Was Beschäftigte im Handel wirklich brauchen

Schriftzug eines Leine Geschäfts in Wien. Symbolbild für Arbeitsbedigungen in Handelsunternehmen.
Von der Kika/Leiner-Pleite wollen andere Handelskonzerne profitieren. Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bleibt auf der Strecke. | © AdobeStock/Elmar Gubisch

Inhalt

  1. Seite 1 - „Brutaler Turbokapitalismus“
  2. Seite 2 - Gute Arbeitsbedingungen bleiben Mangelware
  3. Seite 3 - Traumjob? Freilich nicht für alle
  4. Auf einer Seite lesen >
Nach der Kika/Leiner-Pleite wittern Handelsunternehmen ihre Chance, dringend benötigte Beschäftigte zu bekommen. An den Arbeitsbedingungen selbst ändert sich derweil wenig.
Unter den Headlines zu Kika/Leiner unter René Benko wird noch viel dazu geschrieben werden, wie es zur Insolvenz kommen konnte und was alles falsch gelaufen ist. Papier ist geduldig. Aber hinter allen kolportiert 1.900 gekündigten Angestellten stehen 1.900 echte Menschen. Sie und ihre Familien haben sich auf die Arbeit beim Möbelhaus eingestellt. Die heutige Arbeitswelt verlangt es oftmals, das Privatleben rund um die Arbeitszeit aufzubauen. Kinder- und Elternbetreuungszeiten, Arztbesuche, Therapien… all das müssen 1.900 Beschäftigte und ihre Familien neu organisieren. Handelsunternehmen witterten ihre Chance, genau diese Menschen abzuwerben.

Die soziale Verantwortung der Handelsunternehmen

„Der Arbeitgeber hat eine soziale Verantwortung gegenüber den Beschäftigten, die hart für dieses Unternehmen gearbeitet haben. Bei einer Neustrukturierung muss auf die Bedürfnisse der Beschäftigten Rücksicht genommen werden“, erklärte Barbara Teiber, die GPA-Vorsitzende dazu. Vor allem Benkos Reaktion stößt ihr sauer auf. „Dass Benkos SIGNA-Holding von einem ‚sehr guten Investment‘ spricht, ist zynisch und entspricht brutalem Turbokapitalismus. Wieder mal sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Leidtragende von reinem Profitinteresse und schlechten Geschäftsentscheidungen.“

Barbara Teiber äußert sich im Gastkommentar zum Thema Wohnen.
Barbara Teiber, Vorsitzende der GPA, kritisiert den Turbokapitalismus der Signa-Holding. Soziale Verantwortung sieht anders aus. | © Edgar Ketzer

Für viele Unternehmen in der Handelsbranche war die Pleite hingegen ein Glücksfall. Sie formulierten es nur weniger direkt. „Die Branche ist in der Lage, die Arbeitssuchenden sofort unterzubringen“, ließ Rainer Will umgehend wissen. Er ist der Geschäftsführer des Handelsverbands. Inhaltlich stimmt die Aussage. Seit der Corona-Pandemie bestehe ein „breitflächiger Arbeitskräftemangel“, wie es in einer Aussendung heißt. Mehr als 20.000 offene Stellen gebe es in diesem Sektor. Was die Branche aber ausspart: Es gibt Gründe dafür. Die KV-Verhandlungen gestalteten sich im vergangenen Herbst schwierig, da sich die Arbeitgeber:innen zierten, mehr zu zahlen. Und an guten Arbeitsbedingungen hapert es im Handel oft.

Handelsunternehmen: Gehälter und Arbeitsbedingungen als Baustelle

Einige Forderungen fasste Teiber im März 2023 so zusammen: „Es gibt einen sehr großen Handlungsbedarf vonseiten der Arbeitgeber:innen, wenn es darum geht, attraktivere Arbeitsbedingungen im Handel zu schaffen. Insbesondere bei der Umsetzung von mehr Arbeitszeitqualität sind Arbeitgeber:innen gefordert. Etwa eine Fünftagewoche für alle und eine bessere Planbarkeit der Arbeitszeit. Auch bei den Gehältern besteht Luft nach oben.“ Wenn es dann auch noch an sozialer Verantwortung mangelt, wie die Kika/Leiner-Pleite zeigt, sind die Gründe für die offenen Stellen offensichtlich.

