Akuter Personalmangel: AKH Wien schlägt Alarm

Wolfgang Hofer, Personalvertreter im AKH Wien, im Interview über den Personalnotstand.
„Ich würde die Politiker:innen gerne einmal durch das Spital führen, also an die Plätze, wo Belastungen sichtbar sind", sagt Wolfgang Hofer, Personalvertreter im AKH Wien. | © Markus Zahradnik

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Es drückt der Schuh, es brennt der Hut. Wie man den Spitalsbetrieb wieder versorgungssicher machen kann. Eine Diagnose von Wolfgang Hofer, Vorsitzender der Personalvertretung im AKH Wien.
Das AKH Wien ist eine Kleinstadt auf 345.000 Quadratmeter. Hier arbeiten mehr als 12.000 Menschen. Davon sind 7.000 bei der Stadt Wien angestellt und 3.000 bei der MedUni Wien. Arbeit&Wirtschaft hat bereits mit ihnen gesprochen und Probleme sichtbar gemacht. Am Mittwoch, 2. November 2022, ein außergewöhnlich warmer jedoch sehr windigen Herbsttag, trafen wir Wolfgang Hofer zum Interview. Er ist Personalvertreter der rund 7.000 Pflegeangestellten.

Personalnotstand im AKH-Wien: Wolfgang Hofer schlägt Alarm

Der Eintritt in die Kleinstadt steht noch immer ganz im Zeichen der Corona-Vorschriften und sorgt für einige Verwirrung. Denn die Eingänge für telefonisch vereinbarte Termine und schriftlich vereinbarte Termine sind getrennt voneinander. Dazwischen ein Kommen und Gehen von Angestellten des größten Spitals Österreichs. Der Zugang ist restriktiv. Auch für das kleine Redaktionsteam der Arbeit&Wirtschaft bestehend aus Fotograf Markus Zahradnik und mir. Über einen Seiteneingang geht es in die Räumlichkeiten der Personalvertretung. Der erste Raum, ein Besprechungsraum, ist auch gleichzeitig Lagerraum. Denn wie Wolfgang Hofer lachend meint: „Wenn wir als Personalvertretung für 7.000 Personen etwas bestellen, dann brauchst‘ schon viel Lagerraum.“

Während des Interviews blicke ich auf den Innenhof, die Rettungszufahrt. Es ist ein ständiges Kommen und Wegfahren der Rettungsfahrzeuge. Einige der Fahrer nutzen das Plätzchen, um eine kurze Pause zu machen und die wahrscheinlich letzten warmen Sonnenstrahlen zu genießen. Ein fast idyllisches Bild, das die Realität des Betriebs des AKHs und des Gesundheitssystems in Österreich nicht richtig wiedergibt. Und auch nicht die politische Situation. Die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) ist zum Spielball der Budgetplanung verkommen und immer wieder wird beim Gesundheitssystem der Sparstift angesetzt. Das hat dazu geführt, dass es im AKH Wien zu einem Personalmangel gekommen ist.

Interview mit Wolfgang Hofer vom AKH Wien

Arbeit&Wirtschaft: Was ist das brennendste Problem im Spitalsbetrieb?

Wolfgang Hofer: Es herrscht akuter Personalmangel, hauptsächlich bei den Gesundheitsberufen, und hier vor allem beim Pflegepersonal, das rund 3.000 der rund 7.000 Kolleg:innen ausmacht, aber auch in den medizinisch-technischen Diensten haben wir sehr große Schwierigkeiten, die offenen Stellen zu besetzen.

Wo sehen Sie die Ursachen des Personalmangels?

Es ist vor allem der Knick, der durch den Ausstieg der geburtenstarken Jahrgänge mit der Pension und dem Einstieg der geburtenschwachen Jahrgänge in den Beruf entstanden ist. Den bemerken wir jetzt. In den kommenden acht Jahren geht etwa ein Drittel des Pflegpersonals in Pension, das sind rund 1.000 Personen.

Das macht sich natürlich im Spitalsalltag bemerkbar.

Vor allem dadurch, dass wir etwa die offenen Dienstposten nicht mehr besetzt bekommen. Wir merken es in diesem Jahr erstmals so richtig. Bisher konnten wir die Dienstposten vor allem durch den Abgang von den Pflegeschulen immer relativ gut besetzen. In diesem Jahr ist es erstmals wirklich anders. Wir hatten Anfang Oktober 230 offene Dienstposten im Pflegebereich. Umgerechnet sind das rund acht Pflegestation mit etwa 30 Patient:innen. Man müsste also 240 Betten sperren. Also die Leistungen reduzieren, um die Mitarbeiter:innen nicht ständig chronisch zu überlasten. Das hat schlussendlich Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit der Patient:innen.

