingungen zwischen Schiene und Straße immer“, erklärt Hebenstreit. Die Bahn müsse – um nur ein Beispiel zu nennen ­– Schienenmaut oder Standgebühren zahlen. „Eine flächendeckende Lkw-Maut gibt es hingegen nicht. Stau-, Unfall- und Umweltkosten, werden überwiegend vom Individualverkehr und nicht vom Hauptverursacher getragen.“ Es braucht also auch mehr Güter auf der Schiene. Ohne Quersubventionen wäre der LKW-Verkehr wohl auch teurer. Das nimmt „uns“ aber nicht aus der Verantwortung, genauso wenig wie die öffentliche Hand.

Für eine neue Individualmobilität müssen Bahn, Bus und ergänzende Mobilitätsangebote miteinander verknüpft werden. Also etwa Shared Economy mit eBikes, eScootern oder Autos für den Bedarfsfall. Dafür muss die Politik eine ordentliche Infrastruktur garantieren. Hierbei sind im Ausbau nebst dem Bund auch Länder und Gemeinden gefordert. Es ist nachhaltiger und schafft zudem Arbeitsplätze. „Es braucht Mut und Gestaltungswillen durch die öffentliche Hand“, erklärt Hebenstreit. Öffentlicher Verkehr und somit soziale Mobilität funktioniere eben nicht nach einer normalen Marktlogik. Es brauche ein großes Angebot, um die Nachfrage zu pushen. Und dieses sollen dann vor allem jene annehmen, die die Wahl haben.

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