Vermeintliche „No-go-Areas“ (Karl Mahrer, ÖVP) aufgrund ausländischer Krimineller, migrantische Großfamilien, die angeblich ein Luxusleben auf Kosten des Staates führen oder Fremde, die den Einheimischen die Jobs wegschnappen – öffentlich wird Migration vielfach als „Problem“ thematisiert. Eine jüngst von den Forschungsinstituten Wifo und Foresight im Auftrag der Stadt Wien publizierte Studie zeigt: Dieses Bild ist nicht nur verzerrt, sondern ohne Migration würde in Wien wenig bis gar nichts funktionieren.
Laut der Studie „Die wirtschaftliche Bedeutung der Zuwanderung für Wien“ leben gut die Hälfte der Personen im erwerbsfähigen Alter in erster oder zweiter Generation in Wien. Im Tourismus machen sie mehr als 70 Prozent der Beschäftigten aus, im Bauwesen mehr als die Hälfte. Auch der Gesundheitssektor ist auf sie angewiesen. Hier betrifft es vor allem den geringer qualifizierten Bereich: Meist reichen migrantische Assistentinnen einheimischen Ärzten das OP-Besteck. Unter den Hilfsarbeitskräfte haben sogar 84 Prozent eine Migrationsgeschichte.
Keine homogene Gruppe
„Man muss sich fragen: Welche Leistungen würden in dieser Stadt wegfallen, wenn es diese Leute nicht gäbe?“, so Peter Huber, Co-Autor der Studie und Senior Economist am Wifo, bei einer Pressekonferenz von „Diskurs. Das Wissenschaftsnetz“, einer Initiative zum Transfer von wissenschaftlicher Evidenz engagierter Wissenschafter:innen in die Öffentlichkeit. Wer würde das Abendessen servieren, Wohnungen bauen, Operationen vorbereiten oder Messen aufbauen?
Man muss sich fragen:
Welche Leistungen würden in dieser Stadt wegfallen,
wenn es diese Leute nicht gäbe?
Peter Huber, Senior Economist am Wifo
Huber warnt jedoch davor, Migrant:innen als eine homogene Gruppe zu betrachten. Zu ihnen würden die britische Professorin für Literaturwissenschaft ebenso gehören wie der serbischen Bauarbeiter und die deutsche Studentin. Insgesamt stellen Menschen mit Migrationshintergrund 43 Prozent der Erwerbstätigen in Wien, unter den Selbstständigen sind es 41 Prozent. Damit erwirtschaften Migrant:innen geschätzte 35 Prozent der Wiener Wirtschaftsleistung.
Auffällig ist, dass Menschen mit Migrationshintergrund am Arbeitsmarkt oftmals schlechter gestellt sind. Fast jede:r Fünfte arbeitet in einem Beruf, für den er oder sie überqualifiziert ist. Huber nennt sie „die typischen taxifahrenden Mediziner:innen“. Außerdem machen Migrant:innen laut Studie häufiger Diskriminierungserfahrungen und beziehen in zwölf Prozent der Fälle trotz gleicher Position ein niedrigeres Einkommen. Die Arbeitszufriedenheit fällt dementsprechend geringer aus.
Jedes dritte Unternehmen in Österreich sucht gerade händeringend Mitarbeiter:innen, so eine neue Umfrage. Pro-Tipp: Gute Arbeitsbedingungen sind ein wichtiger Schlüssel, um offene Stellen zu besetzen.
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Antidiskriminierung und Anwerbestrategien
Neben gezielten „Anwerbungsstrategien“ und einer schnelleren Anerkennung von Qualifikationen fordert Huber Maßnahmen gegen Diskriminierung. Klar ist: Nicht zuletzt aufgrund der geburtenstarken Jahrgänge, die sich demnächst in die Pension verabschieden, ist Wien auf Migration angewiesen. Und auch wenn syrische Großfamilien mit mehreren Tausend Euro Sozialhilfe pro Monat für den Boulevard und gewisse Parteien interessant sein mögen – „budgetär fällt das kaum ins Gewicht“, erklärt Huber. Sämtliche Studien zeigen: Langfristig zahlen Migrant:innen mehr ins Sozialsystem ein, als sie herausnehmen.
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