Interview: Sozialpartnerschaft als stabilisierender Faktor

Inhalt

  1. Seite 1 - Wirtschaftsstandort Österreich aus ArbeitnehmerInnensicht
  2. Seite 2 - Das Jammern über den teuren Sozialstaat
  3. Seite 3 - Investitionen in soziale Dienstleistungen
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Wie sinnvoll sind Wirtschafts-Rankings? Wie besteht der österreichische Wirtschaftsstandort im internationalen Vergleich und welche Rolle spielen ArbeitnehmerInnen? Robert Stehrer, Direktor des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche, im Interview.

„Es geht bei solchen Rankings um den Kontext. Während der Krise hat sich jedes Land anders verhalten, der Rückgang Österreichs in den Rankings erklärt sich durch Maßnahmen wie höhere Staatsausgaben, um Beschäftigung zu stabilisieren, und nicht durch plötzliche strukturelle Verschlechterungen.“ Foto (C) Michael Mazohl

Für wie sinnvoll halten Sie solche Rankings?

Ich finde Rankings gut, weil vergleichbare Daten erstellt werden über ein großes Set an Ländern, die im Wettbewerb stehen oder über Produktionsnetzwerke verknüpft sind. Das auf einen Indikator oder eine Platzierung herunterzubrechen ist für die Öffentlichkeit spannend. Der GCI hat eine Skala von 0 bis 100 – Österreich lag am 22. Platz bei 76,3, Luxemburg am 19. Platz mit 76,6 Punkten. Wäre ein Indikator ein wenig höher gerankt, wären wir weiter vorne. Das Interessante und von wirtschaftspolitischer Wichtigkeit ist daher, sich die einzelnen Indikatoren und deren Dynamik im Vergleich zu anderen Ländern anzusehen.

Wie erklärt sich, dass nach der Finanzkrise 2008 der österreichische Wirtschaftsstandort als „abgesandelt“ bezeichnet wurde?

Es geht bei solchen Rankings um den Kontext. Während der Krise hat sich jedes Land anders verhalten, der Rückgang Österreichs in den Rankings erklärt sich durch Maßnahmen wie höhere Staatsausgaben, um Beschäftigung zu stabilisieren, und nicht durch plötzliche strukturelle Verschlechterungen.

Das große Jammern ist so nicht gerechtfertigt.

Das große Jammern ist daher so nicht gerechtfertigt. So ein Konjunktur­effekt, herausgerechnet, treibt ein Land wie Österreich nicht nach unten. Österreich steht insgesamt gut da, was ja auch in aktuellen Bewertungen so gesehen wird.

Die Rankings beruhen vielfach auf Faktoren wie dem BIP oder Managerbefragungen. Sollten nicht auch stärker ökologische und soziale Indikatoren einfließen?

Derartige Rankings sind nicht unabhängig von Interessenlagen und Zielgruppen. Existierende Wettbewerbs- oder Standort-Rankings beruhen auf vielen Indikatoren. Das spiegelt wider, wie schwer es ist, die „Wettbewerbsfähigkeit“ eines Landes zu messen.

Andere Rankings, etwa zur Wohlfahrt, beziehen auch ökologische Ziele, Verteilungsmechanismen oder Stabilität von Vermögen mit ein. So hat das World Economic Forum auch einen Inclusive Development Index (IDI) entwickelt, in dem sich auch ökologische und soziale Ziele im Ranking finden. Da ist Österreich auf Platz 10 von 74 untersuchten Ländern, schneidet also besser ab als im reinen Wettbewerbs-Ranking. Das ist nicht verwunderlich, weil die Lebensqualität in Österreich sehr hoch ist.

Wie kann man „softe“ Faktoren bewerten?

Bei diesen Faktoren ist es naturgemäß schwieriger. Beim gerade erwähnten IDI fließen auch Indikatoren für Ungleichheit oder CO2-Verbrauch ein. Andere Faktoren werden unterschiedlich gemessen: Beim Transportsystem wird etwa die Anzahl der ausgebauten öffentlichen Infrastrukturkilometer herangezogen. Es gibt aber auch Konsumentenbefragungen zur Zufriedenheit mit dem öffentlichen Verkehr.

Beim Gesundheitssystem spielt etwa die Anzahl der Patienten pro Krankenhaus eine Rolle oder die Zahl der Krankenbetten pro Person. Beim bereits erwähnten „Global Competitiveness Ranking“ des WEF wird als Gesundheitsindikator etwa die durchschnittliche gesunde Lebenserwartung herangezogen, die in Österreich bei rund 76 Jahren liegt.

Die WIFO-Studie „Sozialstaat und Standortqualität“ zeigte, dass Wohlfahrtsstaaten die Krise besser bewältigt haben als andere. Also widersprechen sich Sozialstaat und Wettbewerbsfähigkeit nicht, oder?

Ein funktionierendes Sozialsystem kann Krisen besser abfangen, insbesondere für betroffene Personen, und es kann diese schneller oder leichter wieder in den Arbeitsmarkt integrieren. Das hat sich in der Krise bewährt. Die Studie zeigt, dass es eine hohe Korrelation zwischen Produktivität und Standortfaktoren und Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstandsniveau gibt – über die Kausalität lässt sich streiten.

