Moderner Wohnbau: Der Wille zur Vision

Illustration von einer Hand, die ein Haus mit der Aufschrift "Home leistbares Home" hält. Symbolbild für leistbaren Wohnraum.
Es ist möglich, sozial, leistbar und nachhaltig zu bauen - dafür muss aber der Wille da sein. | © Miriam Mone
Moderner Wohnbau muss herausfordernde Aufgaben lösen. Aber eine Wohnlandschaft, die den Anforderungen der Zukunft entsprechen soll, ist möglich – weil die Dimensionen sozial, leistbar und nachhaltig geradezu ineinandergreifen.
Wohnen ist ein absolutes Grundbedürfnis und daher mehr als nur ein Dach über dem Kopf – besonders in Zeiten wie diesen muss es leistbar sein. Leistbarer Wohnraum heißt immer, dass möglichst viele Menschen Zugang dazu haben, zu einem sozial gerechten Preis. „Es war immer die Formel, dass die Miete maximal ein Drittel des Haushaltseinkommens ausmachen soll, lieber ein Viertel“, weiß Gregor Puscher, Geschäftsführer des Wohnfonds Wien. Andreas Huss von der Gewerkschaft Bau-Holz skizziert aktuelle Problematiken: „Wir haben marktwirtschaftliche Kriterien, zu viel Nachfrage, zu wenig Angebot. In Österreich haben wir auch den geförderten Wohnungsmarkt liberalisiert, das ist jetzt ein Problem.“ Zusätzlich soll Wohnraum nicht nur vorhanden sein, sondern eine soziale Funktion haben, er muss leistbar sein und klarerweise nachhaltig sowie klimafit. Dafür braucht es die Grundfläche, Baustoffe, Visionen, wie Wohnlandschaften aussehen sollen, und einen passenden rechtlichen Rahmen. Die gute Nachricht ist: Ein klug geplanter und moderner Wohnraum – in Stadt und Land – erfüllt all diese Anforderungen.

Wohnraum: Endliches Gut

Am Anfang jeder Überlegung bei der Wohnraumplanung steht die Frage, wo und wie gebaut wird. „Grund und Boden sind ein heikles Thema. Dieses Gut ist endlich“, sagt Puscher. Und Huss ergänzt: „Man hat geförderten Wohnbau dem freien Markt überlassen. Wie wir bereits wissen, führt das immer zu Preisexplosionen, da spekuliert wird.“ Dieser Entwicklung müsse Einhalt geboten werden, und er verweist in diesem Zusammenhang auf die Baulandsicherung oder Vertragsraumordnung. Huss ist überzeugt, dass die Raumordnung von den Gemeinden an die Länder übertragen werden müsse. Es brauche ein „klares Bekenntnis, dass wir Grund und Boden für leistbares Wohnen reservieren“. Denn die Gemeinden stehen oft unter Druck, wenn sie Grünland in Bauland umwidmen sollen und dabei auch noch Flächen für den Wohnbau reservieren müssen.

Grund und Boden
sind ein heikles Thema.
Dieses Gut ist endlich.

Andreas Huss, Zentraler Bildungssekretär der Gewerkschaft Bau-Holz

Die Stadt Wien tut sich da leichter. Als Land und Gemeinde hat man die Lenkungsinstrumente in der eigenen Hand, und langfristige Planung im Wohnbau ist dabei hilfreich. So hat Wien bereits in den 1980er-Jahren einen Fonds für Bodenbevorratung geschaffen, wie Puscher ausführt: „Wir haben derzeit knapp drei Millionen Quadratmeter, die noch nicht in Entwicklung gegangen sind.“ Damit genug leistbarer Boden vorhanden ist, traf die Stadt Wien im Jahr 2018 eine weitere nachhaltige Entscheidung: Sie beschloss eine neue Bauordnung, die festlegt, dass für oberirdische Grundfläche in der Kategorie geförderter Wohnbau ein Quadratmeterpreis von 188 Euro brutto nicht überschritten werden darf. Das unterbindet Grundstücksspekulationen in einem großen Ausmaß. „Nur ein Drittel der Fläche wird dank dieser neuen Kategorie frei finanziert“, sagt Puscher, der aber auch weiß, dass „die Entwicklung von Immobilien sehr lukrativ ist“.

