Sozialstaatsbeiträge sichern Standards

Illustration (C) Miriam Mone
Die Abgaben in Form der Lohnnebenkosten in Österreich sichern uns allen viele Vorteile und stabilisieren den Sozialstaat. Dabei ist klar: Sie sind weder konjunktur-hemmend noch unternehmens- oder standortschädigend, wie von Teilen der Wirtschaftskammer behauptet wird.
Was bringt so ein Sozialstaat überhaupt? Sehr viel kann man hierauf antworten. Laut aktuellen Zahlen gibt Österreich jährlich 113 Milliarden Euro für Sozialleistungen aus. Das entsprach 2019 etwa 29 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) – 2020 waren es krisenbedingt 34 Prozent – und ist weltweit gesehen ein recht ansehnlicher Wert. Die größten Anteile an den Ausgaben gehen in die Bereiche Pensionen (45 Prozent) und Krankheit/Gesundheitsversorgung (26,4 Prozent). Die verbleibenden knapp 30 Prozent verteilen sich auf die Bereiche Familie/Kinder, Invalidität, Hinterbliebene, Arbeitslosigkeit sowie Wohnen und soziale Ausgaben.

„Österreichs Sozialausgaben machen seit 1995 konstant zwischen 27 und 30 Prozent der Wirtschaftsleistung aus und stabilisieren damit unser Gesellschaftssystem“, sagt der Referent für Sozialstaatsfragen, Norman Wagner, von der AK Wien. Sozialleistungen in Österreich setzen sich aus Geld- und Sachleistungen zusammen. Rund zwei Drittel des Geldes werden ausgezahlt, und ein Drittel entfällt auf Sachleistungen wie beispielsweise städtische Kindergärten.

Eine wichtige Einnahmequelle des Staates für die Finanzierung des sozialen Netzes sind die Lohnnebenkosten bzw. Sozialstaatsbeiträge, die Unternehmen für Angestellte und Arbeiter:innen zu entrichten haben und die teilweise auch selbst von den Arbeitnehmer:innen bezahlt werden. „Lohnnebenkosten setzen sich aus unterschiedlichen Teilen zusammen, die man nicht in einen Topf werfen darf. Da ist zunächst jener Teil, der nur in der WKO-Rechnung als Lohnnebenkosten bezeichnet wird, in Wirklichkeit aber aus Zahlungen besteht, die direkt die Arbeitnehmer:innen bekommen“, meint Sepp Zuckerstätter von der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der AK Wien. Und weiter: „Das sind Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Oder die Fortzahlung im Fall eines Krankenstands. All das sind Lohnkosten, die die Arbeitnehmer:innen direkt als Einkommen erhalten.“ Was fällt alles unter die Sozialversicherungsbeiträge von Arbeitnehmer:innen und Arbeitgebern? Neben der Pensions-, Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung ist es der Familienlastenausgleichsfonds (FLAF), der Insolvenz-Entgelt-Zuschlag (IESG), die Wohnbauförderung, die Kommunalsteuer und die betriebliche Vorsorgekasse. Ein Beispiel: Bei der Krankenversicherung werden die Kosten beinahe paritätisch geteilt. Hier zahlen die Arbeitnehmer:innen 3,87 Prozent und Arbeitgeber 3,78 Prozent. Was also in Summe 7,65 Prozent bedeutet. „Auch wenn man diese Ausgaben immer ‚Arbeitgeberbeitrag‘ nennt, so ist es doch die Wertschöpfung der Arbeitnehmer:innen, die dem zugrunde liegt“, sagt die Ökonomin und Referentin im Grundlagenbereich des ÖGB, Julia Stroj.

