„Städte können Krise“

„Unabhängig vom Thema und der Komplexität der Situation hat sich die rechtzeitige Einbindung aller kommunalen Vertreter:innen bei großen bundesweiten Entscheidungen immer als positiv herausgestellt“, betont Thomas Weninger.
(C) Markus Zahradnik
Erfolgsfaktor Schulterschluss: Dr. Thomas Weninger, Generalsekretär des Österreichischen Städtebunds analysiert, mit welchen Strategien unsere Städte auf die multiplen Krisen reagieren können.

Hohe Mieten, Klimawandel, Mobilität und Demografie: Städte stehen herausfordernde Zeiten bevor. Umso wichtiger ist es, dass alle kommunalen Vertreter:innen bei bundesweiten Entscheidungen rechtzeitig ins Boot geholt werden. Im Interview schildert Städtebund-Generalsekretär Thomas Weninger, was Städte brauchen, um die komplexen Herausforderungen gut auszubalancieren.

Arbeit&Wirtschaft: Vor welchen Herausforderungen stehen die Städte in Österreich aktuell?

Thomas Weninger: Die größten Herausforderungen sind aktuell der Klimawandel und die damit verbundene Transformation, die Demografie inklusive des Themas Arbeitskräftemangel, die Mobilität, Energie und schlussendlich der Finanzausgleich, denn am Schluss geht es immer um die Finanzierung.

Greifen diese Herausforderungen nicht stark ineinander, speziell beim Thema Transformation und Klimawandel?

Ja, und alle Maßnahmen, die damit zusammenhängen, zeigen ein breites Spektrum an Betätigungsfeldern. Der soeben veröffentlichte IPCC Status Report hat wieder gezeigt, dass es mehr als an der Zeit ist, zu handeln. Denn wir haben zwei Szenarien: Das eine Szenario ist, wir tun nichts, und alles geht den Bach hinunter – oder wir handeln. Da sind gerade die Städte gefordert. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den aktuellen Club-of-Rome-Bericht „Earth for All“.

Eine Stadt alleine, für sich, wird den Klimawandel nicht aufhalten und seine Folgen auf ökologischer, wirtschaftlicher und sozialer
Ebene stemmen.

Das ist gerade der Mehrwert des Städtebundes. Wir sind sozusagen eine Plattform für den Austausch, des Voneinander-Lernens. Man muss das Rad nicht immer neu erfinden, mit all den Schwierigkeiten der Rahmenbedingungen, die es gibt. Das betrifft natürlich auch die Antworten auf die Folgen des Klimawandels. Denn ja, dass die ökologischen Klimafragen immer einen großen sozialen Aspekt haben, wird oftmals in den Hintergrund gedrängt. Manche Klimamaßnahmen kann ich mir leisten, wenn ich ein entsprechendes Einkommen habe, während der Großteil der Menschen aktuell vor den Herausforderungen der Teuerungen steht.

Stichwort Arbeitsmarkt: Wie gehen die Städte auf kommunaler Ebene damit um?

Da kommen mehrere Aspekte zusammen. Am Equal Pay Day und noch deutlicher am Equal Pension Day sehen wir, wie groß die Einkommensschere zwischen Männern und Frauen nicht nur im aktiven Erwerbsleben ist und dass vor allem Frauen von Altersarmut betroffen sind.

Zusätzlich haben wir eine demografische Entwicklung, in der die Generation der Babyboomer:innen vermehrt in den Ruhestand übertritt. Wie Unternehmen sucht mittlerweile auch die öffentliche Hand händeringend nach Arbeitskräften. Ganz pragmatisch gesehen schwingt in allen Bereichen des städtischen Lebens beim Thema Personal natürlich auch die Frage der Finanzierung mit. Denn die Personalfrage betrifft die Bereiche Pflege und Gesundheit sowie den Bildungsbereich, beginnend bei der Elementarpädagogik.

Was bedeutet das konkret?