Regionen stärken

Ein weiterer wesentlicher Faktor im sozialen Wohnbau sind die Errichtungskosten. Das sei laut Huss „eine Gratwanderung zwischen sozial, leistbar und Qualität“. Null-Energie-Projekte wären teuer, Niedrig-Energie-Bauten hingegen zumeist ausreichend, um den Spagat zu schaffen. Er stellt zudem klar: „Der Preistreiber im sozialen Wohnbau ist nicht der Baustoff, sondern der Grundstückspreis.“ Zwar sind die aktuelle Inflation und das Zinsniveau nicht förderlich für günstiges Bauen, aber vieles, was vor ein paar Jahren noch gar nicht für die breite Anwendung existierte, gibt es mittlerweile auch in der Breite.

„Um die Zinsen in den Griff zu bekommen gibt es jedoch fertige Vorschläge wie die Wohnbauinvestitionsbank (WBIB), die den Bauträgern und Gemeinden billiges EU-Geld zur Verfügung stellen kann. Damit hätten wir eine stabile Zinssituation über Jahrzehnte hinweg.“ Amila Širbegović, Architektin und Stadtforscherin sowie bei der internationalen Bauausstellung (IBA) tätig und bei der Stadt Wien zuständig für strategische Projekte und Internationales, gibt dazu ein Beispiel: „In der Zwischenpräsentation im Rahmen der IBA 2022 gab es ‚Gamechanger‘-Projekte. Da wurde erstmals mit Geothermie gebaut. Mittlerweile ist das der Standard bzw. wird es im Zuge von Neubauprojekten umgesetzt.“

„Quartiersentwicklung mit Infrastruktur, Bildung, Arbeiten und Wohnen sowie hochqualitativen Freiräumen ist schon die halbe Miete. Das ist ökologisch und nachhaltig“, so Amila Širbegović. | © Markus Zahradnik

Ein maßgeblicher Unterschied ergibt sich bei der Errichtung allerdings zwischen Stadt und Land. Während in Ballungsräumen Infrastruktur wie Kanäle oder Breitbandinternet leichter bereitstehen, wäre das im ländlichen Raum teurer. Möchte man aber die Regionen stärken, müsste man diesen Weg gehen. Die Fachkräfte übrigens, die all diese Vorhaben umsetzen müssten, gibt es, und die Arbeit in der Branche sei zwar fordernd, aber mit Einstiegsgehältern etwa im Bau ab 2.500 Euro brutto attraktiv, so Bau-Holz Gewerkschafter Huss. Um die Arbeitnehmer:innen zu binden und für die neuen Anforderungen inklusive Digitalisierung weiterzubilden, werden umfangreiche Um- und Aufqualifizierungsmaßnahmen gesetzt, etwa in sogenannten Lehrbauhöfen.

Auf Dialog aufbauen

Die Klammer bilden die gesetzlichen Rahmenbedingungen und deren Ausgestaltung in Richtung sozialen Wohnbau sowie ein intensiver Dialog. Mit Blick auf Wien meint Puscher: „Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind vorhanden, die Planungsprozesse sind traditionell gut.“ Darüber hinaus betont er, dass neben dem Rechtlichen der offene Dialog mit den Stakeholdern in Wohnbauprojekten von hoher Bedeutung ist: „Sich gegenseitig zuzuhören fördert auch demokratische Prozesse.“

Dazu zwei Beispiele: Laut Širbegović dauert eine Quartiersentwicklung fünf Jahre und mehr – wohlgemerkt ohne Unterbrechungen. Diese können auch aus Einsprüchen von Anrainer:innen resultieren: „Anrainer:innen haben ein anderes Beeinspruchungsrecht als Eigentümer:innen. Es geht dabei um Ängste, etwa den Wertverlust des eigenen Grundstücks.“

Quartiersentwicklung mit Infrastruktur,
Bildung, Arbeiten und Wohnen
sowie hochqualitativen Freiräumen
ist schon die halbe Miete.

Amila Širbegović, Architektin und Stadtforscherin

Die Lösung für Širbegović ist der gute Umgang miteinander: „Wir müssen als Gesellschaft gemeinsam etwas entwickeln, nicht nur informieren. Es geht um Co-Creation.“ Die Stadt Wien hat darauf reagiert und einen im Wohnfonds angesiedelten Standardqualitätsbeirat eingerichtet. Es gibt bei Quartiersentwicklungen diverse Beteiligungsinstrumente. Diese ermöglichen Mitsprache im Rahmen der Projekte. Denn, so Puscher: „Über das Reden kommen die Leut’ zam. Das fördert den demokratischen Prozess und stärkt den Rechtsstaat.“