Weshalb gibt es kein Personal? Ist das Berufsbild nicht mehr attraktiv?

Einerseits gibt es durch die Reform und die neue Ausbildungsstrategie über ein FH-Studium insgesamt weniger Ausbildungsplätze pro Jahrgang. Andererseits ist für viele das Berufsbild mit Nachtdiensten und Wochenendarbeit nicht mehr attraktiv.

Ist es eine reine Frage der Work-Life-Balance oder auch des Gehalts?

Es ist natürlich auch eine Frage des Gehalts. Ich denke, dass das grundsätzliche Lohnniveau in den Gesundheitsberufen, die ja eine sehr hohe Verantwortung mit sich bringen, zu niedrig ist. 2.200 Euro netto sind halt nicht mehr attraktiv, wenn ich auch an Wochenenden, in der Nacht und an Feiertagen, etwa zu Weihnachten, arbeiten muss, die Dienstpläne sich aufgrund des Personalmangels ständig verschieben und ich im privaten Bereich nichts mehr planen kann.

Es gibt doch Zulagen für die Wochenend- und Nachtdienste.

Ja, die gibt es. Wenn man jedoch überlegt, dass man für einen Nachtdienst brutto 32 Euro bekommt, dann ist das einfach zu wenig. Rechnet man sich das in netto um, dann ist das überhaupt nicht attraktiv. Dasselbe gilt auch für Wochenenddienste, die nicht wahnsinnig hoch dotiert sind. Ich denke, wenn man hier nach oben schrauben würde, könnte man wieder mehr Leute gewinnen.

Welche Rolle spielen die Mehrbelastungen durch die Corona-Pandemie?

Die Stimmung ist nach zweieinhalb Jahren Pandemie nicht besonders berauschend. Die Belastung in dieser Zeit war extrem. Auf der einen Seite für die Kolleg:innen, die auf den acht Corona-Stationen zwölf Stunden in Raumfahrtanzügen im Einsatz waren. Und andererseits für jene auf den anderen Stationen, die versucht haben, das zu kompensieren und die Corona-Stationen zu entlasten. Das geht an die Substanz. Und man weiß, wie große körperliche Belastung etwa die Abwehrkraft des Immunsystems reduziert. Daher ist es für mich so wichtig, darauf hinzuweisen, dass man das besser dotieren muss. Denn mit brutto 32 Euro Zuschlag pro Dienst bringen Sie niemanden an diese Stellen und können so nicht für eine Entlastung des Gesundheitspersonals sorgen. Und es ist ja nicht so, dass jemand Leistungen reduzieren möchte. Niemand, der im Gesundheitsbereich arbeitet, will, dass Stationen gesperrt werden. Alle werden sagen – Ärzt:innen und Management inklusive –, dass sie im Vollbetrieb arbeiten wollen. Aber es geht aktuell an die persönliche Substanz und Belastungsgrenze.

Wie geht das Personal mit der Situation um?

Da beginnt der tägliche Spagat. Es wird natürlich versucht, die Leistung trotz flächendeckenden Personalmangels durch Überstunden hoch zu halten. Man muss sich jedoch Folgendes vorstellen: In vielen Bereichen wird zwölf Stunden gearbeitet. Wenn ich drei Überstundendienste mache, dann sind das im Monat 36 Stunden. Das ist umgerechnet fast eine zusätzliche Arbeitswoche in einem Monat. Die Belastungsgrenze ist da sehr schnell erreicht. In Wirklichkeit kann man eigentlich nur sagen, dass man die Leistung reduziert, um einerseits die Qualität der High-End-Versorgung hier im AKH aufrechtzuerhalten und andererseits nicht noch mehr Leute zu verlieren. Hier braucht es sehr rasch Lösungen. Es gibt Bereiche, wie etwa in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, die enorm überlastet sind. Das betrifft Pfleger:innen wie Ärzt:innen.