Nehmen wir das Beispiel Kinderbetreuung. Seit zehn Jahren und länger sprechen wir über den Ausbau der Kinderbetreuung, also der Elementarpädagogik, und es tut sich de facto nichts. Jetzt gibt es wieder von drei Bundesländern, der Steiermark, Kärnten und Niederösterreich, gute Ansätze in Hinblick auf eine Qualitätssteigerung, eine Verringerung der Gruppengrößen und eine Verlängerung der Öffnungszeiten. Übersetzt heißt das, es werden zusätzlich rund 1.000 Mitarbeiter:innen gebraucht. Dem steht gegenüber, dass bereits jetzt schon Mitgliedsstädte zurückmelden, dass sie tageweise Gruppen schließen müssen, da krankheitsbedingt kein Personal vor Ort ist. Das ist eine große Herausforderung. Und manchmal hat man den Eindruck, man gibt die falschen Antworten auf nicht gestellte Fragen.

Inwiefern?

Etwa beim Thema Klimawandel und Verkehr. Statt Einzelmaßnahmen zu entwickeln, wäre der richtige Ansatz, größeren Wert auf Verkehr und Mobilität als Gesamtsystem zu legen. Daher haben wir als Städtebund begonnen, den Fokus etwa auf den Zugang zu „Mobilität als Service“, also die Schnittstellenthematik zwischen Zu-Fuß-Gehen, Radfahren und Nutzung des öffentlichen Verkehrs, zu richten.

Gleiches betrifft die Frage der Energieeffizienz, an der wir uns als Städte lange versucht haben vorbeizuschwindeln. Das hatte mit den Herausforderungen zu tun, die energieeffizienzsteigernde Maßnahmen im Bereich der Gebäudesanierung bei einem hohen Altbaubestand, etwa an Gründerzeithäusern, mit sich bringen. Dabei ging es speziell um den Einsatz der richtigen Dämmstoffe in Hinblick auf Brandschutzfragen, ihre Entsorgung und aktuell um die Errichtung von Fotovoltaikanlagen. Und letztendlich sind wir wieder bei der Frage des Arbeitsmarkts und der Finanzierung.

Wie gehen die Städte mit den soeben angeführten Herausforderungen in den unterschiedlichen Bereichen des städtischen Lebens um?

Städte können Krise, wie das bisherige 21. Jahrhundert zeigt – Finanz- und Wirtschaftskrise, Flüchtlingskrise, Pandemie und jetzt Energie- und Teuerungskrise. Wir sind de facto in einem permanenten Krisenmodus, und wie uns Umfragen zeigen, genießen die Kommunen – die kommunalen Verwaltungen, Bürgermeister:innen – dennoch höchstes Vertrauen.

Worauf basiert dieses Vertrauen?

Der Erfolgsfaktor ist der Schulterschuss. Auf kommunaler Ebene wird nicht groß geredet. Man sieht sich in der Verantwortung. Bürgermeister:innen aller politischen Fraktionen sind deshalb erfolgreich, weil sie Lösungen im Konsens mit allen Fraktionen vor Ort finden. Und speziell die Krisensituationen des vergangenen Jahrzehnts haben auf operativer Ebene bewirkt, dass sich in den regelmäßigen Abstimmungsrunden ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen den Ländern sowie dem Städtebund und Gemeindebund herausgebildet hat. Wir haben etwa alle gemeinsam gelernt, damit umzugehen, dass ein Pressetext noch keine Verordnung ist.

Denn unabhängig von der Einwohner:innenzahl und der Komplexität der Themen stehen wir alle vor den gleichen Herausforderungen, etwa: Wie organisiere ich die kommunale Daseinsvorsorge, wie Wasserversorgung, Abwasser- und Kanalsysteme, Müllabfuhr und soziale Einrichtungen, wie sichere ich Netzinfrastrukturen, wie gewährleiste ich auch in Krisenzeiten einen Betrieb 24 Stunden und 7 Tage die Woche, und wie kann ich dieses System angesichts gesellschaftlicher und technologischer Entwicklungen ausbauen?

