Faktencheck: Lohnnebenkosten kürzen bringt nicht „mehr Netto vom Brutto“

Ingenieur in einem orangenen Anzug arbeitet an einer Maschine. Symbolbild fürs Lohnnebenkosten senken.
Lohnnebenkosten finanzieren den Sozialstaat. Und der hilft uns allen. | © Adobestock/es0lex
Eine Kürzung der Lohnnebenkosten bringt Beschäftigten nicht „mehr Netto vom Brutto“. Ganz im Gegenteil. Die Leistungen des Sozialstaats werden schlechter und die Steuerlast könnte steigen.
Die Forderung, doch bitte die Lohnnebenkosten zu kürzen, ist fast so alt wie Wahlkämpfe an sich. Es ist eine Art Mantra wirtschaftsnaher Parteien. Denn eine Kürzung der Lohnnebenkosten hilft in erster Linie den Unternehmen. Die Beschäftigten bekommen dadurch nicht mehr Geld. „Mehr Netto vom Brutto“ ist ein irreführender Slogan, der mit den Lohnnebenkosten nichts zu tun hat. Eher im Gegenteil.

Was sind Lohnnebenkosten?

Lohnnebenkosten sind die Abgaben, die Unternehmen zusätzlich zum eigentlichen Lohn oder Gehalt monatlich entrichten müssen. Sie sind in erster Linie die Beiträge der Unternehmen zum Sozialstaat. Dazu gehören:

  • Dienstgeberanteil zur Sozialversicherung: Kranken-, Unfall-, Pensions- und Arbeitslosenversicherung
  • Kommunalsteuer: Gemeindeabgabe, u. a. für Müll, Verkehr oder Kindergärten
  • Familienlastenausgleichsfonds: u. a. für Kinderbetreuungsgeld, Leistungen aus dem Mutter-Kind-Pass und Schülerunfallversicherung
  • Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
  • Beitrag zur Mitarbeitervorsorgekasse
  • Insolvenz-Entgelt-Fonds: Im Falle einer Insolvenz zahlt er die Ansprüche der Beschäftigten.

Historisch betrachtet handelt es sich bei den Lohnnebenkosten tatsächlich um eine Art der Lohnerhöhung, die die Arbeitgeber:innen in Form von sozialen Leistungen ausbezahlt haben. Hierzu zählt etwa die Familienbeihilfe. Doch mit dem wachsenden Wohlstand hat sich die Bedeutung geändert. „Es ist eine gemeinsame Verantwortung der Arbeitgeber:innen und der Arbeitnehmer:innen den Sozialstaat zu sichern. Deswegen sind es Sozialstaatsbeiträge“, erklärt Sybille Pirklbauer im Podcast „In bester Gesellschaft“. Sie ist Leiterin der Abteilung für Sozialpolitik in der Arbeiterkammer. Genau diese gemeinsame Verantwortung wird derzeit immer wieder in Frage gestellt. Doch was ist dran an der Debatte? Arbeit&Wirtschaft räumt mit den vier gängigsten Mythen rund um die Lohnnebenkosten auf.

Sybille Pirklbauer von der Arbeiterkammer sitzt im Garten und spricht im Interview über Lohnnebenkosten.
Sybille Pirklbauer, Abteilungsleitung Sozialpolitik, spricht im Podcast „In bester Gesellschaft“ über die Lohnnebenkosten. Dringende Hörempfehlung. | © Markus Zahradnik

Mythos 1: Geringere Lohnnebenkosten bedeuten mehr Geld für die Beschäftigten

Wer die Lohnnebenkosten kürzt, sorgt damit nicht für mehr Geld im Geldbörserl der Beschäftigten. Letztlich sparen die Unternehmen Ausgaben, die eigentlich für den Sozialstaat gedacht sind. Studien haben gezeigt, dass diese Kostenersparnis nicht an die Arbeitnehmer:innen (in Form von Lohnerhöhungen) weitergegeben wird. Tatsächlich wird langfristig sogar der gegenteilige Effekt eintreten.

Denn rund 55 Prozent der Ausgaben des Sozialstaates stammen aus den Sozialversicherungsbeiträgen erwerbstätiger Menschen. Noch einmal 39 Prozent kommen aus Lohn-, Einkommen-, Mehrwert- und Verbrauchssteuern. Die restlichen Prozente stammen von Selbstständigen (3,2 Prozent) und Pensionist:innen (2,3 Prozent). In den restlichen 0,5 Prozent stecken unter anderem Vermögenseinnahmen. Das bedeutet: Lohnnebenkosten kürzen führt zu weniger Einnahmen.

Entweder kürzt die Regierung dann die Leistungen (etwa bei der Krankenversorgung oder der Pensionen) oder erschließt neue Einnahmequellen in Form von Steuererhöhungen. Den meisten Platz nehmen im Budget übrigens die Punkte Alter (42,4 Prozent des Budgets) und Gesundheit (24,9 Prozent) ein. Hier gibt der Sozialstaat mit Abstand das meiste Geld aus. In Zukunft werden diese Ausgaben sogar noch weiter steigen, schon jetzt kämpft Österreich mit der Pflegekrise.

