Strukturwandel oder Klimakatastrophe: Am großen Rad drehen

Strukturwandel – weg vom Verbrennungsmotor?
Foto (C) Adobe Stock
Weniger Emission und mehr Jobs. Weniger Autos und mehr Mobilität. Um ohne enormen Wohlstandsverlust die Klimakatastrophe abzumildern, muss ein mächtiger Strukturwandel her.
Österreich hat versagt. Stand jetzt. Die Europäische Union hat beschlossen, die Emission der Treibhausgase bis zum Jahr 2030 um 55 Prozent zu senken. Das Jahr 1990 dient dabei als Ausgangsgröße. Europaweit sanken die Emissionen bis ins Jahr 2019 auch tatsächlich um rund 27 Prozentpunkte. Österreich hat dazu nichts beigetragen. Die Treibhausgasemissionen sind hierzulande auf dem gleichen Niveau wie vor dreißig Jahren.

Strukturwandel revolutioniert den Arbeitsmarkt

Im Gespräch mit Arbeit&Wirtschaft legt Sigrid Stagl, Ökonomin am Department für Sozioökonomie der Uni Wien, den Finger auf den wunden Punkt: „Österreich hat die Strukturen noch nicht, und das kann man auch am Klimaergebnis ablesen, das Österreich seit Jahrzehnten einfährt. Österreich hat seit den Neunzigern den Ausstoß der Klimagase lediglich stabilisiert.“ Kein Wunder. Für jede Klimasünde gibt es in Österreich die passende Ausrede.

Strukturwandel bedeutet laut ihren Augen, dass eine sozial-ökologische Transformation passieren müsse. Eine Reihe klimapolitischer Maßnahmen reiche nicht aus. Als Beispiel nennt sie den Verbrennungsmotor. Tausende Arbeitsplätze hängen in Österreich von seiner Herstellung, Wartung, Forschung und Entwicklung ab. Was den Verbrennungsmotor betrifft, spricht Stagl den Elefanten im Raum klar an: „Das ist ein Auslaufmodell. Aber wie schafft man einen systematischen und organisierten Abbau, der sozial verträglich ist, der es den Menschen ermöglicht, sich rechtzeitig neu zu orientieren und zu qualifizieren?“

Just Transition: Grüne Jobs kommen nicht von allein

Eine Frage, mit der sich Michael Soder, Referent in der Abteilung Wirtschaftspolitik der Arbeiterkammer Wien, intensiv auseinandersetzt. Er sieht im Zusammenhang mit dem Strukturwandel vor allem die Arbeits- und Beschäftigungspolitik gefragt. Auf eine steigende „grüne Nachfrage“ müssten Wirtschaft und Politik damit reagieren, dass die entsprechenden Berufsbilder attraktiver gestaltet werden.

Weiterbildungsmaßnahmen könnten anschließend die Qualifikationen in den neuen Berufen justieren, wie er in seinem Beitrag auf dem Arbeit&Wirtschaft-Blog darlegt. Anschließend können Ausbildungsplätze in diesen Bereichen die neuen grünen Arbeitsplätze nachhaltig sichern. In den Bereichen des öffentlichen Verkehrs, dem Ausbau der erneuerbaren Energien oder der Wärme- und Kältetechnik hätte das bereits funktioniert.

Klimakatastrophe verhindern

Doch genau hier ist das Problem. Dieses „grüne Wachstum“ geht zu langsam voran. Melanie Pichler und Dominik Wiedenhofer vom Institut für Soziale Ökologie der Universität für Bodenkultur Wien haben entsprechende Studien ausgewertet und fassen ihre Ergebnisse auf dem Arbeit&Wirtschaft-Blog so zusammen: „Bisherige Maßnahmen, die nur auf gesteigerte Effizienz und bessere Technologien setzten, können Ressourcenverbrauch und Emissionen weder ausreichend schnell noch stark genug reduzieren.“