Natürlich leben wir nicht vom Vergleich, um Bruno Kreisky zu zitieren, aber hin und wieder woanders hinzuschauen, sich zu fragen, wie machen das andere, schadet nicht.

Die Stadt ist jedoch mehr, sie hat eine gesellschaftliche Funktion. Gleichzeitig geht, wie Sie erwähnt haben, die Einkommensschere immer weiter auseinander. Was gibt es für Modelle, um sozial leistbaren Wohnraum in österreichischen Städten sicherzustellen und zukünftig schaffen zu können?

Zwei Eingangsbemerkungen dazu: Zuerst, Mietrecht ist Bundessache, da sind wir als Städte nicht mit an Bord. Die Diskussion um ein neues Mietrecht gibt es ja schon ein paar Jahre, um nicht zu sagen Jahrzehnte, und eine Umsetzung steht, soviel ich weiß, auch im aktuellen Regierungsprogramm. Ein zweiter Gedanke dazu: Die Immobilienpreise sind ja nicht nur in Österreich, sondern europaweit sehr stark gestiegen, da die Finanzmärkte so sind, wie sie sind, und sich so entwickelt haben, wie sie sich entwickelt haben. Der frühere Münchner Bürgermeister Christian Ude prägte daher den Begriff des „Betongolds“.

Insofern ist aus meiner Sicht heute auch die Frage nach dem Marktversagen zu stellen, ohne dass wir als Städte aktuell wirklich viel eingreifen können. Die einzigen Möglichkeiten, die Städte in Österreich haben, ist bauen, bauen, bauen. Über kommunalen und genossenschaftlichen Wohnbau können Städte unter entsprechenden Rahmenbedingungen leistbaren Wohnraum zur Verfügung stellen.

Das ist gerade der Mehrwert des Städtebundes.
Wir sind sozusagen eine Plattform für den
Austausch, des Voneinander-Lernens. 

Thomas Weninger

Wie ist der Status?

In den Städten und größeren Gemeinden haben wir einen Bestand an eigenen Wohnungen und somit einen gewissen Lenkungseffekt. Ebenso schauen wir gemeinsam mit Genossenschaften, dass über Bodenpolitik entsprechend günstigere Grundstücke zur Verfügung gestellt werden. Denn die Grundstückspreise sind durch die Decke gegangen, und da haben wir auf kommunaler Ebene nur beschränkte
Möglichkeiten.

Bei „bauen, bauen, bauen“ kommt natürlich gleich das Argument der Zersiedelung und Versiegelung. Wie agieren hier die Städte, wenn gleichzeitig die Bevölkerung wächst?

Dabei muss man wissen, dass die Struktur der österreichischen Gemeinden – mit Ausnahme der Metropolregion Wien – eine sehr kleinteilige ist und wir als Republik den Ruf als Land mit hohem Flächenfraß haben. Da eine Stadt immer die Gestaltung von Raum ist, hat der Städtebund bereits in den Nullerjahren im Rahmen der Raumordnungskonferenz diverse Initiativen angeregt. Eine Initiative basiert auf der Fragestellung: Was tun mit den Ortskernen und den damit verbundenen stadtregionalen Verkehrsmodellen? Wodurch sich wiederum der Kreis zur Mobilität schließt.

Wie schließen Sie diesen Kreis?

Einerseits müssen die Innenstädte sozialökologisch weiterentwickelt und wiederbelebt werden. Da es vielfach leer stehende Bausubstanz gibt, die modernisiert, adaptiert und wieder zugänglich gemacht wird, stoßen die vielen Projekte zur Ortsker nund Innenstadtbelebung auf fruchtbaren Boden, sowohl im urbanen wie im kleinstädtischen Bereich. Die Bürgermeister:innen sind hier vielfach Mediator:innen. Sie bringen jene, denen die Gebäude gehören, Unternehmen und auch Bewohner:innen zusammen.

Parallel muss der stadtregionale Verkehr im Sinne des öffentlichen Verkehrs und alternativer Antriebe ausgebaut werden.

