Fünf Miet-Mythen und die passenden Wahrheiten dazu

Ein Umzugs-Lkw vor einer Wohnung. Symbolbild für die Miet-Mythen in Österreich.
Die Mieten machen es immer schwerer, die Wohnung zu halten. | © Adobestock/Engel73
In Österreich spielt der Wohnungsmarkt verrückt. Ein Blick auf fünf Miet-Mythen, um die Debatte zu versachlichen.
Mieten sind in ganz Europa zu einem Politikum geworden, nicht nur in Österreich. Das ist kein neues Thema, sondern liegt daran, dass die Wohnkosten deutlich schneller steigen als die Löhne. Zwischen den Jahren 2008 und 2020 stiegen die Bruttolöhne um 32 Prozent. Der durchschnittliche Hauptmietzins im privaten Segment aber um 64 Prozent. Die enormen Preis- und Mietsteigerungen seit dem Frühjahr 2022 (bei gleichzeitigem Reallohnverlust) sind in dieser Statistik noch dabei noch gar nicht berücksichtigt. Diese Schere hat dazu geführt, dass sich einige Miet-Mythen entwickelt haben.

Miet-Mythen auf Österreichs Wohnungsmarkt

Diese Entwicklung gibt es überall und die Regierungen schreiten ein. Das jüngste Beispiel ist Portugal. Dort verabschiedete die regierende Partido Socialista unter António Costa ein Leerstandsverbot und beschloss, dass Mieten jährlich um maximal zwei Prozent erhöht werden dürfen. In Spanien gab es ähnliche Beschlüsse bereits zu Jahresbeginn.

Österreich hat sich für einen gänzlich anderen Weg entschieden. Die Koalition beschloss die „Wohnkostenhilfe“. Die bedeutet, dass die Mieten zwar weiter steigen dürfen, der Staat jedoch vorerst die Mehrkosten übernimmt. Die Bürger:innen bekommen das Geld, um es direkt an die Vermieter:innen zu überweisen. Überspitzt formuliert ist es eine Subvention für Immobilienbesitzer:innen.

Monika Köppl-Turyna, Direktorin beim Wirtschaftsforschungsinstitut EcoAustria, kommentierte diese Maßnahme so: „Interessanterweise wirkt eine Umverteilung zugunsten reicheren Personen tatsächlich deflationär, weil diejenigen mit höheren Einkommen mehr sparen und weniger konsumieren (anteilsmäßig).“ Diese Einschätzung ist tatsächlich interessant. Ebenfalls interessant ist der Zustand des österreichischen Wohnungsmarktes, den die folgenden Miet-Mythen genauer erklären.

Altbauten in Wien. Symbolbild für die Miet-Mythen in Österreich.
Die Mieten steigen und die Regierung subventioniert die Vermieter:innen. | © Adobestock/Ralf Gosch

Miet-Mythos 1: Dann zieh doch aufs Land

Es ist der erste Satz, den viele zu hören bekommen, die sich über zu hohe Mieten beschweren. Der Satz lässt erstens völlig außer Acht, dass es sich lohnt, für bessere Bedingungen vor Ort zu kämpfen und zweitens, dass die Entscheidung zwischen Stadt und Land mehr ist als eine Kostenfrage. Drittens explodieren auch die Kosten auf dem Land, weil auch die Speckgürtel preislich enorm angezogen haben.

Und viertens ist angemessenes Wohnen ein Menschenrecht. Dabei gibt es für „angemessen“ sieben Kriterien:

  • gesetzlicher Schutz der Unterkunft (zum Beispiel durch einen Mietvertrag)
  • Verfügbarkeit von Diensten (unter anderem Trinkwasser, Energie zum Kochen, Heizen und Beleuchten)
  • Bezahlbarkeit des Wohnraums
  • Bewohnbarkeit der Räume (unter anderem Schutz vor Kälte, Hitze, Regen, Wind)
  • diskriminierungsfreier Zugang zu Wohnraum
  • geeigneter Standort (zum Beispiel Nähe zu Gesundheitsdiensten, Schulen usw.)
  • kulturelle Angemessenheit

Die Vereinten Nationen begründen das Recht auf Wohnen damit, dass es die Grundlage für anderen Menschenrechte bildet. Keine angemessene Wohnung zu haben gefährde das beispielsweise das Recht auf Teilhabe, das Recht auf Familie oder das Recht auf Gesundheit. „Einfach aufs Land ziehen“ ist ein sehr privilegierter Ratschlag, den Suchtkranke, Wohnungslose, ältere Menschen, Menschen, die staatliche Grundsicherung beziehen, Menschen mit Behinderungen oder Menschen mit Rassismuserfahrungen nicht so einfach annehmen können. Doch sie sind es, die besonders von der aktuellen Inflation betroffen sind.

Miet-Mythos 2: Der Zuschuss-Dschungel

Um zu erkennen, dass sich auf Österreichs Wohnungsmarkt eine soziale Katastrophe zusammenbraut, reicht ein Blick auf den Flickenteppich der Zuschüsse, Beihilfen und Unterstützungen, die allesamt das Problem der zu hohen Mieten nicht lösen.