Hintergrund sei, dass die Politik auf das Konzept der „absoluten Entkopplung“ setze. Das bedeutet, dass trotz Wirtschaftswachstum weniger Emissionen ausgestoßen werden sollen. Solche Fälle gebe es aber nur selten. Dafür müssten Konsum und Emissionen enorm hoch sein und ein geringes Wirtschaftswachstum herrschen. Die deutsche Wiedervereinigung und der Zusammenbruch der Sowjetunion seien zwei Beispiele dafür. In Europa zeige sich jedoch nur eine „leichte absolute Entkopplung“. Das bedeute, dass die Emissionen auf einem hohen Niveau leicht sinken würden, während der Ressourcenverbrauch stabil bleibe.

Pichler und Wiedenhofer stellen Österreich ein entsprechend schlechtes Klima-Zeugnis aus: „Diese nicht ausreichende Entkopplung in Österreich steht in völligem Widerspruch zu den völkerrechtlich, europäisch und national beschlossenen Klimazielen. Die empirischen Belege zeigen, dass bestehende Maßnahmen, die fast ausschließlich auf Effizienz, zaghafte Steuern sowie technologische Innovationen setzen, bei Weitem nicht ausreichen, um die bereits beschlossenen Klimaziele zu erreichen.“

Ökonomin Sigrid Stagl: „Die empirischen Belege zeigen, dass bestehende Maßnahmen, die fast ausschließlich auf Effizienz, zaghafte Steuern sowie technologische Innovationen setzen, bei Weitem nicht ausreichen, um die bereits beschlossenen Klimaziele zu erreichen.“

Klimaschutz muss man sich leisten können

In Österreich muss man sich aktuell den Strukturwandel leisten können, erklärt Wissenschafterin Stagl. Ein Beispiel seien Billigflieger, die genutzt werden würden, weil die Alternativen nicht praxistauglich seien: „Als Konsument:in steigt man trotzdem ein und zahlt nicht den zehnfachen Preis für den Zug und nimmt nicht die zwanzigfache Dauer in Kauf. Strukturen müssen sich verändern, damit es Menschen leichter gemacht wird, das Richtige zu tun.“

Klimafreundliches Handeln müsse aber für alle möglich sein. Auch ohne Einschränkung. Klar sei, so Stagl, dass es nicht für jeden Menschen ein Elektroauto geben könne. Auch werde es keine U-Bahn geben, die von Wien bis ins Weinviertel fährt. Für die österreichische Politik und Wirtschaft gehe es aber trotzdem darum, Bedürfnisse wie Mobilität zu erfüllen. Klimafreundlich und in hoher Qualität.

Das bedeutet, dass viele Meetings zukünftig per Videokonferenzen erledigt werden. Dass es mehr Shared-Mobility geben wird. Dass der innerstädtische Verkehr, der nichts mit Lieferungen zu tun hat, mit dem Fahrrad geschehen müsse. Stagl: „Den Antrieb auf etwas Klimafreundliches umzustellen, ist nur die erste Stufe. Sie wird aber nicht allein die Lösung bringen. Die zweite Stufe ist, von der individuellen zur gemeinschaftlichen Nutzung zu kommen. Diese vielen Tonnen Autos auf der Straße rumstehen zu haben ist weder für die Nutzung des öffentlichen Raumes zuträglich, noch ist es nötig.“

Geringes Einsparpotenzial bei neuen Technologien

Viele Einsparungen mache der Reboundeffekt zunichte, erläutert Stagl. Sei ein Auto effizienter, sinke zwar der Kilometerpreis, aber es würden täglich mehr Kilometer gefahren. Gingen wegen guter Isolation die Heizkosten zurück, zögen Familien in größere Wohnungen. Fortschrittliche Technologien könnten dadurch sogar einen negativen Einfluss auf die Treibhausgasbilanz haben. Eine naheliegende Lösung wäre es, einfach die Kosten für die Ressourcen zu erhöhen. Doch das würde zu sozialen Verwerfungen führen, glaubt Stagl. Reichere Menschen mit effizienteren, neuen Autos zahlen dann aufgrund der Einsparung im Verkehr so viel wie vorher. Österreicher:innen, die sich kein neues Auto leisten können, würden stark belastet.