Ist das Jammern über den teuren Sozialstaat somit unbegründet?

Österreich hat einen sehr gut ausgebauten Sozialstaat, und das ist nicht umsonst. Es ist allgemein akzeptiert, dass die Steuerquote in Österreich im Vergleich relativ hoch ist. Aber Österreich bietet auch etwas dafür: Das österreichische Bildungs- und Gesundheitssystem wird im Vergleich zu anderen Ländern sehr gut bewertet. Netto gesehen, hat Österreich trotz der hohen Abgabenbelastung somit eine starke soziale Säule, was das Land insgesamt stärkt. Bei Effektivität und Effizienz in den einzelnen Bereichen gibt es sicherlich Potenzial, was man sich im Detail ansehen muss.

Österreich hat einen sehr gut ausgebauten Sozialstaat, und das ist nicht umsonst.

Wie bewerten Sie die Besteuerung des Faktors Arbeit im internationalen Vergleich?

Generell ist Österreich im Vergleich von OECD und anderen Studien ein relatives Hochsteuerland. Österreich liegt aber auch bei den Sozialleistungen im Top-Bereich.

Österreich hat eine hohe Vermögenskonzentration. Inwiefern hat das Einfluss auf den Wirtschaftsstandort?

Eine hohe Vermögenskonzentration ist unter wirtschaftlichen Aspekten per se nicht unbedingt schlecht, wohl aber in Bezug auf Verteilungsgerechtigkeit bzw. soziale Gerechtigkeit. Sie ist somit als polit-ökonomischer Faktor wichtig.

Die Lohnquote liegt bei 68,4 Prozent und ist in den letzten vier Jahrzehnten gesunken. Könnte die österreichische Wirtschaft höhere Löhne und Gehälter ohne Wettbewerbsnachteil vertragen?

Die Lohnquote ist hierzulande langfristig gesunken – wie in allen anderen Ländern. Österreich hatte eine lange Phase, in der die Reallöhne relativ konstant geblieben sind. Österreich könnte sich ein bisschen höheres Reallohnwachstum leisten. Denn die Reallöhne waren ja auch deshalb konstant, weil die Inflation hierzulande höher war als im Ausland. Es wird immer wieder die Benya-Formel zitiert: Produktivitätswachstum plus Inflationswachstum. Das würde ich als für Österreich verträglich ansehen, es hätte einen positiven Effekt auf die Inlandsnachfrage.

Was würde eine Senkung der Lohnnebenkosten bringen?

Aus ökonomischer Sicht wäre ein gewisser Beschäftigungseffekt da. Die Frage ist aber, wie groß dieser dann tatsächlich ist. Wenn man die Lohnnebenkosten reduziert, muss allerdings der Staat einen Steuerverlust ausgleichen, um die bestehenden Leistungen und deren Qualität weiterhin gewährleisten zu können.

Diskutiert wird die Abschaffung der kalten Progression. Was hätten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen davon?

Für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen wäre die Abschaffung der kalten Progression gut, weil es für sie eine steuerliche Entlastung wäre, je nachdem, wie hoch die Inflation ist und in welchen Steuerstufen sich die Beschäftigten befinden. Die Abschaffung wird seit mehreren Jahren diskutiert, und es gab Vorschläge, die jetzt wieder verzögert werden. Aufseiten der Staatseinnahmen hätte es einen negativen Effekt, was eventuell der Grund ist, warum das derzeit nicht gemacht wird.

Für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen wäre die Abschaffung der kalten Progression gut, weil es für sie eine steuerliche Entlastung wäre.

98 Prozent der unselbstständig Beschäftigten sind in einem Kollektivvertrag. Wie wirkt sich das auf den Wirtschaftsstandort aus?

Österreich ist immer sehr gut gefahren mit der Sozialpartnerschaft, schon in den 1980er- und 1990er-Jahren. Es braucht einen Interessenausgleich und Stabilität für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung. Wie wir vorher gesehen haben, gilt makroökonomische Stabilität auch als wichtiger Wettbewerbs- bzw. Standortvorteil. Ich glaube, dass die Sozialpartnerschaft ein wichtiger historischer Faktor ist und dass sie einen Beitrag geleistet hat, dass Österreich auf dem vierten Platz in Bezug auf das Wohlstandsniveau liegt.

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Über den/die Autor:in

Sandra Knopp und Udo Seelhofer

Sandra Knopp ist freie Journalistin für verschiedene Radio und Printmedien, und hat die Themen Arbeitsmarkt, Soziales und Gesellschaftspolitik als Schwerpunkte. Udo Seelhofer war früher Lehrer und arbeitet seit 2012 als freier Journalist. Seine Schwerpunkte sind Gesellschaft, soziale Themen und Religion. Im Team wurden sie beim Journalismuspreis „Von unten“ 2017 für ihre Arbeit&Wirtschaft Reportage „Im Schatten der Armut“ ausgezeichnet.

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