Eine Dame kontrolliert die Preise in einem Klamottengeschäft. Symbolbild für die KV-Verhandlungen im Handel.
Die Arbeitsbedingungen im Handel sind noch immer schwierig. | © Adobe Stock/oksix

Auf Anfrage von Arbeit&Wirtschaft, inwiefern die Pleite von Kika/Leiner ein Schlaglicht auf die Branche werfen, lässt Spar wissen: „Eine Insolvenz betrifft immer ein Unternehmen und nicht eine Branche. Eine Insolvenz eines Möbelhändlers betrifft uns im Lebensmittelhandel nicht.“ Das hielt das Unternehmen aber nicht ab, per Aussendung „allen betroffenen Mitarbeiter:innen ab sofort Jobs“ anzubieten. Unternehmen wie Hartlauer, Bauhaus, oder dm zogen nach und bemühten sich in den Presseaussendungen ebenfalls um die entlassenen Mitarbeiter:innen. Aber können die Ex-Kika/Leiner-Beschäftigten wirklich auf mehr soziale Verantwortung hoffen? Oder steckt viel mehr eine großangelegte PR-Aktion dahinter?

Wunsch und Wirklichkeit der Handelsunternehmen

Arbeit&Wirtschaft hat Spar und dm gefragt, was sie zu guten Arbeitgeber:innen machen würde. „Wir sind mehr als ein Arbeitgeber, denn wir verstehen uns als Wirtschaftsgemeinschaft und als Team. Und das macht einen großen Unterschied. Bei dm steht das ‚Wir‘ im Vordergrund. Ein ‚Wir‘, in das sich jede und jeder Einzelne einbringen kann – und soll“, erklärt der Drogeriemarkt auf Anfrage. Bei dm bekämen Menschen „die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln und über sich hinauszuwachsen. Unterstützt werden sie dabei mit Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, durch ein umfangreiches Gesundheitsangebot und zahlreiche fachliche sowie persönliche Weiterbildungsmöglichkeiten.“

Verbessern wolle das Unternehmen die Zustände für Beschäftigte „indem man weiter auf Kurs bleibt, den Mitarbeitenden zuhört und sie konsequent einbezieht. In vielen Bereichen setzen wir als dm neue Maßstäbe – unser Know-how und unsere Erfahrungen teilen wir gerne mit anderen Unternehmen. Die beste Lösung ist, sich gegenseitig zu inspirieren und gemeinsam sichtbare Verbesserungen einzuleiten.“

Auch Spar äußert sich. „Laut einer internen anonymen Befragung empfehlen 86 Prozent der Mitarbeiter:innen Spar als Arbeitgeber weiter. Das ist ein sehr hoher Wert, auf den wir stolz sind. Spar ist ein familiengeführtes Unternehmen, das menschenfreundlich agiert. Als großes Unternehmen bieten wir für jeden und jede den Arbeitsplatz, der passt. Zeitlich flexibel, viele Karrieremöglichkeiten und die entsprechenden Unterstützungen und Schulungen. Zusätzlich bietet Spar eine Menge an Benefits. Wenn man die eigenen Mitarbeiter:innen gut und fair behandelt, dann spricht sich das herum.“ Die Antworten klingen erstmal gut, doch was sagen Betriebsrät:innen dazu?

Was Betriebsrät:innen zu den Handelsunternehmen sagen

„Die Außendarstellung passt Großteils“, erklärt Sabine Eiblmaier. Sie ist im Zentralbetriebsrat bei Interspar. Der Traumjob sei es freilich nicht für alle, aber so sei das im Handel. „Spar und insbesondere Interspar, macht sehr viel, um es den Mitarbeiter:innen so gut wie möglich zu machen.“ Betriebliche Mitbestimmung werde zugelassen. Spar sei ein sicherer, fairer Arbeitsplatz und familienfreundlich, „so weit es in der Praxis umsetzbar“ sei.