  • Wohnkostenbeihilfe: Ein Topf mit 225 Millionen, der aufgrund der steigenden Mieten gefüllt wurde. Rund eine Million Haushalte sind bezugsberechtigt, was 225 Euro pro Haushalt bedeutet. Die exakte Ausgestaltung ist aber den Ländern überlassen.
  • Wohn- und Heizkostenzuschuss: Bereits im Herbst 2022 beschloss die Regierung dieses Zweckzuschuss in Höhe von 450 Millionen Euro.
  • Wohnbeihilfe: Eine Leistung des Sozialstaates, die Menschen mit geringem Einkommen unterstützt, damit sie sich ihre Miete leisten können. Auch diese Zahlung ist Ländersache und deswegen unterschiedlich ausgestaltet.
  • Wohnschirm: Ein Instrument, dass der Sozialstaat (zumindest in den Jahren 2022 und 2023) nutzt, falls sich Menschen plötzlich die Wohnung nicht mehr leisten können (Arbeitsplatzverlust, alleinerziehend, Pension…). Ursprünglich 24 Millionen Euro standen für die Abdeckung von Mietzinsrückständen und Gerichtskosten bereit. Die Regierung musste das Budget aber schnell auf 60 Millionen Euro aufstocken.
  • Sozialhilfe: Hier gibt es Zusatzleistungen, um die Wohnkosten zu decken.

Bei all diesen Hilfen, Töpfen, Schirmen und Unterstützungen steht der Kostenersatz im Vordergrund. Es geht nicht darum, dauerhaft Mieten oder Energiepreise zu senken, sondern um die Umverteilung nach oben.

Miet-Mythos 3: Wertsicherungen

Österreich befindet sich in einer Miet-Preis-Spirale. Die Inflation ist hoch, weswegen Vermieter:innen die Miete erhöhen, was wiederum die Preissteigerung anheizt. Hintergrund sind verschiedene Maßnahmen der „Wertsicherung“, wobei der Begriff irreführend ist. Denn es geht nicht um den Wert der Wohnung – der ohnehin steigt – sondern um den Wert der Miete.

  • Indexmieten sind Österreich weit verbreitet. Steigen die Verbraucherpreise über einen bestimmten Wert, dürfen Vermieter:innen auch die Miete erhöhen. Wohlgemerkt: Sie „dürfen“, sie müssen aber nicht. Beim Abschluss eines solchen Mietvertrags gibt es zwei Dinge zu beachten. Erstens sollten Mieter:inen kontrollieren, an welchen Preisindex die Miete gekoppelt ist. Es gibt auch Mietverträge, in denen der Baukostenindex angegeben ist – das ist nicht zulässig. Und zweitens sind im Mietvertrag zwei Zahlen festgelegt – die Schwelle, ab der eine Mieterhöhung erlaubt ist (bspw. drei Prozent Inflation) und der Faktor, um den die Miete dann steigt. Beide Zahlen können verhandelt werden.
  • Gedeckelte Mieten für Wohnungen, die vor dem Jahr 1945 erbaut wurden, (der sogenannte Richtwertmietzins) steigen alle zwei Jahre. Die Regierung setzte diese Erhöhung im Jahr 2021 allerdings aus, weswegen sie nun nachgeholt wird, wodurch es zu einer doppelten Anpassung kommt.
  • Kategoriemieten gibt es in Mietverträgen, die zwischen den Jahren 1982 und 1994 abgeschlossen wurden. Der Preis orientiert sich an der Ausstattungskategorie der Wohnung. Allerdings gibt es hier sehr viele Zuschläge und Sonderregelungen. Die Miete wird per Gesetz immer dann angepasst, wenn die Inflation über fünf Prozent liegt. Im Jahr 2022 kam es deswegen zu drei Anhebungen um insgesamt 17,5 Prozent.

In allen drei Bereichen hätte die Regierung eingreifen können, tat es aber nicht. Dazu kommt, dass es einen Werterhalt zwar für die Mieten gibt, nicht aber für die hinterlegte Kaution. Diese muss nicht in Höhe der Inflation an Wert gewinnen.

Miet-Mythos 4: Angebot und Nachfrage

Auf dem Mietmarkt gilt das betriebswirtschaftliche Prinzip von Angebot und Nachfrage nur bedingt. Nur, weil mehr Wohnraum geschaffen wird, sinken die Mieten noch lange nicht. Dafür gibt es einige Gründe. Einer davon ist der Leerstand. Anders als in Portugal oder Spanien ist in Österreich dessen genaue Höhe aber unbekannt. Laut einer Erhebung der Stadtregierung steht in Innsbruck etwa jede zehnte Wohnung leer. Die Studie „Wohnbauboom in Wien 2018 bis 2021“ kommt zu dem Schluss, dass 15 bis 20 Prozent aller neu gebauten Wohnungen nicht bewohnt sind. Die Investor:innen verdienen mit der Wertsteigerung schlicht mehr Geld als durch die Vermietung. Der zweite Grund ist, dass am Bedarf vorbeigebaut wird. Luxuswohnungen stehen in Hülle und Fülle zur Verfügung, während Familien, Singles und einkommensschwache Menschen in den Planungen der Immobilieninvestor:innen kaum vorkommen.

Miet-Mythos 5: Zustand der Wohnung

Falls jetzt jemand Lust bekommen hat umzuziehen: Das ist einfacher als man denkt. Denn beim Auszug darf die Wohnung durchaus Abnutzungserscheinungen haben. Wer auszieht, muss weder Bohrlöcher stopfen, die vom Anbringen von Schränken oder Bildern kommen, noch die Wände frisch ausmalen. Das gehört zur normalen Abnutzung, für die Menschen Miete zahlen. Auch leicht defekte Tapeten oder Kratzer in der Badewanne gehören dazu. Steht im Mietvertrag die Klausel, dass die Wohnung im gleichen Zustand zurückgegeben werden muss, in dem sie übernommen wurde, ist die Klausel schlichtweg ungültig.

Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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