Mythos 2: Die Leistungen der Lohnnebenkosten sind nur Almosen

Bei den Leistungen handelt es sich nicht um Almosen. Es sind Versicherungsleistungen, die sich die Beschäftigten tagtäglich erarbeiten. Für individuelle Beiträge gibt es individuelle Ansprüche. Das gilt für die Pension genauso wie für die Arbeitslosigkeit.

Eine Frau und ein Mann sitzen an einem Tisch, auf dem Tassen stehen. Hinter ihnen ist eine Pinnwand mit bunten Post-Its. Die Frau hält einen Stift in der Hand und hat einen Block vor sich. Sie arbeiten an einem kreativen Projekt.
55 Prozent der Ausgaben des Sozialstaates stammen aus den Sozialversicherungsbeiträgen erwerbstätiger Menschen. | © Adobe Stock/Jacob Lund

Mythos 3: In der Schweiz sind die Lohnnebenkosten viel niedriger und das Gesundheitssystem ist besser

Der Vergleich der Lohnabgaben zwischen den Ländern ist Augenauswischerei. Österreich liegt mit den Lohnabgaben zwar tatsächlich im europäischen Spitzenfeld, allerdings auch beim Sozialstaat. In Ländern, in denen die Lohnabgaben niedriger sind, müssen diese Leistungen privat erbracht werden. Das bedeutet, dass die Arbeitnehmer:innen von ihrem Nettolohn noch private Renten- und Krankenversicherungen oder Kindergärten zahlen müssen. Auch Arbeitslosengeld für den Notfall müssen sie vorab selbst ansparen. Doch private Versicherungen haben für die Versicherten einen entscheidenden Nachteil. Sie müssen Gewinne erwirtschaften, die bei den Beiträgen eingepreist sind.

„In Ländern, in denen das Sozialsystem nicht so stark wie in Österreich ist, müssen derartige Leistungen oft privat bezahlt werden. Wenn eine teurere ärztliche Behandlung ansteht, kann dies zu finanziellen Engpässen und sogar dazu führen, dass diese Kosten über Jahre hinweg abbezahlt werden müssen“, so Miriam Fuhrmann, Fachreferentin im volkswirtschaftlichen Referat des Österreichischen Gewerkschaftsbunds.

Ähnlich sieht es Sepp Zuckerstätter von der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der Arbeiterkammer Wien. „Der Grund, warum andere Länder wie die Schweiz niedrigere Lohnnebenkosten haben, liegt oftmals daran, dass die Krankenversicherung privat aus dem Lohn oder Gehalt der Beschäftigten bezahlt werden muss – was gerade für Familien mit Kindern oft viel teurer ist, aber aufgrund der anderen Verrechnung nicht als Teil der Lohnnebenkosten aufscheint, auch wenn es die Beschäftigten genauso belastet.“

Mythos 4: Die Lohnnebenkosten steigen immer weiter

In den vergangenen Jahren hat die Regierung immer wieder die Lohnnebenkosten massiv gekürzt. Dazu gehören unter anderem die Beiträge zum Familienlastenausgleichsfonds, zum Insolvenz-Entgelt-Fonds und zur Unfallversicherung. Seit dem Jahr 2016 gab es einige Kürzungen, mit denen sich Unternehmen sehr viel Geld sparen. Sie summieren sich auf 1,7 Milliarden Euro pro Jahr. Geld, das dem Sozialstaat und damit den Österreicher:innen jetzt fehlt.

Aktuell gibt es Pläne von Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) die Lohnnebenkosten stufenweise um drei Prozent zu kürzen. Bis zum Jahr 2030 entsteht so ein Budgetloch von 20 Milliarden Euro. Eine Gegenfinanzierung gibt es noch nicht. Allerdings fordern parallel wirtschaftsnahe Ökonom:innen eine Anhebung des Renteneintrittsalters.

Häufige Fragen zur Kürzung der Lohnnebenkosten

Was sind Lohnnebenkosten?
Lohnnebenkosten sind die Abgaben, die Unternehmen zusätzlich zum eigentlichen Lohn oder Gehalt monatlich entrichten müssen. Es handelt sich dabei um die Leistungen, die Unternehmen zum Sozialstaat beitragen. Dazu gehören:

  • Dienstgeberanteil zur Sozialversicherung: Kranken-, Unfall-, Pensions- und Arbeitslosenversicherung.
  • Kommunalsteuer: Gemeindeabgabe u.a. für Müll, Verkehr oder Kindergärten.
  • Familienlastenausgleichsfonds: u.a. für Kinderbetreuungsgeld, Leistungen aus dem Mutter-Kind-Pass und Schülerunfallversicherung
  • Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
  • Beitrag zur Mitarbeitervorsorgekasse
  • Insolvenz-Entgelt-Fonds: Im Falle einer Insolvenz zahlt er die Ansprüche der Beschäftigten
Bekommen Beschäftigte mehr Geld, wenn die Lohnnebenkosten sinken?
Von einer Kürzung der Lohnnebenkosten profitieren Arbeitnehmer:innen nicht. Sie bekommen nicht „mehr Netto vom Brutto“. Lohnnebenkosten sind die Abgaben, die Unternehmen für die Finanzierung des Sozialstaates zahlen. Sinken sie, sinken lediglich die Kosten für die Firmen. Studien haben gezeigt, dass Unternehmen diese Vorteile nicht an die Beschäftigten weitergeben.

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Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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