Historischer Reallohnverlust: 4,2 Prozent weniger

Frau hebt Geld an einem Geldautomaten ab. Symbolbild: Reallohnverlust in Österreich
Der Lohn wird immer weniger wert. Im Jahr 2022 sinkt die Kaufkraft um 4,2 Prozent. | © Adobe Stock/Dusko
Im Jahr 2022 werden die Reallöhne von Österreichs Beschäftigten um 4,2 Prozent sinken. Gleichzeitig schütten die Konzerne Rekord-Dividenden aus. Die Herbstlohnrunde ist der letzte Rettungsanker.
Der Reallohn der österreichischen Beschäftigten wird im Jahr 2022 um rund 4,2 Prozent sinken, hat das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) errechnet. Damit liegt Österreich sogar unter dem europäischen Schnitt von nur  2,9 Prozent Reallohnverlust. Auch deswegen, weil die anstehenden KV-Abschlüsse erst im Jahr 2023 wirksam werden. Gleichzeitig schütten die 18 größten Aktienunternehmen in diesem Jahr 3,39 Milliarden Euro an Dividende aus. Das ist nur minimal weniger als die 3,53 Milliarden Euro aus dem Jahr 2021, die einen Rekord darstellten. Wie passt das zusammen?

Historischer Reallohnverlust in Österreich: Minus 4,2 Prozent

Es sind nicht gerade fette Jahre, die hinter Österreichs Arbeitnehmer:innen liegen. In den vergangen zwanzig Jahren wuchs das Median-Einkommen preisbereinigt um gerade einmal 0,5 Prozent. Schuld daran ist vor allem ein starker Anstieg der prekären Anstellungen und eine Zunahme der Teilzeitstellen. Was die Wirtschaft nicht leisten konnte, musste die Politik ausgleichen. „Durch positive Kaufkrafteffekte der beiden Steuerreformen 2009 und 2016 bleibt unterm Strich netto und real ein kleiner Zuwachs von 2,8 Prozent“, rechnet Bettina Csoka vor. Sie ist Referentin für Einkommensverteilung und Arbeitszeitpolitik in der Abteilung Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik der AK Oberösterreich.

Portrait Bettina Csoka - Reallohnverlust in Österreich
„Es ist inakzeptabel, dass die Arbeitnehmer:innen für die gesamte Teuerungswelle aufkommen müssen“, schreibt Ökonomin Bettina Csoka über den aktuellen Reallohnverlust in Österreich. | © Markus Zahradnik

Bei Unternehmen zeichnet sich ein anderes Bild ab. Doch die Rekorddividenden der vergangenen Jahre sind nicht neuen Geschäftsfeldern, Produktivitätssteigerungen oder innovativen Produkten zu verdanken, sondern in erster Linie der Inflation. Russlands Krieg in der Ukraine, gestörte Lieferketten aufgrund von Corona und ein hochvolatiler Energiemarkt haben die Preise steigen lassen. Doch viele Unternehmen haben ihre Preise deutlich stärker erhöht, als es aufgrund der Inflation nötig gewesen wäre. Sie haben eine Gewinn-Preis-Spirale in Gang gesetzt. Das nutzt den Aktionären und schröpft die Konsumenten.

Herbstlohnrunde als letzte Hoffnung gegen Reallohnverluste

„Es ist inakzeptabel, dass die Arbeitnehmer:innen für die gesamte Teuerungswelle aufkommen müssen“, stellt Csoka unmissverständlich klar. Zumal die Inflation in Österreich im September 2022 mit 10,5 Prozent sogar zweistellig war. Konsument:innen könnten der Teuerung nicht ausweichen. Sie können die Preiserhöhungen nicht einfach weitergeben. Deswegen ist die anstehende Herbstlohnrunde so wichtig. Auch, wenn deren Ergebnis sich erst im Jahr 2023 auswirkt. Eine zentrale Forderung ist die Erhöhung des KV-Mindestlohns branchenübergreifend auf 2.000 Euro brutto. Davon würden vor allem jene profitieren, die von den aktuellen Preiserhöhungen besonders stark betroffen sind.

Bei einer Befragung durch die Statistik Austria im Frühsommer 2022 gaben 37 Prozent der österreichischen Haushalte an, dass sie in den vergangenen zwölf Monaten Einkommensverluste hinnehmen mussten. Die größten Probleme waren die Inflation und die Verringerung der Arbeitszeit. Lediglich 43 Prozent der Haushalte gaben an, dass sie über ein weiterhin gleiches Einkommen verfügen.

Übersicht über Reallohnverlust in Österreich

Der erwartete Reallohnverlust von 4,2 Prozent ist einzigartig. Zwar sank die Kaufkraft in den vergangenen Jahrzehnten öfter, das allerdings nur minimal. Vor allem in den 1960er und 1970er Jahren gelang es den Sozialpartner:innen Lohnabschlüsse oberhalb der üppigen Inflationsrate zu erzielen, so das Momentum Institut. Steigende Löhne sind die beste Anti-Teuerungsmaßnahme.

Jahre mit Kaufkraftverlust in den letzten 60 Jahren:
  • 2017: – 0,2 Prozent
  • 2014: -0,2 Prozent
  • 2011: -1,1 Prozent
  • 2010: -0,6 Prozent
  • 2005: -0,4 Prozent
  • 2001: -0,9 Prozent
  • 1997: -0,7 Prozent
  • 1996: -0,1 Prozent
  • 1984: -0,2 Prozent

Rainer Wimmer, als Vorsitzender der Gewerkschaft PRO-GE einer der Chefverhandler, ist sich sicher: „Wir werden einen Reallohnzuwachs verhandeln.“ Das geht, wenn die Benya-Formel umgesetzt werden kann. Dafür müssen die Löhne um die Inflationsrate plus die Produktivitätssteigerung erhöht werden. Doch auch die Politik müsse auf die aktuelle Situation reagieren, fordert Csoka. „Zudem braucht es preisdämpfende und preisstabilisierende Maßnahmen wie wirksame Preisobergrenzen bzw. Preisregulierungen und eine ‚Anti-Teuerungs-Kommission mit Biss‘.“ Gleichzeitig müssten die Übergewinne abgeschöpft werden, um diese Maßnahmen gerecht finanzieren zu können.

Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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