Beschleunigen mit Maß

Begrüßenswert, aber doch kritisch sieht Puscher mit Blick auf neue soziale Wohnbauprojekte die kürzlich seitens der Bundesregierung angekündigten beschleunigten UVP-Verfahren. Laut der neuen Regelung brauche es für größere Quartiere, so Puscher, entweder eine UVP-Prüfung oder einen Feststellungsbescheid, dass sie nicht UVP-pflichtig sind. Er ergänzt: „Bisher gab es den Schwellenwerte von 150.000 Quadratmetern Bruttogeschoßfläche oder 15 Hektar Boden. Wenn die überschritten wurden, musste man eine Städtebau-UVP machen. Mit dem neuen UVP-Verfahren wird eine umfangreiche Einzelfallprüfung ab 37.500 Quadratmetern notwendig.“

Er präzisiert: „Das ist wieder ein Verfahren, in dem es Einspruchsmöglichkeiten gibt. Inhaltlich können wir es bewältigen, aber am Ende gibt es die Möglichkeit, die Projekte zu verzögern.“ Er wähle das Wort „verzögern“ bewusst, denn man erledige die Arbeit ordentlich. So würden die Projekte dann am Ende auch umgesetzt. Rechtliche Sicherheit für alle Seiten ist demzufolge wichtig, um auch in Zukunft sinnvoll bauen zu können.

Leistbarer Spagat im Wohnbau

Wie eingangs erwähnt, ist die Leistbarkeit im sozialen Wohnbau entscheidend. Puscher mahnt: „Durch die Energiekosten sind wir da in einem Teufelskreis. Wir müssen vermehrt jene unterstützen, die leistbaren Wohnraum brauchen.“ Die Bundespolitik könnte mit Mietpreis- und Energiepreisbremse mehr tun. Die Errichter könnten mit schnellerem Bauen dazu beitragen, dass die Kosten geringer gehalten werden. Auch hier könnte die Regierung – siehe UVP-Novelle – helfen.

Die ganze Welt blickt nach Wien, um zu sehen, wie man oft erfolgreich versucht, den Spagat zwischen Qualität und Leistbarkeit zu schaffen. Soziologe Yuri Kazepov, Leiter der Forschungsplattform „The challenges of urban futures“ und Professor für Stadtsoziologie an der Universität Wien, weiß, warum Leistbarkeit bzw. Zugang zu leistbarem Wohnen so entscheidend ist: „In Wien wohnen nicht nur Arme in Gemeindebauten oder gefördertem Wohnraum. Das hat aus sozialer Sicht Vorteile, da sich Menschen aus unterschiedlichen Schichten begegnen, nicht so wie in anderen Ländern. In London geben beispielsweise mehr als 60 Prozent der Menschen mehr als 40 Prozent des Einkommens für das Wohnen aus. In Wien sind es 18 Prozent. Das spricht für eine gerechte Stadt.“ Und in weiterer Folge sichert dies den sozialen Frieden.

In Wien wohnen nicht nur Arme
in Gemeindebauten oder gefördertem
Wohnraum. Das hat aus sozialer
Sicht Vorteile und spricht für
eine gerechte Stadt. 

Yuri Kazepov, Soziologe an der Universität Wien

Sozial funktioniert

Die politische Kontinuität und Stabilität hilft enorm, zum Teil visionäre und weltweit beachtete soziale Wohnbauvorhaben umzusetzen. Das geht übrigens über die Parteigrenzen hinweg, auch wenn die Kontinuität in der Stadtregierung sehr hilfreich ist. „Sozialer Wohnbau ist ein ganz relevanter Bestandteil des sozialen Friedens. Der geförderte Wohnbau ist breit zugänglich, das führt kombiniert mit frei finanzierten Lösungen zu einer starken Durchmischung in den Bezirken“, erklärt dazu Puscher. In den Wiener Nobelbezirken Innere Stadt, Hietzing oder Döbling gibt es ebenfalls Gemeindebauten. Auf der Fläche des Sophienspitals gegenüber dem Westbahnhof entsteht geförderter Wohnbau – eine Toplage für eine Liegenschaft, dennoch gibt es sozialen Wohnbau. So geschieht soziale Durchmischung.