Anders als der Zusammenbruch der Sowjetunion ist die aktuelle Situation kontrollierbar. Stagl: „Diesmal ist es anders, weil dieser Strukturwandel angestoßen wird und weil wir wissen, in welche Richtung er gehen muss. Normalerweise ist das eine gesellschaftliche oder technologische Änderung. Und man weiß im Vorhinein nicht, wie sich das auswirkt.“

OMV vor großem Umbau

In Dänemark hat der Mineralölkonzern Orsted gezeigt, wie ein Strukturwandel funktioniert. Im Jahr 2017 hatte sich das Unternehmen von seinem Öl- und Gasgeschäft verabschiedet. Bis zum Jahr 2027 hat die Firma Investitionen in Höhe von 47 Milliarden Euro angekündigt, um zum größten Ökostromkonzern der Welt aufzusteigen. Schon heute ist Orsted der größte Offshore-Windpark-Betreiber.

Für Stagl ein Beispiel, an dem sich die Österreichische Mineralölverwaltung (OMV) orientieren könnte. Alfred Stern, der neue Chef, hatte bereits hohe Anstrengungen in Sachen Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft und Klimaschutz angekündigt. Stern dazu in einer Presseerklärung: „Es führt kein Weg daran vorbei, die Optimierung in Richtung Nachhaltigkeit vorzunehmen.“ Konkrete Pläne konnte oder wollte Stern allerdings noch nicht präsentieren.

Drei Mythen zum Strukturwandel

Widerlegt von Sylvia Leodolter, Leiterin der Abteilung Umwelt und Verkehr der Arbeiterkammer Wien

Mythos: Österreich allein kann die Klimakatastrophe nicht stoppen.

„China möchte im Jahr 2060 klimaneutral sein, die EU und die USA wollen dies bis 2050 schaffen, Deutschland bis 2045. Handelt Österreich nicht, besteht die Gefahr, wirtschaftlich abgehängt zu werden. Um in globale Lieferketten eingebunden zu bleiben, muss man rechtzeitig auf Dekarbonisierung setzen. Dazu kommt, dass die Menschen in Österreich, ebenso wie in anderen Weltregionen, schon heute die Auswirkungen der Klimaveränderung spüren. Zur Reduktion der Treibhausgase hat sich Österreich auch im Abkommen von Paris verpflichtet.“

Mythos: Ein Umbau der Wirtschaft kostet Jobs und bedroht den Wohlstand.

„Unterschiedlichen Studien zufolge wird der grüne Strukturwandel bis 2030 neue Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnen. Hohe Dynamik wird in Bereichen wie erneuerbare Energien und Netzinfrastruktur, thermische Sanierung oder Elektromobilität und öffentlicher Verkehr erwartet. Der Strukturwandel muss aber sozial gerecht gestaltet werden, niemand darf auf der Strecke bleiben. Gerechte Verteilung, gute Arbeitsbedingungen, hohe Lebensqualität, ökonomische Stabilität und eine intakte Umwelt sind die zentralen Wohlstandsdimensionen.“

Mythos: Das Auto ist unersetzlich.

„Ein massiver Ausbau des öffentlichen Verkehrs und innovative Lösungen für die letzte Meile sollen zukünftig umweltfreundliche Mobilität für alle garantieren. Eine Umstellung auf das E-Auto reicht nicht aus. Auch Betriebe können einen Beitrag leisten, beispielsweise mit Fahrgemeinschaften. Wichtig ist, dass Mobilität kein Luxusgut wird. Jede:r, die oder der wirklich ein Auto braucht, muss es sich auch leisten können.“

Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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