Wertschöpfung durch Arbeit

„Der Sozialstaat hat vielfältige Aufgaben: Er schützt bei Arbeitslosigkeit, Krankheit oder im Alter, bekämpft die sozialen Folgen von Wirtschaftskrisen oder verringert die ungleiche Verteilung von Einkommen und Chancen“, schreibt Wagner in seiner aktuellen Publikation „Sozialstaat Österreich. Aufgaben, Leistungen, Finanzierung“ über einen gut funktionierenden Wohlfahrtsstaat. Und er konstatiert weiter: „Unser Bedarf nach Leistungen des Sozialstaats ist in den letzten Jahrzehnten gewachsen. Nicht weil unsere Ansprüche immer größer geworden sind, sondern weil der Druck in der Arbeitswelt gestiegen ist.“ Somit wäre auch eine Kürzung der Lohnnebenkosten ein Schritt in die falsche Richtung und würde auf Dauer weder den Arbeitnehmer:innen noch den Arbeitgebern hilfreich sein. Was man sich kurzfristig spart, kann einem zukünftig äußerst teuer zu stehen kommen.

Sozialleistungen stärken daher die soziale Absicherung und erhalten Standards, die es auf einer rein steuerfinanzierten Basis in dieser Form nicht geben könnte. Einen gesetzlichen Anspruch auf Arbeitslosen-, Kranken- und Pensionsversicherung hätte man dann keinen mehr. Leistungsansprüche wären dadurch deutlich volatiler und abhängig von parlamentarischen Mehrheiten. Wirtschaftsliberale Parteien hätten damit deutlichen Einfluss auf das persönliche Wohl der einzelnen Arbeiter:innen und Angestellten. Somit ließe sich zwar Klientelpolitik machen, aber gleichzeitig würde für ein weiteres Anwachsen der Ungleichheit in Österreich gesorgt, da sich nicht alle das „Gesamtpaket Sozialstaat“ leisten könnten.

„In Österreich finanzieren die Dienstgeberbeiträge, sprich die Lohnnebenkosten, viele Bereiche“, sagt auch die Expertin der Volkswirtschaftsabteilung des ÖGB, Miriam Baghdady. Neben den oben genannten Punkten werden über diese Beiträge beispielsweise auch Familienleistungen wie Schüler:innenfreifahrten und Schulbücher finanziert. „Die Lohnnebenkosten sind eine wesentliche Finanzierungskomponente des österreichischen Sozialstaats. Die damit finanzierten Sozialleistungen kommen allen Menschen zugute. Diejenigen, die sich regelmäßig für eine Senkung aussprechen, argumentieren damit, dass damit ja mehr Beschäftigung geschaffen werde und höhere Löhne ausgezahlt werden könnten. Einerseits sind diese Effekte wissenschaftlich umstritten, andererseits sind sie, wenn überhaupt, nur von kurzer Dauer und wirken nicht nachhaltig“, so Baghdady.

Was Österreich von anderen unterscheidet

Ungefähr 18 Prozent der Bruttolöhne und -gehälter zahlen Arbeitnehmer:innen und 25 Prozent zahlen die Arbeitgeber in dieselben Töpfe der Sozialversicherung ein. „Unser Sozialsystem finanzieren zum größten Teil die arbeitenden Menschen. Wenn wir die Abgaben auf Löhne und Gehälter kürzen, muss parallel immer die Frage mitüberlegt werden, wie wir auf anderem Weg unseren Sozialstaat finanzieren“, sagt Wagner von der AK Wien. In Österreich sind 99,9 Prozent der Bevölkerung von der öffentlichen Krankenversicherung geschützt. Ein klarer Vorteil im Vergleich zu weniger wohlfahrtsstaatlich orientierten Ländern, die viel auf Selbstversicherung setzen.

„In Ländern, in denen das Sozialsystem nicht so stark wie in Österreich ist, müssen derartige Leistungen oft privat bezahlt werden. Wenn eine teurere ärztliche Behandlung ansteht, kann dies zu finanziellen Engpässen und sogar dazu führen, dass diese Kosten über Jahre hinweg abbezahlt werden müssen“, so Miriam Baghdady. Ähnlich sieht es Sepp Zuckerstätter: „Der Grund, warum andere Länder wie die Schweiz niedrigere Lohnnebenkosten haben, liegt oftmals daran, dass die Krankenversicherung privat aus dem Lohn oder Gehalt der Beschäftigten bezahlt werden muss – was gerade für Familien mit Kindern oft viel teurer ist, aber aufgrund der anderen Verrechnung nicht als Teil der Lohnnebenkosten aufscheint, auch wenn es die Beschäftigten genauso belastet.“