Aber auch der Austausch innerhalb der Quartiere bzw. Grätzl gehört für Kazepov dazu. Wohnen, das ist eben nicht nur das Dach überm Kopf zu einem akzeptablen Preis. Das sind Grünflächen, wo man sich begegnen kann, Dienstleistungen wie Cafés, Supermärkte oder medizinische Einrichtungen. Kazepov: „Das fördert die soziale Mischung und Interaktion im öffentlichen Raum. Diese Begegnungen tun der Bevölkerung sehr gut.“ Er verweist in diesem Zusammenhang auf das Beispiel Parks. In seiner italienischen Heimat gebe es welche, in den Peripherien von Großstädten, um die mache man einen Bogen. Österreich – insbesondere Wien – versuche hier einen anderen Weg. Diese Problematik, dass sich die Menschen mancherorts nicht begegnen können, gebe es weitgehend nicht. Širbegović sieht hierbei schon die Verbindung der verschiedenen Dimensionen: „Quartiersentwicklung mit Infrastruktur, Bildung, Arbeiten und Wohnen sowie hochqualitativen Freiräumen ist schon die halbe Miete. Das ist ökologisch und nachhaltig und schafft somit tatsächlich leistbares Leben.“

Fortschrittlicher Klimaschutz

Für klimafittes Bauen brauche es aber einen Bewusstseinswandel. Man habe früher, so Huss, grundverschwendend gebaut, etwa Einkaufszentren, ohne das Wohnen mitzudenken. Man könne bestehende Anlagen adaptieren, etwa Stockwerke dazubauen. Die erwähnten sozialen Räume wie Promenaden mit Bäumen, Parks und Grünflächen kühlen zudem ab. Der technologische Fortschritt hilft dabei, weiß Širbegović. Bauteilaktivierung, nachhaltigere Baumaterialien, Photovoltaik-Anlagen und weitere Innovationen werden bei neuen Projekten mitgeplant, bei älteren implementiert.

„Grund und Boden sind ein heikles Thema. Dieses Gut
ist endlich“, betont Gregor Puscher, Geschäftsführer
des Wohnfonds Wien. | © Markus Zahradnik

Puscher wiederum sieht die Fortschritte auch anderen Umständen geschuldet. Europaweite Vorgaben holen jene mit ins Boot, die vielleicht eher an Rendite denken als an Wohnraum: „Das Klimathema fordert alle. Die EU-Taxonomie ist ein ganz wesentlicher Punkt. Es geht darum, Nachhaltigkeitskriterien zu erfüllen, wofür es einen Kredit gebe. Das führe dazu, dass Entwickler, die mehr auf Rendite achten als auf das Soziale, ebenfalls für nachhaltige Maßnahmen zu begeistern sind. Damit gibt es in der gesamten Entwicklerszene sehr viel Zugang, sich mit Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen.“

Fallstricke im Wohnraum bewusst machen

Plant man zeitgemäß, ist sozialer und moderner Wohnbau also per se klimafit. Neben den rechtlichen Bedingungen gibt es aber auch einige Fallstricke, etwa wie man den Zugang regelt. Kazepov sagt dazu: „Wien hat neben drei, vier anderen Städten in Europa seit Jahren das größte Bevölkerungswachstum.“ Zudem gibt es einen starken Druck, viele Wohnungen zu bauen, damit Angebot und Nachfrage nicht zu weit auseinanderdriften und Wohnraum teurer wird. Natürlich spielen weitere rechtliche Themen eine Rolle. Das betrifft etwa eine Zweckwidmung der Wohnbauförderung, und die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern ist hierbei ebenfalls hinderlich.

Zudem gibt es auch noch viel Bestand, der saniert werden kann. „Es gibt einen wesentlichen Teil an Bestandsobjekten aus der Gründerzeit oder auch aus den 1950er- und 1960er-Jahren bis hinein in die 1980er- und 1990er-Jahre“, weiß Puscher. Sanierung ist also ebenfalls notwendig und dank des Fortschritts auch möglich. Kazepov nennt noch einen Punkt, der beachtenswert ist: „Es gibt auch das Thema ,Green Gentrification‘. Man baut die Grünflächen aus, und plötzlich kommen dann höhere soziale Klassen, weil es wieder schöner ist. Niedrigeinkommen müssen weichen. Es gibt dann keinen Bäcker, sondern eine Boutique du Pain.“

Mutig in die Zukunft

Kluge Wohnbaupolitik löst diese Fallstricke auf, aber die geschilderten Umstände gelten nicht nur für die Großstadt. Wenn der Wille da ist, ist es möglich, sozial, leistbar und nachhaltig zu bauen. Der Zugang zu Wohnraum spiele letztlich auch demokratiepolitisch eine Rolle. Wer zu seiner unmittelbaren Wohnumgebung einen Bezug habe, der gestalte auch mit. Dazu braucht es Entscheidungsträger:innen, die mutig sind, zuhören und Lebensraum gemeinsam gestalten können und wollen. Die gute Nachricht ist: Es geht.

Über den/die Autor:in

Georg Sohler

Freier Journalist im Bereich (Sport-)Journalismus, (Corporate) Blogging, Editing, PR

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