Wolfgang Hofer im Interview über den Personalmangel im AKH Wien

Wolfgang Hofer im Gespräch über den Personalnotstand im AKH Wien.
„Neben dem Gehalt müssen die Rahmenbedingungen passen. Das richtet sich nicht nur an die Politik, sondern auch ans Management.“ | © Markus Zahradnik
Um auf die Ursachen zurückzukommen – die Ausbildung und zu wenige Abgänger:innen von den Ausbildungsplätzen: Woran liegt das?

Das ist ein gesamtösterreichisches Problem. Beginnen wir mit der neuen Pflegefachkraft-Assistent:innen-Ausbildung, die gerade erst Fahrt aufnimmt. Da muss man noch ein bisschen abwarten, wie die zur Verfügung stehenden Ausbildungsplätze in den nächsten zwei bis drei Jahren wirken. Es müssen aber jedenfalls viel, viel mehr Ausbildungsplätze werden. Und ja, dafür ist Geld in die Hand zu nehmen. Der nächste Schritt ist dann das Halten des Personals. Das ist eine Aufgabe des Managements und der Führungskräfte eines Spitals. Dabei geht es vor allem um Wertschätzung und Planbarkeit. Zusätzlich haben wir hier im AKH über 300 Spezialambulanzen, in denen neben spezialisierten Mediziner:innen ein ebenso spezialisiertes Gesundheitspersonal arbeitet. Das erschwert die Personalsuche noch zusätzlich, denn auch die Ausbildung dauert länger – etwa in der Intensivpflege dauert es bis zu  3 Jahre inklusive Spezialausbildung eine Topkraft zu sein.

Hat also die Politik mit der sogenannten Patientenmilliarde einen Schritt in die richtige Richtung gemacht, oder fehlt da etwas?

Es gibt einige gute Initiativen, wie etwa das Haus der Pflege, das in Wien entsteht. Es sind jedoch alles Ansätze, die aus meiner Sicht sehr spät kommen. In Wien ebenso wie in den anderen Bundesländern. Denn das Personalproblem wird sich wie gesagt in den kommenden Jahren noch weiter verschärfen. Die Stadt Wien alleine wird das nicht schaffen. Es müssen der Bund und alle Bundesländer mehr investieren, um den drohenden Personalmangel abzufangen, der vor uns steht. Denn gerade in den letzten 15 Jahren ist im Ausbildungsbereich aufgrund der Zentralisierung der Ausbildungsorte in den einzelnen Bundesländern die Zahl der Ausbildungsplätze deutlich reduziert worden.

Und die Patientenmilliarde?

Ein Teil davon fließt in die Ausbildung und ein anderer Teil in die Gehälter der Kolleg:innen, also für die nächsten beiden Jahre. Angekommen ist noch nichts. Angeblich soll der Betrag nun als 15. Monatsgehalt Anfang nächsten Jahres ausbezahlt werden. So gut dieses de facto 15. Monatsgehalt ist: Ich glaube, dass es besser wäre, den Betrag einfach auf die 12 Monate aufzuteilen und monatlich am Gehaltszettel fix einzuplanen. Denn solche Einmalzahlungen werden sehr rasch wieder vergessen und wirken natürlich auch nicht nachhaltig. Was nach den beiden Jahren für das erhöhte Gehalt geplant ist, ist noch offen. Zahlen die Länder dann weiter, oder endet das 2025 wieder?

Was ist Ihr Appell an die Politik?

Ich hoffe, dass die Politik – speziell jetzt bei den Lohnverhandlungen mit Vizekanzler Werner Kogler – Verständnis für unsere Situation hat. Denn wenn man wie jetzt viele unserer Kolleg:innen zusätzlich zu den großen Belastungen hier in der Arbeit auch noch wirtschaftliche Sorgen hat, also aufgrund der Inflation, dann wird das wirklich schwierig, besonders für die psychische Belastung.

Und der Gesundheitsminister?

Der Gesundheitsminister kann vielleicht die Rahmenbedingungen schaffen, was schon ein wichtiger Teil wäre. Aber mehr kann man nicht fordern, weil schlussendlich ist der Finanzminister für die Geldverteilung zuständig, und die findet in Wirklichkeit über den Finanzausgleich statt. Beim AKH, wie in Wien, haben wir ja da noch die Besonderheit, dass wir rund 20 Prozent nicht in Wien wohnhafte Patient:innen betreuen. Weil wir eine Universitätsklinik sind. Das ist ja grundsätzlich in Ordnung, weil wir eine Versorgungsmöglichkeit haben. Aber man muss das finanziell entsprechend ausgleichen, und ich glaube, dass es hier hapert.