Das erwähnte Stimmungsbild sei allerdings aus einer kleinen Umfrage und kaum repräsentativ. Eine neue werde gerade durchgeführt. Auf Anraten des Betriebsrats mit mehr Beschäftigten. „Wir jammern auf hohem Niveau. Man glaubt, alle halten sich immer an alle KV-Vorgaben. Wir machen das. Aber ich kenne kleine Geschäfte, da wissen die Beschäftigten gar nicht, dass es Zuschläge am Abend oder am Samstag gibt.“

Auch Josef Hager, Zentralbetriebsratsvorsitzender bei dm, äußert sich zur Außendarstellung seines Unternehmens. „Wir haben mit der Geschäftsleitung grundsätzlich ein Verhältnis auf Augenhöhe.“ So arbeite man gerade gemeinsam am Projekt „total compensation“, um herauszufinden, was Mitarbeiter:innen – über das Gehalt hinausgehend – in Zukunft bräuchten, um nicht nur zu kommen, sondern auch zu bleiben. dm preschte letztes Jahr auch vor und ermöglichte schon vor Abschluss der KV-Verhandlungen ein sattes Lohnplus, das sich aus Hagers Sicht wiederholen werde. „Es ist ein ehrliches Bemühen!“

Planbarkeit darf keine Theorie bleiben

An gewissen Stellen reibe es aber, auch bei dm und Spar: „Die Realität ist oft anders als die Theorie“, weiß Eiblmaier. „Manchmal ist es so, dass der Vorstand Dinge möchte, die in der Praxis schwer umsetzbar sind. Sie wollten vier Wochen im Vorhinein einen Dienstplan.“ Das wäre doppelt so viel Zeit, als das Gesetz vorsieht. Doch wegen enger Personalplanung und Ausfallzeiten sei es schon schwer genug, überhaupt nur den gesetzlichen Dienstplan einzuhalten.

Bei dm gibt es laut Hager Überlegungen, den Dienstplan digital zu gestalten. Die Beschäftigten sollen sich irgendwann selbst eintragen können, ohne wie Bittsteller zur Filialleitung gehen zu müssen.

Es seien die Rahmenbedingungen, die die Handelsbranche in ein stressiges Korsett zwängen. Zum Beispiel, dass Überstunden oft nicht ab der ersten Stunde voll bezahlt würden. „Natürlich könnten das Unternehmen freiwillig machen, das ist im Wettbewerb schwieriger“, spielt Eiblmaier den Ball an die Politik. Dazu kommen die Öffnungszeiten, die oft komplexe Schichtpläne und Überstunden erfordern. In der Industrie sei das leichter, da gebe es eine Woche Früh- und eine Woche Spätschicht. Letztlich ist es aber auch ein gesellschaftliches Problem, weiß Hager. Es wäre begrüßenswert, wenn die Erwartungshaltung nicht wäre, von 8 bis 21 Uhr ins Geschäft gehen zu können.

Handelsunternehmen sollten auf Betriebsrät:innen hören

Neben einem fairen Lohn wünschen sich die beiden Wertschätzung und eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch Planbarkeit der Arbeitszeiten. Gerade der Handel hinkt anderen Branchen hier hinterher. „Fairness bei Flexibilität“, fasst Eiblmaier die Forderungen in eine Formel zusammen. „Die Geschäftsführung muss die Grundvoraussetzungen schaffen“, meint Hager. Entsprechend intensiv laufen die KV-Verhandlungen im Handel derzeit ab.

Bei Verbesserungen haben Betriebsräte zwar eine tragende Rolle, doch ohne die Unternehmen und der Politik wird sich am Status Quo nichts ändern. Dabei wäre ein allgemeiner Kurswechsel im Handel besonders wichtig. Auch für jene 1.900 gekündigten Angestellten von Kika/Leiner, die dem Profit zum Opfer gefallen sind. Es wäre für sie das Mindeste.

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