Erfolgsfaktor Schulterschluss: Trotz permanentem Krisenmodus genießen die Kommunen höchstes Vertrauen, da auf kommunaler Ebene nicht viel geredet, sondern konsensorientiert gehandelt werde.

Können so junge Menschen aus den unterschiedlichen österreichischen Regionen wieder an ihre Heimatgemeinden gebunden werden?

Wenn wir uns die Ergebnisse der von uns in Auftrag gegebenen Umfrage im Rahmen des Städtebarometers ansehen, so ist die Zukunft urban und weiblich. Zugespitzt könnte man sagen, die Frauen gehen in die Städte und die Männer bleiben in den Dörfern zurück. Denn es sind vor allem Frauen, die aus kleinen ländlichen Gemeinden in die Städte abwandern. Das hat zwei Gründe: die Bildungsmöglichkeiten und daran anschließend die Jobmöglichkeiten. Zusätzlich spielen natürlich auch gesellschaftspolitische Themen eine wesentliche Rolle für diese Entwicklung, so etwa die Verfügbarkeit von Kinderbetreuungseinrichtungen sowie ein attraktives Mobilitätsangebot. Und hier kommen wieder die Themen verfügbare Infrastruktur und Mobilitätsangebot ins Spiel.

Was brauchen die Städte, um zukünftig die Komplexität aus Klimawandel, demografischer Entwicklung und sozial ausgewogenen Strukturen gut auszubalancieren?

Ich beginne mit einem organisatorischen Aspekt: Unabhängig vom Thema und der Komplexität der Situation hat sich die rechtzeitige Einbindung aller kommunalen Vertreter:innen bei großen bundesweiten Entscheidungen immer als positiv herausgestellt. Es braucht sich niemand vor uns zu fürchten. Unsere Kolleg:innen, natürlich mit unterschiedlichen Zugängen aufgrund des politischen Spektrums, kommen aus der Praxis und sind Pragmatiker:innen. Sie sind es, die die Dinge vor Ort umsetzen. Jedoch Beschlüsse auf Bundesebene zu fassen, die wir umsetzen und bezahlen sollen, und uns quasi ein Taschengeld mitzugeben, das stößt an die Leistungsgrenzen der Städte und Gemeinden.

Was heißt das für die Wohnungspolitik?

Viel wird jetzt von einer Spaltung gesprochen und vieles im medialen Diskurs als Spaltung zwischen politischen Fraktionen dargestellt. Aber die Spaltung ist vor allem auch eine zwischen Arm und Reich, und diese schlägt sich in den Städten nieder. In Österreich ist das noch nicht so stark spürbar, da die städtische Politik es bisher geschafft hat, Entwicklungen wie Gentrifizierung und Ghettobildungen hintanzuhalten.

Dennoch wären die Städte von Bundesebene im Bereich Raumordnung, Bodensparen und Bodenpolitik entsprechend zu unterstützen, damit ihre kommunale Selbstverwaltung auch erhalten bleibt – ganz im Einklang mit der von Österreich schon in den 1980er-Jahren unterzeichneten Charta der kommunalen Selbstverwaltung des Europarats.

Was braucht es, um gegenzusteuern?

Wir brauchen einerseits eine Repolitisierung der Politik, denn Politik ist dazu da, das gesellschaftliche Miteinander zu regulieren, und andererseits die finanziellen Möglichkeiten für Handlungsspielräume. Insofern ist es wichtig, neben dem demografischen Wandel und Personalmangel auch auf die Einkommen der Bewohner:innen zu schauen, also dass die Menschen ein Einkommen haben, mit dem sie auch auskommen. Das gilt gleichermaßen für das aktive Berufsleben wie auch für Menschen in der Pension. Denn etwa Altersarmut bekommen Städte und Gemeinden direkt zu spüren, wenn, wie aktuell etwa aufgrund der hohen Preise, ein Energiekostenzuschuss benötigt wird. Es sind also sehr viele Stränge gleichzeitig, die Städte bespielen. Wir kämpfen täglich dafür.

Danke für das Gespräch!

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