„Keine einzige Arbeitnehmer:in hätte auch nur einen Euro mehr, wenn der KV-Beitrag auf der Arbeitgeberseite gesenkt würde“, meint ÖGB-Expertin Julia Stroj. (C) Christopher Glanzl

Getarnte Lohnsenkungen

Besonders im Fall des Gesundheitswesens kann man gute Vergleiche ziehen. Obwohl der Sozialstaat auch vor 50 Jahren bereits relativ gut ausgebaut war, ist er es heute noch besser. Von 1.000 Neugeborenen starben 1970 noch 26 im ersten Lebensjahr. 2020 waren es nur mehr drei. Und konnte man damals mit einer Lebenserwartung von 70 Jahren rechnen, können aktuell geborene Kinder von 82 Jahren ausgehen. Das alles mitfinanziert durch Lohnnebenkosten. Dass das 13. und 14. Gehalt unter die Kategorie Lohnnebenkosten fällt, wie oft behauptet, stimmt so auch nicht. Handelt es sich dabei schließlich um durch Arbeitnehmer:innen erwirtschaftete Leistungen. „Bei ‚Lohnnebenkosten‘ wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld oder der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sind die geforderten Senkungen eigentlich nur schlecht getarnte Lohnsenkungen“, so Zuckerstätter.

Drei Fragen zum Thema

an Julia Stroj, Ökonomin und Referentin im Grundlagenbereich des ÖGB

Der Krankenversicherungsbeitrag macht vonseiten der Arbeitgeber mit 3,78 Prozent nur einen kleinen Teil aus. Weshalb ist er dennoch so wichtig?

Der größte Vorteil der öffentlichen Krankenversicherung ist, dass sie solidarisch und kraft Gesetzes ist. Das heißt, dass niemand aufgrund von gesundheitlichen Risiken ausgeschlossen wird und die Beiträge nach dem Einkommen – also den finanziellen Möglichkeiten – berechnet werden, nicht nach individuellen Kosten. Bei einer Senkung der Beiträge und geringeren finanziellen Mitteln würden all jene darunter leiden, die auf das öffentliche Gesundheitswesen vollständig angewiesen sind und sich keine Selbstbehalte oder Privatversicherungen leisten können.

Es gibt Behandlungen und Medikamente, die von den wenigsten Menschen bezahlt werden könnten, weil sie so teuer sind. Inwieweit hilft die Sozialversicherung?

Ja, es kommen immer mehr sehr teure Medikamente auf den Markt. Viele Therapien wären mit einem durchschnittlichen Einkommen nicht finanzierbar, aber retten Leben. Beispielsweise Medikamente zur Behandlung von Schwarzem Hautkrebs. Hier liegen die durchschnittlichen Kosten pro Jahr bei rund 124.000 Euro. Oder: Das Medikament Revlimid gegen bösartige Tumorerkrankungen des Knochenmarks kostet knapp 100.000 Euro im Jahr.

Was würde sich für Arbeitnehmer:innen ändern, wenn die Lohnnebenkosten gesenkt würden, wie es die WKO in regelmäßigen Abständen fordert?

Hängt natürlich davon ab, wo sie ansetzen. Aber bleiben wir beim Beispiel mit der Krankenversicherung. Keine einzige Arbeitnehmer:in hätte auch nur einen Euro mehr, wenn der KV-Beitrag auf der Arbeitgeberseite gesenkt würde. Gleichzeitig gäbe es ein ordentliches finanzielles Loch. Und entweder müsste man sparen oder Selbstbehalte einführen. Übrigens auch etwas, was die WKO regelmäßig fordert.

Über den/die Autor:in

Stefan Mayer

Stefan Mayer arbeitete viele Jahre in der Privatwirtschaft, ehe er mit Anfang 30 Geschichte und Politikwissenschaft zu studieren begann. Er schreibt für unterschiedliche Publikationen in den Bereichen Wirtschaft, Politik und Sport.

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