Geht es dabei auch um Wertschätzung?

Ja, und man hat das Gefühl, dass die Wertschätzung fehlt, weil keine Aufmerksamkeit darauf gelenkt wird. Denn neben dem Gehalt müssen die Rahmenbedingungen passen. Das richtet sich nicht nur an die Politik, sondern auch ans Management. Das, was ich leisten kann, muss mit dem zusammenpassen, was das Management von mir fordert. Und das ist nicht immer so. Weil man kurzfristig viele Stunden machen muss und der Dienstplan im Monatstakt quasi über den Haufen geworfen wird. Das führt auch im wieder zu Überlastungsanzeigen.

Wie ließe sich das lösen?

Ich wäre schon sehr zufrieden, wenn wir in eine Situation kämen, dass jeder stressfrei hineingeht und mit einem zufriedenen Gefühl herausgeht.. Dass fängt bei der Sicherheit des Dienstplans an. Dazu müssten jedoch alle Dienstposten besetzt sein. Das betrifft ferner den Umgang der Führungskräfte mit den Mitarbeiter:innen. Damit meine ich, dass die Führungskräfte die Mitarbeiter:innen so behandeln sollen, wie sie von ihnen erwarten, dass sie die Patient:innen behandeln. Nämlich wertschätzend. Und es endet schließlich bei den aktuellen Lohnverhandlungen, die eine Entlastung bringen müssen, damit alle im nächsten Jahr davon leben können. Ebenso wäre es ein Signal, die Nachtzuschläge zumindest zu verdoppeln.

Wie können Sie sich vorstellen, die Politiker:innen auf die sich zuspitzende Situation aufmerksam zu machen?

Ich würde die Politiker:innen gerne einmal durch das Spital führen. An die Plätze, an denen die Belastungen sichtbar sind. Wir haben einmal ganz zu Beginn seiner Amtszeit den Wiener Bürgermeister Ludwig durch die sensiblen Bereiche wie Unfallchirurgie, Kinderintensivstation und Onkologie geführt.

Was sieht man da beispielsweise?

Man sieht etwa, wie über drei Stunden ein Team aus sechs Notfallmediziner:innen und -pfleger:innen versucht, jemandem das Leben zu retten oder wieder ins Leben zurückzuholen. Sie belasten sich dabei selbst maximal, um das Leben anderer zu retten. Das ist nicht nur medizinisch sehr anspruchsvoll, sondern man sieht auch, wie viel Personal das Retten eines Lebens tatsächlich bindet. Ein Beispiel aus der Intensivmedizin: Bei 140 Intensivbetten braucht das umgerechnet 900 Personen. Dazu kommen noch Technik und Überwachung.

Etwas, das sich vor allem vor Ort lernen lässt.

Mit so einer Führung bekämen Politiker:innen einen ganz anderen, einen sehr direkten Zugang dazu, wie viel Personal dort arbeitet und mit welcher Belastung die Teams umgehen müssen. Sie sind körperlichem und psychischem Stress ausgesetzt. Und oft bringt – wie etwa in der Unfallchirurgie – die Frequenz, also der quantitative Arbeitsdruck aufgrund einer großen Menge in kürzester Zeit zu behandelnder Patient:innen, die Teams an ihre Belastungsgrenzen.

Eine Belastung, die in den Arbeitsverträgen nicht eingepreist ist.

Daher noch ein Appell: Wir haben in unserer Arbeitswelt viele Bereiche, die Erschwernis und Gefahrenzulagen erhalten und dadurch als Schwerarbeit bewertet werden. Dazu wird aktuell die Gefährdung etwa durch Staub, Hitze oder Infektionen gemessen. Es wäre zu überdenken, ob nicht auch psychische Belastungen in den Kriterienkatalog aufgenommen werden müssten. Denn die Teams sind entweder einer akuten – wie in der Notfallstation – oder einer permanenten Stresssituation ausgesetzt – wie etwa in der Onkologie. Eigentlich ist mir nicht mehr nach Durchhalteparolen. Ich glaube, man muss so ehrlich sein, dass jede:r für sich abschätzen sollte, was er:sie sich noch zutraut bzw. zumuten kann. Und es sollten keine persönlichen Grenzen überschritten werden, denn das bringt langfristig weder Vorteile für einen selbst noch für das Gesundheitssystem.

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